Abschied vom Lernort Schule?

Die Reform des staatlichen Religionsunterrichtes sowie die Einführung des Lehrplans 21 stellen den konfessionellen Religionsunterricht an der Schule in Frage. Ist der Lernort Pfarrei das Zukunftsmodell?

Die Katholische Kirche hielt in den vergangenen Jahrzehnten ganz selbstverständlich ihren konfessionellen Religionsunterricht in den Räumen der Volksschule ab. In den letzten Jahren wurden jedoch kritische Stimmen laut, die sich darüber beschweren, dass die Kirche aus den Schulen gedrängt werde. Als Reaktion darauf wird nun an einigen Orten der schulisch-konfessionelle durch ausserschulischen Religionsunterricht ersetzt. Lässt sich die Wahrnehmung, dass die Kirche aus der Schule gedrängt werde, belegen? Welche gesellschaftlichen und politischen Veränderungen führen dazu, den konfessionellen Religionsunterricht ausserschulisch zu konzipieren? Diese Fragen werden im Nachfolgenden mittels ausgewählter historischer Blitzlichter aus der Entwicklung des Religionsunterrichtes an der Volksschule im Kanton Luzern beantwortet.

Staatlicher Religionsunterricht

Seit der Gründung des modernen Bundesstaates 1848 liegt die Schulhoheit in der föderalistischen Schweiz bei den Kantonen. Sie entscheiden autonom über die rechtliche Stellung und inhaltliche Gestaltung des Religionsunterrichts an der Volksschule sowie die Rolle, welche die Religionsgemeinschaften dabei übernehmen. Dies hat zu einer unübersichtlichen Vielfalt an Modellen des Religionsunterrichts an der Volksschule geführt, die schwer gesamtschweizerisch darzustellen ist. Als weiteres Charakteristikum des Religionsunterrichtes in der Schweiz ist seine Zweigleisigkeit1 zu nennen. In einigen Kantonen wird er nicht nur als staatlicher, sondern auch als konfessioneller Unterricht in den Räumen der Schule realisiert. Dieses Modell kommt unter anderem im Kanton Luzern zur Anwendung. Anhand der historischen Aufarbeitung der Geschichte des Religionsunterrichts an der Volksschule im Zentralschweizer Kanton lässt sich aufzeigen, dass Kirche und Staat in den letzten rund 65 Jahren um gemeinsame und pragmatische Lösungen bemüht waren.

Eines der grössten Anliegen seit der Gründung des modernen Bundesstaates ist die Wahrung des konfessionellen Friedens. Die Durchsetzung einer allgemeinen Schulpflicht bedingte die konfessionelle Neutralität der Volksschule. Im Sinne der Vermittlung einer Zivilreligion wurde daher in vielen Kantonen ein staatlicher Religionsunterricht eingeführt. Unter dem Namen «Biblische Geschichte» oder «Bibelunterricht» wurden alle Schüler in dem kleinsten gemeinsamen konfessionellen Nenner unterrichtet: der Bibel.

Im Kanton Luzern war dieser staatliche Religionsunterricht gesetzlich verankert. In der Wochenstundentafel des Erziehungsgesetzes von 1953 wurden zwei Stunden Religionsunterricht festgehalten, gleichzeitig wurde die Verantwortung für den Religionsunterricht an die drei Landeskirchen2 übertragen. Den staatlichen Lehrpersonen war es freigestellt, ob sie den Bibelunterricht erteilen wollten oder ihn an die kirchliche Lehrperson übergaben. Dies führte dazu, dass an einigen Schulen sowohl der staatliche als auch der konfessionelle Religionsunterricht von der kirchlichen Lehrperson unterrichtet wurde.3 Die Zuständigkeiten waren über Jahrzehnte nicht geklärt und der staatliche Religionsunterricht in dieser Zeit mancherorts fest in kirchlicher Hand.

Neues Fach: Ethik und Religionen

Diese Situation änderte sich erst im Jahr 2005, als das bekenntnisunabhängige Fach «Ethik und Religionen» eingeführt wurde. Interessanterweise hatte das neue religionskundliche Fach seinen Ursprung in dem von den drei Landeskirchen 1995 lancierten Projekt «Ökumenischer Bibelunterricht». Ursprünglich war die Idee der Projektgruppe, dass der Bibelunterricht in Zukunft ökumenisch erteilt werden sollte. Die drei Landeskirchen gaben also den Anstoss zur Reform des eigentlich staatlichen Religionsunterrichtes, der bis dato aber überwiegend von der Kirche verantwortet wurde. Schnell wurde klar, dass es der mittlerweile in den Klassenzimmern vorherrschenden religiösen Heterogenität nicht gerecht werden würde, bloss auf einen ökumenisch ausgestalteten Bibelunterricht hinzuarbeiten. Den drei Landeskirchen wurde bewusst, dass es eine Art religiöser Grundbildung für alle Kinder und Jugendlichen an der Schule brauchte. Auf ihre Initiative hin wurde der staatliche Religionsunterricht grundsätzlich neu konzipiert und als «Ethik und Religionen» in den Jahren 2005 bis 2011 in der 1. bis 6. Primarklasse eingeführt. Der Staat übernahm von nun an die Verantwortung für den staatlichen Religionsunterricht an der Volksschule auf Primarschulstufe.

Zur gleichen Zeit begannen die gesamtschweizerischen Harmonisierungsbestrebungen für das Volksschulwesen. Die Einführung der Blockzeiten verschärfte erstmals die bis anhin unumstrittene Verortung des konfessionellen Religionsunterrichts in der Wochenstundentafel der Schule. Einige kirchliche Lehrpersonen gingen durch die Verschiebung der Religionsstunden an den Rand der Unterrichtszeiten von einer Geringschätzung des konfessionellen Unterrichts aus. Vereinzelt fühlten sie sich dadurch aus den Schulhäusern gedrängt.

Einführung des Lehrplans 21

Die Situation des konfessionellen Religionsunterrichts an der Volksschule verschärfte sich durch die Einführung des Lehrplans 21 weiter. Da nun insgesamt mehr Wochenstunden unterrichtet werden, ist es einigen Schulhäusern nicht mehr möglich, für den konfessionellen Religionsunterricht ihre Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Dies führte im Kanton Luzern dazu, dass die Pfarrei Emmen gezwungen wurde, den konfessionellen Religionsunterricht ausserschulisch durchzuführen.4 Die Pfarrei Littau entschied sich freiwillig dazu, den konfessionellen Religionsunterricht ab dem Schuljahr 2017/18 ausserschulisch anzubieten. Ausserschulischer Religionsunterricht wird im Kanton Luzern bis jetzt erst in wenigen Pfarreien realisiert. Der Trend geht jedoch weiter in Richtung dieses Modelles.

Antworten auf die Entwicklungen

Die historischen Blitzlichter auf die verschiedenen Phasen der Entwicklung des Religionsunterrichts im Kanton Luzern zeigen eine jahrzehntelange enge und pragmatische Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat auf. Gut 40 Jahre lang bespielten die konfessionellen Religionslehrpersonen den staatlichen sowie den konfessionellen Religionsunterricht an der Volksschule. Erst seit der Einführung des staatlichen, religionskundlichen Fachs «Ethik und Religionen» und den beginnenden Harmonisierungsbestrebungen beginnt die Entwicklung, den konfessionellen Religionsunterricht nicht mehr an der Volksschule durchzuführen. Die Einführung des Lehrplans 21 hat diese Tendenz zum ausserschulischen Religionsunterricht verschärft. Die staatlichen und kirchlichen Zuständigkeiten in Bezug auf die religiöse Bildung werden immer mehr voneinander getrennt.

Dieser Tendenz ist die Katholische Kirche keineswegs einfach passiv ausgeliefert. Es scheint mir vielmehr die Zeit gekommen, dass sie sich von ihrer Opferrolle verabschiedet und in ein verantwortungsvolles, selbstbestimmtes Handeln kommt. Dafür gibt es meines Erachtens zwei Möglichkeiten: Entweder entscheidet sie sich freiwillig und selbstbewusst dazu, den Religionsunterricht nicht mehr an der Volksschule abzuhalten, sondern ausserschulisch anzubieten. Sie ist sich dabei im Klaren, dass sie damit ihre privilegierte Stellung an der Volksschule aufgibt. Ausserdem weiss sie, wie ein ausserschulischer Religionsunterricht fachlich kompetent ausgestaltet sein sollte.5 Oder die Kirche entscheidet sich, wieder zu einem nennenswerten und unverzichtbaren Player für die Volksschule zu werden und damit den Platz des konfessionellen Religionsunterrichts an der Schule zu bewahren. Dazu benötigt sie gut ausgebildete Religionslehrpersonen mit genügend Stellenprozenten, die sich als unverzichtbare Kooperationspartnerinnen in der Schule integrieren. Ausserdem muss sie klären und begründen, was ihr konfessioneller Religionsunterricht zum Allgemeinen Bildungsziel6 der Volksschule beitragen kann. Dann ist eine gewinnbringende Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche bezüglich religiöser Bildung an der Volksschule wieder denkbar.

Beide Wege haben ihre Berechtigung. Wichtig ist, dass sie überlegt und fachlich fundiert gegangen werden. Dann kann auch der ausserschulische Religionsunterricht ein Erfolgsmodell sein.

Samuela Schmid

 

1 Den Begriff der Zweigleisigkeit hat Monika Jakobs eingeführt. Vgl. Jakobs, Monika, Ist Zweigleisigfahren der Dritte Weg? Aktuelle Entwicklungen des schulischen Religionsunterrichts in der Schweiz, in: Theo-Web 6/1 (2007), 123–133, unter www.theo-web.de.

2 Die reformierte, die christkatholische und die römisch-katholische Kirche.

3 Dies zeigt eine Erhebung des Schulinspektorats des Kantons Luzern von 1974 (vgl. Staatsarchiv Luzern, A696/1286).

4 Vgl. Vogel, Beatrice, Religion muss der Schule in Emmen fernbleiben, in: Neue Luzerner Zeitung, 8. März 2018, abrufbar unter www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/religion-muss-der-schule-in-emmen-fernbleiben-ld.93457

5 Spezifischer zur fachlichen Verortung des ausserschulischen Religionsunterrichtes siehe den Beitrag von David Wakefield in diesem Heft.

6 Das Erziehungsgesetz des Kantons Luzern nennt unter § 4 als allgemeines Bildungsziel u.a. die Förderung der ethisch und religiös begründeten Wertehaltungen sowie der Reflexions-, Handlungs- und Entwicklungsfähigkeit des einzelnen Menschen, der Gemeinschaft und der Gesellschaft, http://srl.lu.ch/frontend/versions/3159.


Samuela Schmid

Samuela Schmid (Jg. 1990) studierte katholische Theologie in Luzern und in Rom. Seit 2017 arbeitet sie als wissenschaftliche Assistentin an der Professur für Religionspädagogik und forscht zur Entwicklung des Religionsunterrichtes an der Volksschule des Kantons Luzern nach dem Zweiten Weltkrieg. Neben ihrer Tätigkeit an der Universität gibt sie als Religionslehrperson Katechese am Lernort Pfarrei und ist als Kantonspräses Jungwacht Blauring OW/NW tätig.