38 verlorene Jahre

«Steh auf, nimm deine Matte und geh deinen Weg!» So lautet das Thema des diesjährigen Weltgebetstages. Eine Theologin aus Zimbabwe deutet den Bibeltext aus ihrer Sicht und in Bezug auf ihr Heimatland.

 

In Joh 5,1–18 begegnen wir der Geschichte des gelähmten Mannes. 38 Jahre lang lag der Mann an einem Teich, der nach der Tradition jedes Mal, wenn das Wasser durch den Engel Gottes bewegt wurde, mit wundersamen Kräften zur Heilung eines Menschen gesegnet war. Die Geschichte besagt, dass in diesen 38 Jahren, in denen der Gelähmte am Teich lag, viele kamen und nach ihrer Heilung voll Freude wieder gingen. Doch dem Mann stand niemand zur Verfügung, um ihm zu helfen, als Erster in den Teich zu steigen. So glaubte er, dass seine Heilung erst an dem Tag möglich sein würde, an dem er jemanden dazu bringen könnte, ihm ins Wasser zu helfen. Als Jesus vorbeikam und durch die rhetorische Frage «Willst du gesund werden?» ein Gespräch mit ihm begann, hoffte der Gelähmte wahrscheinlich, dass Jesus dieser Helfer sein würde. Tatsächlich war Jesus der Helfer – aber nicht im üblichen Sinne. Jesus befahl dem Gelähmten: «Steh auf, nimm deine Matte und geh.» Jesus übertrug so die Schuld von der Tradition und der Gesellschaft (Helfer) auf den Gelähmten. Jesus forderte ihn auf, weder über die Vergangenheit zu klagen, noch anderen die Schuld für seine missliche Lage zu geben. Im Gegenteil: In Vers 14 legt Jesus nahe, dass die Sünde des Mannes für seine Situation verantwortlich war. Der Mann musste daher Verantwortung für sein Leben übernehmen. Durch die Begegnung mit Jesus gelang ihm dies.

Jesus benutzte drei wichtige Verben, die im Leben des Mannes 38 Jahre lang fehlten: Steh auf, nimm (deine Matte) und geh! Aufstehen war der erste Schritt, gefolgt vom Aufheben der Matte. Das Aufheben der Matte zeigte die Bereitschaft zu einer weiteren wichtigen Aktion: auf etwas zuzugehen. Das Gehen, sei es auch nur ein Schritt, und das Aufheben der Matte zeigten, dass der Mann sich verwandelt hatte und geheilt wurde. Dieses Ereignis markierte den Übergang in eine Zukunft mit Hoffnung, in eine Zukunft mit unbegrenztem Potenzial.

Zimbabwe, steh auf!

In gleicher Weise begegnet Jesus heute Zimbabwe, das neben dem Teich liegt. Dieses Jahr erlebt Zimbabwe den 40. Jahrestag seiner Unabhängigkeit. Wie der Gelähmte liegt die Wirtschaft Zimbabwes am Boden. Die Inflation beträgt mehr als 500 Prozent. Die Arbeitslosigkeit liegt bei fast 100 Prozent. Zimbabwe ist nicht in der Lage, Gesundheits-, Bildungs- und Sozialleistungen zu erbringen. Viele Dörfer haben keine Krankenhäuser, die Menschen reisen mehr als zehn Kilometer zur nächsten Gesundheitseinrichtung. Dort sind entweder die Ärztinnen und Ärzte oder das Pflegepersonal oder beide im Streik. Oder beide sind im Dienst, aber die Regale der Krankenhäuser sind leer; es gibt keine Medikamente. In den Leichenhallen stapeln sich die Toten. An Schulen und Universitäten streikt das Lehrpersonal. Die Läden sind entweder voll, aber die Menschen haben kein Geld, um Grundbedarfsgüter zu kaufen, oder sie sind leer. Polizei und Armee zerschlagen jede Demonstration, indem sie wahllos auf Demonstrierende und Oppositionspolitikerinnen und -politiker schiessen. Die Stimme der Kirche, die sich für die Schwachen einsetzt, bleibt ungehört.

In diesem Zustand der sozioökonomischen, politischen und religiösen Lähmung trifft Jesus nun auf Zimbabwe. Wie der Gelähmte gibt Zimbabwe anderen die Schuld an seiner misslichen Lage: Der Westen sei verantwortlich für Wirtschaftssanktionen, Kolonialismus, Sklaverei usw. Die Führung übernimmt keine Verantwortung für den Zustand des Landes. Aber Jesus sagt zu Zimbabwe: «Hör auf, die Vergangenheit und andere zu beschuldigen – übernimm Verantwortung! Steh auf, nimm deine Matte und geh. Geh in eine Zukunft mit unbegrenztem Potenzial.» In der Tat hat Zimbabwe ein enormes Potenzial: Diamanten, Gold, Platin, Chrom, Kupfer, Kohle, Lithium und viel anderes. Zimbabwe hat auch perfektes Wetter für eine Vielfalt von Fauna und Flora. Wie dem Gelähmten sagt Jesus auch Zimbabwe: Die Sünde der Korruption und der Misswirtschaft haben das Land gelähmt. Zimbabwe muss aufhören, nach Lösungen ausserhalb des Landes zu suchen, denn das Problem ist nicht ausserhalb, sondern innerhalb des Landes.

Elizabeth Vengeyi

 

Der Weltgebetstag vom 6. März wurde von Frauen aus Zimbabwe vorbereitet. Informationen unter www.wgt.ch


Elizabeth Vengeyi

Elizabeth Vengeyi (Jg. 1980) studierte Religionswissenschaft an der Universität von Zimbabwe in Harare. Sie arbeitet als Übersetzerin bei der «Bible Society of Zimbabwe».

 

BONUS

Folgende Bonusbeiträge stehen zur Verfügung:

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