Anastasius Hartmann - «Wie ein Heiliger und eine Zierde»

Anastasius Hartmann, Apostolischer Vikar von Patna und Titularbischof von Derben (© Provinzarchiv Schweizer Kapuziner Luzern)

Die Seetaler Pfarrei Hitzkirch begeht am Sonntag, 24. April 2016, die Gedenkfeier zum 150. Todestag ihres Pfarrkindes Bischof Anastasius Hartmann. Hartmann war Schweizer Kapuziner und Missionsbischof in Indien. Er starb 63-jährig 1866 an Cholera in Kurjee in Indien an einem Dienstag, 24. April, dem Gedenktag des hl. Kapuziners Fidelis von Sigmaringen, der im Seelsorgedienst in Seewen 1622 inmitten der Bündner Wirren ein grausames Martyrium erlitten hatte und nachmalig zum Protomärtyrer der römischen Propaganda Fide erklärt wurde.

Anastasius Hartmann, dem der hl. Fidelis Vorbild war, schenkte 23 Jahre seines Lebens hingebungsvoll der Mission in Indien: Minderbruder des Armut gelobenden Kapuzinerordens, in Armut gelebt für die Armen, ein Bischof ohne Prunk. Predigen, Trösten, Forschen, Publizieren waren sein Apostolat zur Verbreitung des katholischen Glaubens, hinzu kamen Gründungen von Schulen, Waisenhäusern und Medien, die er in Dienst nehmen liess. Er starb im Rufe eines heiligmässigen Lebens. 1920 wurden die sterblichen Überreste in die Kathedrale von Allahabad transferiert.

1903 haben die Schweizer Kapuziner Adelhelm Jann (1876–1945) und Adrian Imhof (1868–1909) mit der Biografie über Anastasius Hartmann zum Seligsprechungsprozess angeregt. Der damalige Ordensgeneral in Rom, Bernhard Christen (1837–1909), ebenso ein Schweizer, beauftragte 1905 die Beantragung zur Einleitung eines Seligsprechungsprozesses. 1906 wurden die diözesanen Prozesse in Indien (Allahabad) und in der Schweiz im Bistum Basel eröffnet. Am 21. Dezember 1998 ist von der Heiligsprechungskongregation im Beisein von Papst Paul Johannes II. in Rom das Dekret über die Heroizität der Tugenden von Anastasius Hartmann feierlich verkündet worden. Aus dem Diener Gottes ist ein «Ehrwürdiger» geworden. Die Seligsprechung steht noch aus, ist aber mit der erfolgten Rangerhöhung zur Heroizität möglich, sofern ein Heilungswunder sich einstellt und als solches anerkannt wird.1

«Anastasius Lucernensis»

Die Schweizer Kapuzinerprovinz mit Sitz in Luzern seit 1589 kennt für sich keine eigene Indien-Mission, was die Betreuung eines anvertrauten Missionsgebietes betrifft. Dennoch ist sie mit Indien seit dem 19. Jahrhundert dank und wegen ihres Mitbruders Anastasius Hartmann konfrontiert. Dieser wurde am 24. Februar 1803 in Altwis bei Hitzkirch geboren und tags darauf auf Alois getauft. 1821 trat er in Baden (AG) ins Noviziat bei den Schweizer Kapuzinern ein, wurde 1825 zum Priester geweiht, gehörte mit Beicht-und Predigtpatent zur Elite der Ordensprovinz und war dann Novizenmeister und Lektor der Philosophie und Theologie für den Ordensnachwuchs. Ab 1841 musste er, bevor er seinen erwünschten Missionarsstatus bekommen durfte, in Rom am Kapuziner-Missionskollegium St. Fidelis Schüler und später Dozent sein.

1843 konnte er endlich in die Mission aufbrechen, weit weg nach Indien, und wirkte dort 1844 in Agra. 1845 wurde er zum Apostolischen Vikar in Patna im Rang eines Titularbischofs ernannt und erhielt ein Jahr später die Bischofsweihe. 1856 kam er nach Rom zurück, um dort bis 1859 als General-Missionsprokurator des Kapuzinerordens und Rektor am Missionskollegium St. Fidelis zu fungieren. Von 1860 bis zu seinem Tod war er wiederum in Indien als Apostolischer Vikar in Patna tätig.

Im «Protocollum maius» der Schweizer Kapuzinerprovinz, dem Verzeichnis der Professen, steht ganz einfach: «P. Anastasius Lucernensis».2 Zum Todesdatum fügte der damalige amtierende Provinzarchivar, Alexander Schmid von Olten, einst mehrmals Provinzialminister und somit über das Leben seines Mitbruders bestens informiert, noch folgenden Vermerk hinzu: «obiit (…) ut Sanctus (…) Provinciae nostrae decus» – gestorben wie ein Heiliger – der Ordensprovinz eine Zierde. Das ist sehr bemerkenswert, denn Kapuziner im 19. Jahrhundert sind sonst mit superlativen Belobigungen unterei-nander äusserst zurückhaltend. 100 Jahre später tituliert der Missiologe und Kapuziner Walbert Bühlmann (1916–2007) seine fast im Stil eines Romans angelegte Biografie über Anastasius Hartmann mit «Pionier der Einheit».3

Aufschlussreiche Autobiografie Hartmanns

Umso mehr lässt Hartmanns Autobiografie, ursprünglich lateinisch, oft in die Psyche blicken. Sie reicht ausformuliert bis zur Bischofsweihe 1846 und entpuppt sich als hervorragende Quelle zur Persönlichkeit Hartmanns selbst und zur Situation des Ordens im 19. Jahrhundert.4 Sie berichtet in den Kapiteln 1 bis 6 von den bescheidenen Verhältnissen des bäuerlichen Elternhauses in Altwis. Alois war das neunte von zehn Kindern, stets zu Gebet und Arbeit angehalten. Der Vater Joseph Jakob war sehr belesen und gebildet dank seiner eigenen kleinen Bibliothek religiösen und profanen Inhalts. Der innigen Sehnsucht nach dem geistlichen Stand seit dem zwölften Lebensjahr bei Alois opponierte der Vater. Dieser Widerstand war zu überwinden dank Unterstützung seitens der Mutter Anna Maria Barbara, geborene Nietlisbach, und der Geschwister. Der Knabe erhielt den ersten Lateinunterricht bei Kaplan Joseph Hofstetter (1788–1860), dem späteren Chorherrn am Kollegiatsstift Beromünster. Seiner Begeisterung für das Priestertum begegneten seine jugendlichen Wegbegleiter mit der neckischen Bemerkung, er werde mal Bischof werden. Das Ringen um seine Berufung während der pubertären Phase an Gymnasien in Luzern und Solothurn und dann im Noviziat in Baden wird im Kapitel 7 dargelegt, um dann in den Kapiteln 8 bis 15 personelle, moralische und kirchenpolitische Situa-tionen des Ordens zu analysieren.

Vernommen werden hier die innere Krise und Zerreissprobe der Ordensprovinz, die damals personell auf ihren Tiefstand infolge Nachwuchsmangels und Austrittswellen zusteuerte. Eine Spaltung zwischen Brüdern liberaler Gesinnung («libertini»), kompromittierenden und konservativen Brüdern schwächte den Orden zutiefst. Die orthodox denkende Linie, zu der sich Anastasius Hartmann bekannte, obsiegte am Provinzkapitel der Schweizer Kapuziner in Luzern 1839. Dort wurde trotz Empfehlung des Generalministers Eugène de Rumilly (1769–1843) der damalige, um brüderliche Einheit ringende Provinzial Sigismund Furrer (1788–1865), der die entartete scholastische Lehrmethode der Theologie im Orden als ein Totengerippe schalt und an der von Mystik geprägten Lehrweise des Johann Michael Sailer (1751–1832) sich orientierte, im Amt nicht mehr bestätigt.

Das war und ist bis heute einmalig. Daraufhin standen verschiedene Kapuzinerklöster am Rand der Selbstauflösungen oder mussten sich vor staatlichen Aufhebungen fürchten. Hartmann beschreibt diese Vorgänge emotional. Vor diesem Hintergund berichtet er in den Kapiteln 16 bis 19 über sein inständiges Verlangen, in die Missionen geschickt zu werden, und über seine energische Herbeiführung der Mutation nach Rom, weil er schliesslich an seine eigene von Gott geschenkte Missionsberufung glaubte. Die Kapitel 20 bis 22 überliefern, wie der Vatikan ihn 1841–1843 in Rom warten liess und somit die Berufung testete.

Die Kapitel 23 bis 26 erzählen bis 1846 von Schwierigkeiten und Schikanen, die Hartmann beim Missionseinsatz in Indien widerfahren sind: das Goanesische Schisma (Roms Konflikte mit portugiesischen Bischöfen), Meinungsverschiedenheiten unter den apostolischen Vikaren selbst, Konkurrenzdenken zwischen Ordensgemeinschaften, Streitigkeiten unter den Christen sowie die Vernachlässigung einer zeitgemässen Katechese. Mit der Beschreibung der Bischofweihe in Patna und der trostlosen Situation des Sprengels von Patna bricht Hartmann mit der Erzählung ab.

Medien, Bibel, Schulen

Den Glauben der katholischen Kirche wirkungsvoll zu verbreiten, erachtete Hartmann mit Einsatz von Printmedien in Form einer Zeitung als notwendig. 1850 setzte er den Querelen und Ärgernissen mit vorhandenen katholischen Blättern die Herausgabe einer von ihm selbst mitgegründeten Zeitung namens «Bombay Catholic Examiner» am 26. September entgegen. Das einzige offizielle Publikationsorgan des Apostolischen Vikariats Bombay wurde später von den Jesuiten übernommen und existiert bis heute als qualitätsvolle katholische Zeitung Indiens.

In seiner zweiten Indienmissionsphase 1860– 1866 realisierte Anastasius Hartmann die Ausgabe der Bibelübersetzung in die Urdu-Sprache. Bereits 1843, wie der Schweizer Kapuzinermissionar Linus Fäh (1934–2015) aufgrund von Quellenstudien nach seinem absolvierten Missiologiestudium in Rom in der Zusammenfassung seiner Lizentiatsarbeit 1964 erklärt,5 habe Hartmann die Übersetzungen als eine seiner Prioritäten gesehen: «Meine eigentliche Absicht ist diese: die indostanische Sprache vollkommen zu erlernen, damit ich Muselmanen und Heiden auf öffentlicher Gasse predigen kann, denn in das Haus lassen sie keinen Christen treten; zugleich damit ich die nötigen Bücher für diese armen Christen verfasse. Ein grösserer Katechismus, ein gutes Gebetbuch, ein Exempelbuch, eine kurze Liturgik für die nötige Erklärung der Zeremonien und heiligen Gebräuche, das Neue Testament mit kurzen Noten sind unbedingt notwendig. Protestantische Bibeln sind in Menge vorhanden, gedruckte katholische ist keine.»

Nach Aneignung des Urdu setzte Hartmann dem Manko ein Ende. Bis 1853 verfasste und veröffentliche er den Katechismus in indostanischer Sprache: die erste Ausgabe zum Gebrauch für angehende Missionare mit lateinischen Lettern, einem Wörterbuch und einer kleinen Sprachlehre; die zweite in persischer Schrift für die aus dem Islam konvertierten Christen; die dritte in Sanskritbuchstaben für die Hinduchristen. Hartmann gab somit der katholischen Kirche Indiens ein probates Lehrbuch in die Hand, ein interdisziplinäres Meisterwerk in theologischer, religionspädagogischer und philologischer Hinsicht.

Dann folgte der Höhepunkt seines wissenschaftlichen und seelsorglichen Wirkens: Die Bibelübersetzung am 8. September 1864 in Patna: «Nay’a Bhd-Nama Hamare Khudhawnd Yisu Masih», 442 Seiten umfassend, auf der Vulgata-Ausgabe basierend. Die Auflage belief sich auf 2000 Exemplare zu einem Preis von 5000 Franken. Im Vorwort steht: «Das Neue Testament unseres Herrn Jesus Christus erscheint, nach dem Text der Vulgata bearbeitet, zum ersten Male in der Urdu-Sprache, und zwar mit lateinischen Buchstaben, teils zur grössern Bequemlichkeit der Missionare und teils, weil es wahrscheinlich ist, dass durch Beschluss der hohen Regierung in kurzer Zeit die lateinische Schrift an Stelle der persischen und devanagari treten wird. Gleichwohl liegt es in meiner Absicht, auch eine Übersetzung in die Devanagari-Schrift zu besorgen.»

Bischof Anastasius Hartmann war ein Ordensmann, der über die Grenzen seines Ordens hinausschaute und sich mit anderen Orden vernetzte. In Ermangelung des Personals im eigenen Orden wandte er sich an andere Orden. So zum Beispiel an die Jesuiten. Nach ihrer Aufhebung durch den Minoriten-Papst Clemens XIV. 1773 waren sie 1814 von Pius VII. wiederhergestellt und rehabilitiert worden sowie neu am Erstarken. Mit der von Rom verlangten Teilung des territorial gewaltigen Vikariats Bombay in ein nördliches (Bombay) und südliches (Poona) liess Hartmann das erstere den Kapuzinern, das letztere den Jesuiten zuteilen. Sein Hilferuf nach Rom um Jesuiten bewirkte den Startschuss für Schweizer Jesuiten-Missionare in Indien. Dass höhere Schulen für die Missionen erforderlich waren, lag für Hartmann auf der Hand, und dazu kamen für ihn nur Jesuiten in Frage. Sie bauten in Bombay ein College auf, das heute zu den renommiertesten christlichen Hochschulen in Indien zählt. Die Schweizer Jesuiten erinnern sich in Dankbarkeit an den Schweizer Kapuziner.6

Historische Würdigung

Die diözesanen Prozesse für eine Seligsprechung Hartmanns begannen fast synchron in Indien und in der Schweiz. Sie verlangten das Mitwirken der Schweizer Kapuziner in dem Rang von Vizepostulatoren in Absprache mit den Diözese Basel und mit In-dien sowie der Generalpostulatur des Kapuzinerordens in Rom. Unter den ersten Vizepostulatoren widmete sich besonders der Stanser Kapuziner und Historiker Adelhelm Jann (1876–1945) mit Elan und Akribie dem 1913 erfolgten offiziellen Auftrag, die Schriften Hartmanns zu suchen und zu prüfen. Unter Jann ist unter Beizug von weiteren Mitarbeitern eine fünfbändige Historio-Biografie erschienen, die «Monumenta Anastasiana»,7 ein gewaltiges Nachschlagewerk mit hohem Informationswert. Wie dieses geben auch später die 1990–1998 in Rom von der Kongregation für Selig-und Heiligsprechung unter dem Titel «Allahabadensi seu Basiliensis et Canonizationis servi Dei Anastasii Hartmann» herausgegebenen Bände und Anhänge mit einem Umfang von etwas mehr als 2000 Seiten als Ergebnis jahrzehntelanger Forschungsarbeiten vielfältige Einblicke ins Verhältnis Indiens zur katholischen Kirche, zum Vatikan, zum Kapuzinerorden, zu Europa und umgekehrt. Wie diese zeigen auch das «Archiv Vizepostulatur Anastasius Hartmann» im Provinzarchiv Schweizer Kapuziner Luzern das Wirken und Denken Hartmanns in Indien auf.8 Vor allem der Kapuzinerorden in Rom und besonders in der Schweiz hat sich um den fast hundert Jahre dauernden Prozess sehr verdient gemacht.9 Seit 2008 sind alle aufgefundenen Dokumente – veröffentlichte und unveröffentlichte – in einem elektronischen Register verfügbar, angelegt von den Kapuzinern Fidelis Stöckli (Vizepostulator) und Fortunat Diethelm. Das diesbezüglich erfasste reiche Schrifttum diente kürzlich der jüngeren Generation der Schweizer Kapuziner – Benno Zünd und Eraldo Emma – zur Abfassung von Masterarbeiten an den Universitäten Luzern und Rom über Anastasius Hartmann in historischer und spiritueller Hinsicht.10 Daraus lässt Benno Zünd unter vielen bei Jann gesammelten Auszügen aus Zeugnissen jenen Zeugen sprechen, der Hartmanns (drei Jahre vor dessen Tod) Predigt über den hl. Franz von Assisi zugehört hatte: «Ein Heiliger sprach da über einen Heiligen.»

 

Christian Schweizer | © Kapuziner

Christian Schweizer

Dr. phil. Christian Schweizer ist Provinzarchivar der Schweizer Kapuziner und Redaktor der «Helvetia Franciscana» in Luzern