Die heutige «Pontificia Università di San Tommaso d’Aquino» (kurz «Angelicum») ist die Erbin von 800 Jahren dominikanischer Lehre in der Stadt Rom. Ab 1220 musste jedes Haus des Predigerordens – der nur wenige Jahre zuvor vom heiligen Dominikus gegründet worden war – einen Professor in seiner Gemeinschaft haben. Das bedeutete, dass jedes Dominikanerpriorat ein Studienhaus war. Dies galt bereits für «Santa Sabina» in Rom, als der Papst es am 5. Juni 1222 formell dem Orden übertrug.
Vom Ordenshaus zur Fakultät
Im Jahr 1265 wurden die Studien in «Santa Sabina» unter die Leitung des heiligen Thomas von Aquin gestellt, der den Lehrplan des Ordens für die Ausbildung der jungen Dominikaner mitgestaltet hatte. Während seines Aufenthalts in Rom begann er mit der Abfassung seiner berühmten «Summa Theologiae», in der er den Studenten eine geordnete Übersicht über den gesamten Inhalt der christlichen Theologie bieten wollte.
Der mittelalterliche Orden hatte in der Regel in allen Provinzen mehr als ein Studienzentrum, in dem Studenten aus verschiedenen Prioraten gemeinsam lernen konnten; oft waren diese spezialisiert. So konzentrierte sich beispielsweise das Zentrum in «Santa Sabina» in den 1290er-Jahren auf die Logik. Das wichtigste Studienhaus in Rom befand sich in «Santa Maria sopra Minerva», wo der Unterricht zwischen 1288 und 1344 dokumentiert ist. Es ist aus den Akten ersichtlich, dass das römische Provinzkapitel von 1331 Professoren für Logik, Philosophie und Theologie ernannte. Von 1426 bis 1539 diente die «Minerva» als Generalstudienhaus nach dem Vorbild von Paris und Oxford, das ausgewählten jungen Brüdern aus dem ganzen Orden offenstand.
Das Studium an der «Minerva» veränderte sich, als 1577 Juan Solerno, Bischof von Cuzco (Peru), dort das Kollegium des heiligen Thomas gründete.
Papst Gregor XIII. verlieh dem neuen Kollegium die Befugnis, Dominikanermönchen theologische Grade zu verleihen. 1727 wurde dieses Privileg auch auf externe Studenten ausgedehnt: Hier haben wir den Beginn einer theologischen Fakultät. Ab 1700 wurde der «Minerva» mit der «Biblioteca Casantanese» auch ein reichhaltiger Fundus für thomistische Studien angegliedert.
Päpstliche Förderung
Im 18. Jahrhundert vermittelte das Kollegium weiterhin den Thomismus, und zwar während eines Tiefpunkts in der katholischen Geistesgeschichte. Im 19. Jahrhundert musste es jedoch selbst Rückschläge hinnehmen: Der Unterricht wurde während der Besetzung Roms durch die Armee Napoleons unterbrochen, aber 1815 wieder aufgenommen. Nach der Gründung des italienischen Staates wurde das Priorat 1873 beschlagnahmt und die «Biblioteca Casantanese» verstaatlicht. Der Unterricht wurde jedoch fortgesetzt, da der Regens P. Tommaso Zigliara den Unterricht in das Französische Kollegium verlegte, bis er wieder in die Nähe der «Minerva» verlegt wurde.
Die enthusiastische Förderung des Gedankenguts des heiligen Thomas durch Papst Leo XIII. belebte das Kollegium wieder. P. Zigliara – inzwischen Kardinal – half bei der Abfassung der Enzyklika des Papstes «Aeterni Patris» (1879) über die Wiederherstellung der christlichen Philosophie. 1882 richtete der Papst an der Hochschule eine Philosophische Fakultät ein und ermächtigte sie zur Verleihung von akademischen Graden in diesem Fach. In ähnlicher Weise folgte 1896 eine Fakultät für Kirchenrecht.
Das Generalkapitel des Ordens von 1904 genehmigte ein noch ehrgeizigeres Projekt: eine «erweiterte» Hochschule, die international auf Universitätsniveau arbeiten sollte. Im Juni 1908 wurde der Grundstein gesegnet und vom Ordensmeister Hyacinth Cormier an einem neuen Standort in der Via S. Vitale gelegt. Papst Pius X. gab zu verstehen, dass er dem neuen Kollegium den Status eines päpstlichen Kollegiums verleihen wollte.
Am 4. November 1909 führte P. Hyacinth die Professoren zu einer päpstlichen Audienz, und obwohl die Bauarbeiten noch nicht abgeschlossen waren, wurde das neue akademische Jahr bereits am nächsten Tag eröffnet. An die Stelle des alten Kollegiums trat nun das «Collegio Angelico», benannt nach dem Ehrentitel des heiligen Thomas: Doctor angelicus. Die Zahl der Studenten belief sich auf etwa 120, von denen rund die Hälfte aus Dominikanern bestand, die von der «Minerva» übergetreten waren, während der Rest aus anderen Orden und einigen Laien bestand. Ihre Ausbildung ging über das übliche schulische Curriculum hinaus. Ein englischer Ordensbruder unterrichtete Biologie, später auch Physiologie und experimentelle Psychologie.
Einflussreiche Ausbildungsstätte
Die Eröffnung des akademischen Jahres und das Fest des heiligen Thomas am 7. März etablierten sich als wichtige Termine im Kalender mit besonderen Vorlesungen. «Unio Thomistica», eine Zeitschrift für thomistisches Denken, wurde 1924 gegründet und bald in «Angelicum» umbenannt. Die Leiter der Fakultäten, die nun mehr wie moderne Universitätsabteilungen agierten, wurden als Dekane bezeichnet. Die Zahl der Studenten stieg auf über 500, und zu den Absolventen aus dieser Zeit gehörte der berühmte amerikanische Apologet Fulton Sheen.
Im Jahr 1932 zog das «Angelicum» in neue Räumlichkeiten an der Salita del Grillo um. Dabei handelte es sich um die Gebäude der Dominikanerinnen von S. Domenico und S. Sisto aus dem 16. Jahrhundert, die vom italienischen Staat beschlagnahmt worden waren, nun aber an den Orden zurückgegeben wurden. Im Einklang mit dem sich entwickelnden Status wurde der Regens des Kollegiums als «Magnifizenz» bezeichnet. Ein riesiger Hörsaal mit mehr als 1000 Plätzen wurde gebaut, zusammen mit einer grossen Bibliothek. Die neuen Einrichtungen ermöglichten es dem «Angelicum», internationale Konferenzen mit renommierten Rednern zu veranstalten.
Die akademische Arbeit der Fakultäten wurde durch die Gründung eines Instituts für Spiritualität an der Theologischen Fakultät im Jahr 1950 und eines Instituts für Sozialwissenschaften an der Philosophischen Fakultät im Jahr 1952 erweitert. Zu den Absolventen des «Angelicums» gehören u. a. der spanische Märtyrer P. Jacinto Serrano López OP, Weihbischof Ioan Suciu, der vom rumänischen kommunistischen Regime inhaftiert wurde, und der Nobelpreisträger von 1958, P. Dominique Pire OP. Der berühmteste Absolvent, Papst Johannes Paul II., schrieb seine Dissertation unter der Leitung des bekanntesten Professors des «Angelicums», P. Réginald Garrigou-Lagrange OP.
Am 7. März 1963 wurde dem «Angelicum» von Papst Johannes XXIII. schliesslich der Titel «Pontificia Università di San Tommaso d’Aquino» verliehen. Ein kongolesischer Ordensbruder begrüsste den Papst im Namen der Studentenschaft an der Universität. Der Stadtrat schloss sich den Feierlichkeiten an, indem er der Universität eine neue Adresse gab: Largo Angelicum 1.
Frauen wurden ab 1968 als Studentinnen in den Fakultäten der Universität geführt. Doch schon seit 1964 half das «Angelicum» mit dem Institut «Mater Ecclesiae» für Religionswissenschaften, das 1972 formell der Theologischen Fakultät angegliedert wurde, Laien auf den Lehrerberuf an italienischen Schulen vorzubereiten.
Ende der 1960er-Jahre hörte man mit Vorlesungen in Latein auf. Heute wird der Unterricht auf Italienisch und Englisch abgehalten, was das «Angelicum» zur einzigen zweisprachigen päpstlichen Universität in Rom macht.
Aktuell ist das «Angelicum» eine Universität mit vier Fakultäten und rund 1000 Studierenden. Das Institut für Sozialwissenschaften wurde 1974 als vierte Fakultät gegründet und hat seit 1999 mit «Oikonomia» eine eigene Zeitschrift. Seit 1992 umfasst die Universität auch ein Thomistisches Institut für die Erforschung des heiligen Thomas und seiner geistigen Tradition. Im Jahr 2019 wurde an der Theologischen Fakultät ein Institut für Ökumenische Studien gegründet. Im Jahr 2020 wurde an der Philosophischen Fakultät ein Institut gegründet, das sich mit den Gedanken des heiligen Johannes Paul II. befasst.
In den letzten Jahren wurden umfangreiche Renovierungsarbeiten an den Gebäuden der Universität durchgeführt. Das «Angelicum» zieht weiterhin Studierende aus der ganzen Welt an, die zurückkehren werden, um weltweit führende Positionen in der Kirche einzunehmen.
Simon Francis Gaine