«Amoris laetitia» - unterschiedliche Echos

Die Erwartungen der Reformer waren hoch, gar zu hoch. Denn das jetzt veröffentlichte nachsynodale Schreiben «Amoris laetitia» (Über die Liebe in der Familie) schloss ja fast dreijährige Umfragen und Beratungen in der Kirche über Sexualmoral, Ehe und Familie ab. Also den wohl grössten Willensbildungsprozess in der katholischen Kirche seit dem Konzil, mit zwei Synoden (2014/15), an denen Bischöfe aus aller Welt – darunter natürlich auch ein Schweizer Kardinal und ein Schweizer Bischof – teilnahmen.

Deshalb hofften die «Progressiven» in der Kirche, aber namentlich in der Presse, Franziskus werde als Fazit dieses langen, von Polemik begleiteten Verfahrens nun eindeutig wichtige Reformen festlegen. Etwa in der Sexualmoral, im Verhältnis zu den Homosexuellen sowie bei der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene. Diese Hoffnungen wurden – wer einfache Antworten hatte – enttäuscht. Folglich ist das Echo auf das Papst-Dokument zwiespältig: Kritik von Seiten der Reformer und zahlloser Kommentatoren – Zustimmung hingegen von Seiten der Konservativen, aber auch von Seiten mancher Kirchenmänner, die man eigentlich dem Reformerflügel zurechnet, die jedoch «Amoris laetitia» – vielleicht zum Teil mehr aus Treue zum Papst als aus wirklicher Überzeugung – begrüssen.

Am ausführlichsten, versteht sich, beschäftigt sich die italienische Öffentlichkeit mit dem Dokument. Wobei abermals der breite Themenkreis «Kirche, Ehe, Familie» vor allem auf die Frage verengt wird, ob Franziskus wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion zulassen will. Da attestieren die grossen Zeitungen in Rom und Mailand dem Papst eine gewisse «Öffnung».

Der angesehene Kirchenhistoriker Alberto Melloni betont allerdings, Franziskus legitimiere in dieser Sache lediglich eine in den Pfarreien ohnehin schon manchmal befolgte Praxis. Im Übrigen lasse das Schreiben etliche Fragen offen, die «man noch vertiefen muss». Irritiert zeigt sich der Vatikan-Experte Marco Tosatti, der in seinem viel gelesenen Blog schreibt: «Wir haben den Eindruck, dass das dicke Dokument im Grunde die Dinge so lässt wie vor der Schlacht.»

Und die Rezeption in anderen Ländern? An dieser Stelle können nur wenige Stimmen zitiert werden. Durchwegs anerkannt wird die Aussage des Dokuments, dass nicht jede moralische oder pastorale Frage in Rom entschieden werden muss, dass die Diözesanbischöfe mehr Spielraum erhalten und man die komplexen, unterschiedlichen Situationen vor Ort berücksichtigen muss. Doch unüberhörbar ist die Kritik. So verweisen die Korrespondenten französischer und amerikanischer Medien im vatikanischen Pressesaal gegenüber dem Schreiber dieser Zeilen z. B. auf einen Widerspruch: Einerseits nämlich würdigt Franziskus die Sexualität als «eine Gabe Gottes» und fordert Sexualerziehung für Kinder – andererseits lehnt er «sicheren Sex» und damit indirekt jede künstliche Empfängnisverhütung ab.

Sehr zwiespältig, wie schon angedeutet, ist das Echo in Deutschland. Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof Heiner Koch und Bischof Franz-Josef Bode, die an den Synoden 2014/15 teilnahmen, lobten «Amoris Laetitia» als «Ermutigung zum Leben und zur Liebe». Der Text sei eine herzliche, lebenspraktische Einladung zur christlichen Ehe und Familie. Dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken zufolge gibt das Dokument den Laien immerhin «wichtige Impulse».

Im krassen Gegensatz dazu steht das negative Urteil in den angesehensten Zeitungen Deutschlands – sogar den eher konservativen. Beispiele? Die Berliner «Welt» ärgert sich über die «seltsame Unentschiedenheit» des Papstschreibens. Franziskus stecke in einem Dilemna: Er möchte das katholische Ideal der unauflöslichen traditionellen Ehe bewahren. Gleichzeitig aber will er der Kirche abgewöhnen, alle Menschen zu diskriminieren, die diesem Ideal nicht entsprechen. Das «ist die Quadratur des Eherings». Auch der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» missfällt «Amoris laetitita». Vor allem, weil das Dokument zu viele Optionen in Streitfragen zulässt. Überschrift des FAZ-Kommentars deshalb (frei nach Shakespeare): «Wie’s Euch gefällt.»

Ähnlich gespalten ist die Reaktion in der Schweiz. Scharfe Kritik übt z. B. der Zürcher «Tages-Anzeiger», der dem Papst vorhält, er wolle es allen recht machen. Aus seinem Papier könnten Bewahrer wie Reformer etwas für sich herauslesen. Nun werde das Profil von Franziskus vollends klar: «Neuer Ton ohne neue Inhalte.» Ebenfalls enttäuscht zeigt sich die NZZ, die vom «Reformer-Papst, der nicht reformiert» spricht. Ob hier nicht mehr theologisches Verständnis und theologische Tiefgründigkeit möglich wäre?

Demgenüber urteilen Exponenten der Kirche in der Schweiz positiv über «Amoris laetitia». Nicht zu vergessen schliesslich die Stellungnahme von Urban Federer, dem Abt des Klosters Einsiedeln: Das Papst-Schreiben hebe die Schönheit der Liebe in der Familie hervor. «Und die Grundhaltung der ganzen Schrift ist freudig.» 

Bernhard Müller-Hülsebusch

Bernhard Müller-Hülsebusch

Dr. Bernhard Müller-Hülsebusch, seit vielen Jahren Korrespondent von deutschen und schweizerischen Medien in Rom und Buchautor, beschäftigt sich vor allem mit Themen rund um den Vatikan