Aktion («praxis», «actio») und Kontemplation («theoria», «contemplatio») sind ein Grundthema der Spiritualität. Immer schon sah der Mensch einen Unterschied zwischen dem tätigen Leben und dem zurückgezogenen Betrachten, zwischen dem praktischen Handeln und dem theoretischen Wissen, zwischen dem eigenen Tun und dem empfangenden Offensein für Gott. So lässt sich auch die christliche Spiritualität um die Fragen nach Arbeit und Gebet, Weltzuwendung und Einsamkeit, Nächstenliebe und Gotteserfahrung oder asketischer Praxis und Mystik anordnen. Manchmal wird das Verhältnis von Aktion und Kontemplation als fast harmonische Ergänzung wahrgenommen, aber doch meistens als herausfordernde Spannungseinheit.
Anfänge in der Philosophie
Zuerst unterschieden die griechischen Philosophen zwischen der aktiven Praxis und der belassenden Kontemplation, die sich als innere Schau um die tieferen Gründe der Wirklichkeit bemüht. Der bis an die Schwelle der Gottesschau heranführenden Kontemplation erkannte Platon den Vorrang zu und setzte sie vermittlungslos in Spannung zur politischen Praxis («vita activa»), wie das Schicksal des von ihm entworfenen Ideals des Philosophenkönigs zeigt. Aristoteles entkoppelte politische Praxis und Kontemplation und favorisierte wegen des inneren Vorrangs der geistigen Schau das zurückgezogene Leben des Philosophen («vita contemplativa»). Die Stoa bemühte sich im Sinne eines gemischten Lebens («vita mixta») um die lebbare Verbindung von Aktion und Kontemplation, sah aber letztlich die konkreten Lebensformen als indifferent an und propagierte das Ideal des Philosophen, der in jeder Lebensweise logosgemäss zu leben vermag. Schliesslich stufte Plotin die traditionelle Praxis zu einer asketischen Vorstufe der Kontemplation herab, in der er die eigentliche Aktivität des geistbegabten Menschen sah. Auch der für die christliche Spiritualität bedeutsame dreigliedrige Aufstiegsweg von Reinigung, Erleuchtung und Einigung war eine Schöpfung des platonischen Denkens.
Ganz auf Gott ausgerichtet
Im Gegensatz zur antiken Philosophie kannte die Bibel keine Differenz von Aktion und Kontemplation, weil sie die menschliche Antwort auf die Selbstmitteilung Gottes als eine wesentlich sittlich-praktische sah. Wie das Abwechseln von Arbeit und Ruhe und die praktische Vernünftigkeit der weisheitlichen Spiritualität zeigen, herrschte im Alten Testament eine selbstverständliche und damit auch nicht bewusst reflektierte Einheit von Aktion und Kontemplation. Im Neuen Testament ging es angesichts der Naherwartung Christi um die hörende Glaubenserkenntnis als Voraussetzung für die moralisch radikal verpflichtende Lebenspraxis. Paulus setzte weit über dem antiken Antagonismus der Lebensformen an und schuf das Ideal einer christlichen Lebensweise der Liebe, in der alles Sein und Tun auf Gott ausgerichtet ist.
In Alexandrien hatte zuerst der gebildete Jude Philon die Begrifflichkeit von Aktion und Kontemplation in seine allegorische Bibelexegese aufgenommen, um seinen hellenisierten Landsleuten einen Weg zurück zum vollen Gesetzesgehorsam zu zeigen, indem er ihnen darlegte, dass das philosophische Bildungserbe bereits innerhalb des mosaischen Gesetzes präsent ist. Auf Philon folgten die frühchristlichen Lehrer Clemens und Origenes, die gebildete Griechen für die christliche Botschaft zu gewinnen versuchten und einen spirituellen Aufstiegsweg entwarfen, in den sie auch das antike Kontemplationsideal zu integrieren vermochten. Da Jesus in den Seligpreisungen der Bergpredigt den Herzensreinen die Schau Gottes verheissen hat (Mt 5,8), wurde im spätantiken Mönchtum das praktische Leben der Reinigung als asketische Vorstufe zum kontemplativen Leben des Gebetes und der Beschauung betrachtet, die über die Erleuchtung zur Gotteseinigung führt.
Spannung Aktion – Kontemplation
Vorbereitet durch das Erbe des römischen Primates der Aktion sahen die Mönchsbischöfe im lateinischen Westen das Ideal darin, die geliebte Einsamkeit des kontemplativen Lebens wegen der tätigen Nächstenliebe wieder zu verlassen. Dieses Einheitsideal mündete bei den lateinischen Vätern in das spannungsreiche Modell der christlichen Vita mixta ein, bei dem die pastorale Aktion von der Kontemplation bestimmt wird. Das mittelalterliche Mönchtum betrachtete die handwerkliche Arbeit positiv, hielt aber am inneren Vorrang der Kontemplation fest. Im dominikanischen Ordensideal ging die Aktion aus der Fülle der Kontemplation hervor, sodass die Vita mixta der Prediger über der reinen Vita contemplativa und erst recht über der reinen Vita activa steht. Die heilige Katharina von Siena nahm als Dominikanerterziarin einen Standpunkt oberhalb von Aktion und Kontemplation ein, indem sie versuchte, in jeder Aktion kontemplativ in der «inneren Zelle» zu bleiben. Aber auch dort, wo die reine Vita contemplativa gelebt wurde, legte man Wert darauf, dass aus der Kontemplation immer die konkrete Liebespraxis als Frucht herausfliesst. Die ignatianische Spiritualität wollte in allem Tun kontemplativ sein («contemplativus in actione») und sah die Vollkommenheit in einer von der Liebe geleiteten und erfüllten Tat im Sinne einer höheren Vita activa, in der Aktion und Kontemplation eins geworden sind.
Nachdem die reformatorische Kritik die Unterscheidung in ein aktives und kontemplatives Leben als unbiblisch verworfen hatte, zeichnete sich die katholische Reform durch eine neue Hochschätzung des tätigen Lebens aus und gelangte vielfach zu einer regelrechten Mystik der Tat, wie vor allem beim heiligen Vinzenz von Paul deutlich wurde. Das 20. Jahrhundert war sicherlich von Weltzuwendung und einer Theologie der irdischen Wirklichkeiten geprägt. Dennoch gewinnt heute das Ideal der Vita contemplativa wieder an Attraktivität, wie geistliche Bewegungen und neue monastische Lebensformen zeigen.
Christliche Einheit von Tat und Gebet
Um heute die christliche Einheit von Aktion und Kontemplation leben zu können, muss man über rein psychologische Ausgleichsmodelle hinausgehen. Es geht letztlich um die Entdeckung der dialektischen Beziehung zwischen den beiden Polen, die den Weg von der einen zur anderen Dimension sogar notwendig macht, denn das wahre apostolische Leben führt – wie Jesus und Paulus zeigen – immer zum Gebet, und auch die authentische Kontemplation mündet in die aktive Mitarbeit am göttlichen Heilswerk in der Kirche. Dabei besteht die gemeinsame Quelle von Aktion und Kontemplation in der Liebe. Einerseits ist das Apostolat Aktion, die aus der Liebe kommt und zur Liebe führt, andererseits vermehrt sich die Nächstenliebe durch die kontemplative Gottesliebe. So bezieht die christliche Spiritualität mit ihrer dialektischen Verbindung von Gebet und Aktion die beiden Pole notwendig aufeinander. Sie setzt keine der beiden Dimensionen absolut und bemisst die Anwendung der jeweiligen Modalität ständig an der Suche nach der je neu geforderten Erfüllung des göttlichen Willens.
So wird diese dialektische Einheit von Aktion und Kontemplation praktisch lebbar durch das Erkennen des göttlichen Willens, der die Christinnen und Christen in der einen Situation zum Gebet führt, um Christus tiefer zu erkennen, und in der anderen Situation zum aktiven Tun treibt, um Christus im Nächsten zu dienen. All dies geschieht im Bewusstsein, dass Aktion und Kontemplation letztlich immer schon eins sind und beide unter der Führung des Heiligen Geistes ausgeübt werden. In diesem Sinne liess sich auch der heilige Vinzenz von Paul stets davon leiten, was in den verschiedenen Alltagssituationen jeweils dem Willen Gottes entspricht, sodass er sagen konnte, man solle getrost vom kontemplativen Gebet weggehen, um aktiv einem Notleidenden an der Pforte zu helfen, da man dann nicht Gott verlassen werde, dem man zur rechten Zeit sowohl in der Kontemplation als auch in der Aktion zu dienen vermag.
Wolfgang Vogl