Gott und die Physik

Einswerdung: Tuschzeichnung Sr. Ruth Nussbaumer

Die Zürcher Tagung vom 4. März 2017, vom Forum für Christliche Studien und der dortigen Theologischen Fakultät organisiert, bot wieder einmal die Gelegenheit, einen transdisziplinären Dialog zu wagen. Francesco Papagni berichtet über seine Eindrücke.

Dialoge zwischen Naturwissenschaft und Theologie sind aus mehreren Gründen anspruchsvoll. Zuerst einmal ist das Vokabular völlig verschieden, aber auch Methode und Fragestellung. Umso verdienstvoller ist es, dass sich Physiker wie Arnold Benz seit vielen Jahren auf diesem Feld engagieren1.

Die Welt ist über weite Strecken unbekannt

Professor Arnold Benz betonte, dass die Entwicklung des Universums unergründlich komplex sei. Zwar habe die Physik grosse Fortschritte gemacht, die «Karte des Wissens» sei jedoch noch schneller gewachsen und sei deshalb heute weisser als früher. Die Arbeitshypothese der Physik bleibe der (schwache) Physikalismus: alle physikalischen Phänomene lassen sich restlos physikalisch erklären. Der emeritierte ETH-Professor fügte hinzu, diese Hypothese liesse sich von der Physik nicht beweisen.

Schöpfung, so der Astrophysiker weiter, lässt sich nicht auf den Urknall reduzieren. Schöpfung umfasst eine Deutung des ganzen Universums und ist nur zu verstehen, wenn sie sich auf teilnehmende Wahrnehmungen wie Staunen und Erschrecken bezieht oder auf mystische Erfahrungen. Wenn der Begriff Schöpfung einen Sinn habe, dann müsse er sich auch auf Gegenwart und Zukunft erstrecken. Die primäre Schöpfungswahrnehmung, so der Vortragende, sei die Erfahrung des eigenen geschenkten Lebens.

Eine andere, aufschlussreiche Beobachtung betrifft die Naturgesetze. Diese sind selbst nicht beobachtbar, nur in den Regelmässigkeiten der Erscheinungen erkennbar. Die Naturgesetze bilden das Apriori der modernen Naturwissen eigentlich erstaunlich.

Das Lied der Sängerin

Die nachfolgende Diskussion problematisierte Termini wie «teilnehmende Wahrnehmungen», die offensichtlich eingeführt werden, um die von der Physik vernachlässigte, subjektgebundene «Lebenswelt» (E. Husserl) ins Recht zu setzen. Ein bekanntes, auf den österreichischen Philosophen und Begründers der Phänomenologie Edmund Husserl zurückgehendes Beispiel, geht so: Ich höre das Lied der Sängerin. Nun kommen Physiker und erklären, das Lied der Sängerin seien eigentlich Schallwellen. Ich aber beharre darauf, dass ich das Lied der Sängerin höre, ich lasse mir das Phänomen nicht wegerklären. Dass das Lied auf Schallwellen beruht, stellt kein aufgeklärter Zeitgenosse infrage. Für die Beschreibung des Liedes braucht es jedoch eine andere, vielleicht musikwissenschaftliche oder eben phänomenologische Sprache. Der methodische Reduktionismus der Naturwissenschaften – der Ersatz der philosophischen Warum-Frage durch die Frage nach dem Wie – hat ihren enormen Erfolg ermöglicht, aber um den Preis, nur einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit in den Blick zu bekommen. Reflektierte Naturforscher wie Benz sind sich dessen bewusst.

Für einen anderen Ausgangspunkt

Lydia Jäger vom Insitut Biblique de Nogent-sur-Marne (F) schloss hier an und zeigte, wieso die Ergänzung des physikalistischen Weltbildes mit Gott uns nur in Sackgassen manövriert2. Diese Position wäre nichts anderes als eine Neuauflage einer Weltsicht aus «naturalia» und «supernaturalia», die dann Sache der Theologie wären. Schon Karl Rahner hat dies «Stockwerkdenken» genannt und kritisiert. Wie Benz betonte Jäger, dass der Physikalismus keine physikalische, sondern eine metaphysische Theorie sei. Der Ausgangspunkt müsse geändert werden. Wenn wir Genesis 1 ernst nehmen, erkennen wir einen Kosmos, der durch Gott geordnet und in seinem Bestand gesichert wird. Die Frage lautet dann nicht, wie Gott in der Welt unterzubringen, vielmehr wie Naturwissenschaft in einer solchen Welt möglich ist. Menschen sind nach dem Bilde Gottes erschaffen, was auch bedeutet, dass sie die Schöpfung erkennen und erforschen können. Naturwissenschaft, so die Vortragende, ist eine noble Angelegenheit – eine Weise, sich die Welt anzueignen, wie der Schöpfer selbst uns beauftragt hat.

Gegen Verabsolutierung naturwissenschaftlicher Methode

Wenn wir diese Argumentation annehmen, dann gibt es keine ausschliesslich physikalischen Dinge, vor allem ist dann der Physikalismus ein Surrogat für die Einheit alles Seienden in Gott. Da der Mensch nicht umhin kann, Gott zu suchen, schafft er sich Idole: die Welt ohne Gott als Götze. Mit der Verabsolutierung der naturwissenschaftlichen Sichtweise verkennt der Mensch auch jene Begrenztheit, die der neuzeitlichen Naturwissenschaft von Anfang an eigen ist. Der vor Jahren in Fribourg lehrende Wissenschaftsphilosoph Evandro Agazzi sagt es pointiert: Reduktionismus ist die Negation des wissenschaftlichen Geistes.

Der Mensch, das eigentliche Rätsel

An einem Phänomen lässt sich dies besonders gut veranschaulichen, an uns selbst nämlich. Wir Menschen sind ein bis heute unergründetes Zusammenspiel von Körper und Geist. Wie lässt sich die Existenz des Geistes in einer Welt erklären, in der es ausschliesslich physikalische Gegenstände geben soll? Jäger schloss mit einem sprechenden Zitat von C. S. Lewis: «In reality the frontier situation (zwischen Körper und Geist, F. P.) is so odd that nothing but custom could make it seem natural, and nothing but the Christian doctrine can make it fully intelligible.»3

Die Relevanz der Teilnehmerperspektive

Einige Naturwissenschaftler wie der deutsche Hirnforscher Gerhard Roth gehen den entgegengesetzten Weg und leugnen, dass es so etwas wie Geist und menschliche Freiheit überhaupt gibt. Nach Roth sind das Illusionen.

Im Alltag kommen wir aber nicht darum herum, den anderen so zu begegnen, als wären sie Personen. Wer etwa seinen Partner oder seine Partnerin nicht als Person behandelt, wird bald keine Beziehung mehr führen. Aus der Beobachterperspektive lassen sich also solche Aussagen machen, aus der Teilnehmerperspektive aber nicht durchhalten. Der «performative Selbstwiderspruch» (Karl-Otto Apel) zeigt an, dass hier etwas nicht stimmt.

Die Tagung mit dem Titel «Gott und die Physik» zeigte einmal mehr, wie sehr sich Natur-und Geisteswissenschaften in Methode und Vokabular auseinandergelebt haben. Einige Fragen, vielleicht die wichtigsten, sind nur zu bearbeiten, wenn die «Zwei Kulturen» (C. P. Snow) zusammenarbeiten. Gerade die Theologie muss sich dieser Herausforderung immer wieder stellen, wenn sie nicht zu einer esoterischen Beschäftigung werden soll. Nur eine exoterische Theologie ist jedoch eine relevante Theologie.

 

1 Vgl. Arnold Benz, Samuel Vollenweider: Würfelt Gott? Was Physik und Theologie einander zu sagen haben. Ostfildern 2015.

2 Vgl. Lydia Jäger: Wissenschaft ohne Gott? Zum Verhältnis von christlichem Glauben und Wissenschaft. Bonn 2007.

3 C. S. Lewis: The Joyful Christian, New York City 1996, 216: «Die Grenzsituation ist tatsächlich so merkwürdig, dass nichts ausser der Gewohnheit sie natürlich erscheinen und nichts ausser der christlichen Lehre sie wirklich verständlich machen lässt.» (Übers. F. P.)  

Francesco Papagni

Francesco Papagni

Francesco Papagni ist freier Journalist. Er lebt in Zürich.