60 Jahre «Wort zum Sonntag»

Wer heute 60-jährig ist, gilt noch als jung. Wenn jedoch eine Fernsehsendung das 60. Altersjahr erreicht, ist dies eine kleine Sensation – die gefeiert werden musste. Der katholische und der reformierte Mediendienst sowie die Kulturabteilung des Schweizer Radio und Fernsehens/SRF fanden es darum angebracht, das seit 1954 bestehende «Wort zum Sonntag» gebührend zu feiern (am 17. September 2014 im Campus der Pädagogischen Hochschule Zürich). Vor einer Feier- Viertelstunde und anschliessendem Apéro befassten sich die Geburtstagsgäste mit dem Thema Religion und Medien.

Der Vorläufer Johann

«60 Jahre und kein bisschen leiser»: Der Kapuziner Willi Anderau, während 16 Jahren bischöflich Beauftragter für Radio und Fernsehen, charakterisierte so in der eigentlichen, kurzen Geburtstagsfeier das «Wort zum Sonntag», die einzige Kommentarsendung, die sich so lange gehalten hat. Er erinnerte daran, wie es in den TV-Anfangszeiten zu- und herging. Am Schluss des Sonntagsprogramms redete ein Pfarrer so lange wie er wollte. Dann wurden Kamera und Mikrofon ausgeschaltet und das Licht im Studio gelöscht … Anderau meinte, der Sprecher hätte einen berühmten Vorläufer gehabt, einen gewissen Johann. Dieser habe dem König seine Fehler vorgeworfen. Wie es in alten Berichten heisst, «hörte ihm dieser gerne zu». Bis die «Zensur» den Kopf des Kritikers verlangte. Tatsächlich liess der König – Herodes hiess er – den Kritiker köpfen. Das Köpferollen, das beim «Wort zum Sonntag» des öfteren gefordert wurde, fand nicht so statt wie im «Vorläufer-Programm». Gegen keine andere kulturelle Sendung wurde allerdings so oft Beschwerde eingereicht. Diese sei «fast immer abgelehnt worden», verriet die SRF-Kulturchefin, Nathalie Wappler, der Festgemeinde.

Wie weiter? Dazu gab es während der Geburtstagsfeier etliche Vorschläge:

  • Willi Anderau wünschte sich, dass die Sprecher und Sprecherinnen wie Johannes die Mächtigen kritisieren, und zwar so, dass man ihnen gerne zuhört.
  • Seine Kollegin von den Reformierten Medien, Doris Graf, kündigte an, dass nach der Einsetzung der neuen Equipe Anfang Oktober jeden Sonntag ein Tweet aufgeschaltet wird, welcher die zentrale Aussage des neuesten «Wortes» zusammenfasst.
  • Mehrere Votanten nahmen die Anregung auf, die während des vorausgehenden Podiums gefallen war: die Möglichkeit, dass auch Repräsentanten anderer Glaubensgemeinschaften ein Sendegefäss haben, in dem sie sich frei äussern können. Bis dahin sei es aber noch ein langer Weg, wurde vermutet.

Wie «sexy» ist Religion?

Auf dem Podium diskutierten unter der Leitung von Judith Hardegger die Muslima Amira Hafner-Al Jabaji (Interreligiöser Think-Tank), Vinzenz Wyss (Professor für Journalistik) und Thomas Ribi (Redaktor NZZ) zum Stellenwert der Religion in den heutigen Medien. Religion komme meistens im Zusammenhang mit Konflikt vor, war man sich einig. Wyss präzisierte: «Politische Konflikte werden oft mit Religion gekoppelt.» Ausschliesslich religiöse Aspekte seien für die meisten Medienschaffenden «zu wenig sexy». Beim Publikum hingegen würden sie auf ein verhältnismässig grosses Interesse stossen.

Amira Hafner-Al Jabaji fügte hinzu, es bestehe ein enormes Bedürfnis nach Spiritualität, Orientierung und nach Auseinandersetzung mit den «letzten Fragen». Die Menschen, vor allem jüngere, würden die Antworten weniger in den «klassischen Kanälen», den Religionsgemeinschaften, suchen, als vielmehr in den Neuen Sozialen Medien; im «Facebook-Stübli und im Twitter-Keller», erklärte Wyss.

Welche religiösen Inhalte finden den Weg in die Medien? Bezüglich der Präsenz der Religionsgemeinschaften konnte der Wissenschaftler Vinzenz Wyss auf eine eigene Studie hinweisen, die allerdings bereits im Jahr 2008 durchgeführt wurde: Der Katholizismus kommt in 38 Prozent der Fälle vor, gefolgt vom Islam mit 34 Prozent. Auf Platz drei liegt der Protestantismus mit bloss 10 Prozent, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass ihm repräsentative Köpfe wie der Papst und die Bischöfe fehlen und von ihm zu wenig fotogene «Events» produziert werden.

Inkompetente Journalisten?

Vinzenz Wyss wusste von den Ergebnissen einer andern Studie zu berichten. Demnach würde der Info-Journalismus im religiösen Bereich vielfach mit Stereotypen und Klischees arbeiten: Die gute Mutter steht für den Katholizismus. Die Muslime werden als gewaltbereit dargestellt, die Juden als Opfer. Und die Protestanten? Da finden sich keine immer wieder vorkommende Bilder …

Oft würden auch schiefe Sprachbilder aus dem religiösen Bereich verwendet, klagte Amira Hafner- Al Jabaji. So fänden sich scheussliche Ausdrücke wie «das Mekka für Pädophile». Oder es gäbe Schlagzeilen wie: «Gib uns heute unseren täglichen Stau.»

Der Grund für solche Fehlleistungen sei der Mangel an Journalisten, denen theologisch-religiöse Themen vertraut sind. (Auch die NZZ weise nach der Pensionierung von Christoph Wehrli ein diesbezügliches Defizit auf.) Fehlleistungen wie die genannten würden im Wirtschaftsjournalismus nicht durchgehen. Und die Sportredaktionen hätten für jede Sportart ihre Spezialisten. Weiterbildungskurse im Medienausbildungszentrum/MAZ könnten Abhilfe schaffen, wurde geäussert. Doch solche seien ausgeschrieben worden, hätten aber mangels Interesse nicht durchgeführt werden können.

Trimedial

Das Referat von Monica Cantieni, SRF-Bereichsleiterin Multimedia Kultur, hatte die Jubiläumsveranstaltung «60 Jahre Wort zum Sonntag» eröffnet. Sie stellte die SRF-Kulturplattform im Internet vor (www.srf.ch/kultur). 17 Mitarbeitende verknüpfen im Netz fast rund um die Uhr zusätzliche Inhalte mit Radio- und Fernsehsendungen. In diesem «trimedialen» Arbeiten werden auch durch Specials Themen vertieft und über eine längere Zeit verfolgt. Es gibt auch einen «Reiter» (Rubrik) «Gesellschaft & Religion». Das Angebot stösst auf recht grosses Interesse: «Wir würden täglich das Hallenstadion füllen.» (Uninformierte Nichtzürcher finden im Internet die Angabe: «Maximalkapazität der Arena: 13 000 Personen»)

Das Publikum war wohl mit der Referentin einig: «Die digitale Kultur ist eine eigene Welt und Weltanschauung.»

Walter Ludin

Walter Ludin

Br. Walter Ludin ist Kapuziner und schreibt als Journalist BR für verschiedene Medien. Er lebt im Kloster Wesemlin in Luzern.