Allerheiligen - ein Fest des neuen Kirchenbilds

Das Hochfest Allerheiligen ist ein altes Fest – aber gerade angesichts des heute massgeblichen Kirchenbilds des Zweiten Vatikanischen Konzils und des amtierenden Papstes hochaktuell.

Die Ursprünge des Allerheiligenfestes

Die älteste Feier ist bei Johannes Chrystomos für Antiochien bezeugt (4. Jhdt.), und zwar der «Herrentag aller Heiligen» am Oktavtag von Pfingsten. Die lateinische Kirche hatte dieses Datum zunächst übernommen. In Rom entstand im 7. Jahrhundert ein Allerheiligenfest durch die jährliche Begehung der Kirchweihe des Pantheons, auch dieses Fest fiel immer in die Osterzeit.

Dieser Zusammenhang mit dem Osterfestkreis verblasste mit der Zeit, und in Irland, das für unser Gebiet kirchlich bedeutsam war, wurde für das Allerheiligenfest ein Termin im Ablauf des keltischen Jahres gewählt, der zugleich als Winteranfang gilt: der 1. November. Bis heute trägt der Vorabend des Allerheiligenfestes bei den irisch geprägten Katholiken in den Vereinigten Staaten mit «Halloween» stark heidnische Züge, und im Zuge der Kommerzialisierung von Feiertagen breiten sich solche doch unsinnigen Gebräuche auch bei uns aus, während die Bedeutung des Allerheiligenfestes in den Hintergrund tritt.1 Das Gedenken an die Verstorbenen, denen eigentlich das Fest Allerseelen vom 2. November gewidmet ist, ist ein zweiter Grund, dass Allerheiligen auch christlich anderweitig «in Beschlag» genommen wird.

Heiligkeit als Gabe und Auftrag

Ein Blick in biblische Texte verdeutlicht schnell, dass alle Christinnen und Christen durch die Taufe geheiligt, Heilige sind; die «Heiligen» sind all diejenigen, die dem Leib Christi, der Kirche, zugehören. Alle Christen sind Heilige und gleichzeitig dazu berufen, geheiligt zu sein. Christen sind Heilige kraft ihrer Verbindung mit Jesus Christus. Und Christen sollen immer heiliger werden, indem sie christusförmiger werden.

Das Fest Allerheiligen soll den Lebenden diesen Auftrag näher bringen, es verdeutlicht an den Verstorbenen die Erfüllung der Verheissung, die mit diesem Auftrag verbunden ist.

Allerheiligen und Allerseelen zusammengedacht

Eingedenk der Tatsache, dass alle Christusgläubigen durch die Taufe heilig sind und nicht wenige Verstorbene dank ihres Glaubens an Jesus Christus bereits jetzt in voller Gemeinschaft mit Gott sein dürfen, darf man die Feste Allerheiligen und Allerseelen ruhig zusammendenken. Die Apokalypse des Johannes führt uns in einer grandiosen Schau das Bild einer grossen Menge vor, «die niemand zählen kann, aus allen Nationen, Völkern und Rassen» (Offb 7,9). Sie alle sind um Gott versammelt, ihr Zustand wird in einfachen Worten als unvorstellbares Glück geschildert: «Sie spüren weder Hunger noch Durst, noch leiden sie unter irgendeiner stechenden Sonne» (vgl. Offb 7,16). Dieses Bild versucht das zu übermitteln, was wir als zentrale Frohbotschaft des Christentums verstehen: die Sicherheit nämlich, dass unsere letzte Bestimmung nicht im Tode zu suchen ist, auch nicht im Zwang nach ständiger Wiedergeburt, sondern in der vollen, glückseligen Gemeinschaft mit Gott.2 Das «Paradies» ist also nicht einfach etwas Abstraktes und Unwirkliches, sondern in unserem Glauben und in unserem Vertrauen auf einen barmherzigen Gott grundgelegt – und für unsere Vorfahren bereits Wirklichkeit.

Durch Heiliggesprochene zu Allerheiligen

Wenden wir uns, gerade im Umfeld des Allerheiligenfestes, auch den formell Heiliggesprochenen zu. Die Schar der nach einem festgelegten Verfahren Heiliggesprochenen3 ist selbstverständlich kein Zufallsprodukt. Ein Selig- oder Heiligsprechungsverfahren ist aufwendig und kompliziert und auch immer ein Stück weit von kirchenpolitischen Optionen abhängig.

Das lässt sich sehr schön an einem Ereignis festmachen, das nun 50 Jahre zurückliegt. Denn noch während der dritten Session des Zweiten Vatikanischen Konzils wurden am 18. Oktober 1964 erstmals Christen aus dem afrikanischen Kontinent heiliggesprochen, und zwar nicht Kleriker, sondern Laien. Mit dieser Heiligsprechung verdeutlichte Papst Paul VI. also auch auf der Ebene der Liturgie und der Heiligenverehrung, dass die römische Kirche zur Weltkirche und die frühere Klerikerkirche zur Kirche des Volkes Gottes geworden ist.4

Und wenn Paul VI. nun am 19. Oktober 2014 selbst selig gesprochen wird, ist das eine schöne Referenz von Papst Franziskus gegenüber der Persönlichkeit, die das Zweite Vatikanische Konzil in einem schwierigen Umfeld und mit grossem Leiden auf gute Weise zu Ende geführt, ja quasi «gerettet» hat. Der «vergessene» Papst verdient es zweifellos, wieder mehr Beachtung und Würdigung zu finden.

Die grosse Anzahl von Heiliggesprochenen als Hinweis auf Allerheiligen

Es gibt durchaus gute Gründe, den unter Johannes Paul II. massiv angestiegenen Selig- und Heiligsprechungen etwas kritisch gegenüberzustehen – Franziskus scheint diese Linie der vielen Selig- und Heiligsprechungen im Übrigen weiterzuziehen, aber mit einer etwas anderen Konnotation. Positiv ist hervorzuheben, dass die vielen Selig- und Heiligsprechungen verdeutlichen, dass die Kirche Weltkirche geworden ist: Seit 1964 stammen viele Heilige aus Gebieten ausserhalb Europas. Und es ist das Bemühen spürbar, dass vermehrt auch Laien heiliggesprochen werden. In diesem Sinne sind die Heiligsprechungen seit 1964 also durchaus auch ein Beitrag zur Erhellung dessen, was Kirche ist und was das Hochfest Allerheiligen uns nahebringen will. Dies verdeutlichen im Übrigen auch die biblischen Lesungen an Allerheiligen sehr schön.5

1 Vgl. Balthasar Fischer: Artikel Allerheiligen, in: LThK3 Bd. 1, Sp. 405 f.

2 Vgl. Urban Fink-Wagner: Selig- und Heiligsprechungen, in: SKZ 182 (2014), Nr. 16–17, 235.

3 Vgl. Renold Blank: Allerseelen, Ostern und das Fest aller Heiligen, in: SKZ 174 (2006), Nr. 43, 697 f.

4 Johann Baptist Villiger: Die junge Kirche Afrikas erhielt ihre ersten Heiligen, in: SKZ 132 (1964), Nr. 44, 571–573.

5 Vgl. Franz Annen: «Glückselig, die arm sind im Geiste …», in: SKZ 179 (2011), Nr. 42, 667.

Urban Fink-Wagner

Urban Fink-Wagner

Der Historiker und promovierte Theologe Urban Fink-Wagner, 2004 bis 2016 Redaktionsleiter der SKZ, ist Geschäftsführer der Inländischen Mission.