50 Jahre Paulus Akademie

Die Paulus Akademie Zürich schenkte sich im letzten Jahr zu ihrem 50-Jahr-Jubiläum eine kleine Festschrift mit dem Titel «Fragen zur Zeit».1 Diese Zeit ist deckungsgleich mit dem halben Jahrhundert seit dem Ende des II. Vatikanischen Konzils.

Das macht den besonderen Reiz der Publikation aus. Da in ihr ausführlich die Gründung der Akademie, ihre bisherige Entwicklung und insbesondere ihre Programmgeschichte dargelegt werden, kommt so gleichzeitig ein interessanter Teil der nachkonziliaren Entwicklung der katholischen Kirche Schweiz in den Blick. Auch die Zukunftsperspektiven und Visionen, die Prof. Stephan Leimgruber für die Akademie entwickelt, sind von Belang für die Kirche, die inzwischen vom Schwung des konziliaren Aufbruchs in die trügerische Stille der Säkularisation geraten ist.

Entstehung

Urban Fink, Historiker und ehemaliger Redaktionsleiter der SKZ, nimmt sich gekonnt und facettenreich der Entstehungsgeschichte der Akademie an. Kirchliche Akademien entstanden in West- und Ostdeutschland unmittelbar nach Kriegsende, weil nach dem Untergang der Nazi-Diktatur die Aufgabe der moralischen Erneuerung höchste Dringlichkeit besass. Das traf für unser Land indes so nicht zu. Die katholische Schweiz hatte zudem ein starkes Verbands- und Vereinswesen mit entsprechenden Bildungsangeboten. Die Gründung einer Akademie schien deshalb nicht notwendig.

Der damalige Generalvikar von Zürich, Alfred Teobaldi, war nicht dieser Ansicht. Er hielt Akademiearbeit für unverzichtbar, um ein kontinuierliches Gespräch zwischen Kirche und Welt, das vor keiner Fragestellung zurückschreckt, zu ermöglichen. Was später die Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils «Gaudium et spes» zum Programm erhob, darüber machte sich Alfred Teobaldi bereits in den 50er- Jahren Gedanken. Urban Fink nennt deshalb den Zürcher Generalvikar zu Recht den geistigen Vater, den unermüdlichen Promotor und Gründer der Akademie. Er schildert spannend, welch harte Aufbauarbeit Teobaldi bis zur Eröffnung der Akademie 1966 zu leisten hatte. Unterstützt wurde er dabei von Josef Feiner, Churer Theologieprofessor und Konzilstheologe, der auch der erste Direktor der Akademie wurde.

Spiegel der Jahresberichte

Ebenso sachkundig und prominent ist der Autor des zweiten Teils, Rolf Weibel, Vorgänger von Urban Fink als langjähriger Redaktor der SKZ. Er gab seinem Beitrag, in dem er eine Übersicht über das Akademie-Programm im Spiegel der Jahresberichte 1966–2015 vorlegt, den Titel «Die Paulus Akademie als ‹moderner Areopag›». Zwei darstellerische Mittel erleichtern das Lesen: Zum einen finden sich am Rande jeder Seite fettgedruckte Titel, welche die wichtigsten Themen der Vorträge und Kurse festhalten und so erlauben, Aspekte der Entwicklung des Dialogs der Kirche mit der Welt zu verfolgen. Zum andern werden Passagen grau unterlegt, welche die innere Entwicklung der Akademie (Direktion, Studienleiter, Organisationsstruktur, Finanzen), die Öffentlichkeitsarbeit, das Verhältnis zur Amtskirche und zu den staatskirchrechtlichen Gremien, Kontroversen, versteckte Sanktionsdrohungen und nicht zuletzt die über all die Jahre hängige Standortfrage betreffen. Aufgrund seines Wissens und seiner reichen Erfahrung versteht es Rolf Weibel ausgezeichnet, Programm und Entwicklung der Akademie im kirchlichen und gesellschaftspolitischen Zusammenhang zu kontextualisieren.

Zukunftsperspektiven

«Wie soll die Paulus Akademie mitten in der Weltstadt Zürich künftig aussehen?», ist die Frage, anhand derer Stephan Leimgruber (em. Prof. für Religionspädagogik) seine Zukunftsperspektiven und Visionen entfaltet. Als erste Aufgabe müsse das ursprüngliche konziliare Leitbild rekontextualisiert werden. Zu Beginn des dritten Jahrtausends sind die Koordinaten für das Gespräch von Kirche und Welt nicht mehr die gleichen wie vor fünfzig Jahren. Die Kirche hat sich von der katholischen «Milieugesellschaft» zu einer «Beteiligungskirche von aktiven Laien» gewandelt. Die Gesellschaft ist vielfältiger, individualisierter, digitaler und mobiler geworden. Die multikulturelle und religiös vielfältige gesamtgesellschaftliche Situation ist omnipräsent und selbstverständlich. «Von der Akademie darf erwartet werden, dass sie die damit verbundenen Aufgaben der begleitenden Reflexion mutig angeht und einen ‹Zusammenprall der Kulturen› vermeidet» (125). Durch die anhaltende Säkularisierung hat die Kirche viel von ihrer Definitionsmacht verloren, sodass die modernen Menschen ihre Lebensführung zunehmend selbständig in Mündigkeit und Freiheit bestimmen. Auch diesen weitergehenden Prozess soll die Akademie begleiten und Verstehenshilfen anbieten.

Dem vom Autor dargelegten offenen Selbstverständnis der Paulus Akademie auf christlicher Grundlage kann voll und ganz zugestimmt werden. Die daraus abgeleiteten und in Zukunft anzugehenden Herausforderungen sind Wegweiser für gute künftige Programme.

 

Josef Bruhin SJ

P. Josef Bruhin SJ, promovierter Theologe, war Provinzial der Schweizer Jesuiten, Redaktor der Zeitschrift «Orientierung», Direktor des Instituts für weltanschauliche Fragen und 1997 bis 2009 Stiftungsratspräsident der Paulus Akademie.