Zwei Konfessionen, eine Priesterin

Eine aussergewöhnliche Kombination

Adèle Kelham ist Priesterin der anglikanischen wie auch der christkatholischen Kirche – eine aussergewöhnliche Kombination. In dieser Form ist es ein einzigartiges Zeichen von Ökumene, nicht nur in der Schweiz!

Adèle Kelham ist Physikerin und Priesterin der anglikanischen Kirche, sie leitet seit 2005 die Gemeinde ihrer Kirche in Lausanne und neu in Neuenburg. Dazu ist sie Priesterin der christkatholischen Gemeinde Lausanne seit 2011, eine europa-, wenn nicht weltweit wirklich einzigartige Kombination! Es gab zwar zuvor etwa in St. Gallen Pfarrer Lars Simpson von der christkatholischen Kirche, der die kleine anglikanische Gemeinde mitbetreute. Dies aber in Vertretung für die anglikanischen Priester in Zürich. Es gibt auch Spezialpfarrämter in Europa, die alternierend von einem Priester der anglikanischen oder der christkatholischen Kirche betreut werden. Doch die Kombination von Kelham ist wirklich neu! Als gute Vorbereitung erwies sich für sie, dass Ökumene ihr immer sehr wichtig war: Sie arbeitet schon lange in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen AGCK im Kanton Waadt mit. Dazu war sie mehrere Jahre Präsidiumsmitglied der AGCK Schweiz und zwei Jahre lang deren Präsidentin – die erste Frau in 40 Jahren! Und das in Zeiten eines grossen Umbruchs.

Die drei Pfarrämter bedeuten viel Einsatz. Adèle Kelham zählt auf: «Am Sonntagvormittag halte ich Gottesdienst in der anglikanischen Kirche Lausanne. Einmal im Monat findet nachmittags ein christkatholischer Gottesdienst statt, denn diese Gemeinde ist sehr klein. Dazu kommen Taufen, Beerdigungen, Hochzeiten, Seelsorge in Spitälern oder im privaten Rahmen, Sitzungen mit Mitarbeitenden und Verantwortlichen in den drei Gemeinden, Tauf- und Trauungsvorbereitungen, Katechese », ein gerütteltes Mass Arbeit! Und alles zusätzlich in zwei Sprachen. Denn in ihrer Herkunftsgemeinde spricht und predigt sie englisch, in der christkatholischen französisch. Das Interview führen wir in Deutsch.

Drei Sätze ermöglichen Kirchen- Gemeinschaft

Kelham wurde nicht nur offiziell vom anglikanischen Bischof in England in ihr Amt eingesetzt, sondern auch vom christkatholischen Bischof in der Schweiz, Harald Rein. Sie ist also in beiden Kirchen offiziell als Priesterin tätig. Wie ist das kirchenrechtlich möglich? Sie verweist auf eine Besonderheit dieser beiden Kirchen: «Die Kirchen der anglikanischen Kommunion und der Utrechter Union, (die christkatholische Kirche) trafen 1931 eine Übereinkunft, das Bonner Abkommen. Dieses besteht nur aus drei Sätzen, die aber für eine beispielhafte Ökumene stehen:

«1. Jede Kirchengemeinschaft anerkennt die Katholizität und Selbständigkeit der andern und hält die eigene aufrecht.

2. Jede Kirchengemeinschaft stimmt der Zulassung von Mitgliedern der andern zur Teilnahme an den Sakramenten zu.

3. Interkommunion verlangt von keiner Kirchengemeinschaft die Übernahme aller Lehrmeinungen, sakramentalen Frömmigkeit oder liturgischen Praxis, die der anderen eigentümlich ist, sondern schliesst in sich, dass jede glaubt, die andere halte alles Wesentliche des christlichen Glaubens fest.»

Das ist der ganze Text, mit diesen wenigen Worten wurde die Kirchengemeinschaft begründet! Jede Kirche anerkennt die Eigenart der anderen Kirche, deren Sakramente und theologische wie kirchliche Tradition. Man arbeitet zusammen, ohne sich abgrenzen oder etwas aufgeben zu müssen. Es sei wie ein Tanz, meint die Theologin, der aus Bewegung und Veränderung bestehe. Natürlich komme man manchmal aus dem Tritt und müsse neue Schritte lernen. Man müsse aufeinander eingehen, denn nur gemeinsam – und auf Augenhöhe – kann man harmonisch tanzen. Nicht alles gelinge auf Anhieb; aber vieles sei bereichernd.

Gemeinsames und Unterschiede

Die Liturgie der beiden Konfessionen sei ähnlich, unterscheide sich aber in Details, erklärt die Priesterin. So beginne der anglikanische Gottesdienst mit einem Lied und Gebet, in der Schwestergemeinde aber gleich mit dem Sündenbekenntnis. Beim Eucharistiegebet bleibe dort Brot und Wein auf dem Altar stehen und liegen, man weise mit Gesten darauf hin, während in ihrer Herkunftskirche Brot und Wein je erhoben werde in Anlehnung an Jesus beim letzten Abendmahl. Diese Details immer im Auge zu behalten, erfordert ein gewisses Mass an Konzentration. «Dabei kommt mir aber zu Gute, dass die anglikanische Kirche eine breite Tradition hat und vielfältige liturgische Formen kennt. Ich bin also schon geübt», gibt die Priesterin zu bedenken. Sie selbst bezeichnet sich als «eher Highchurch» innerhalb der anglikanischen Kirche. Diese Richtung steht der christkatholischen Tradition recht nahe und erleichtert ihr die Arbeit zusätzlich.

Die Zusammenarbeit zwischen ihren konfessionsverschiedenen Gemeinden ist intensiv: So gehen die Gläubigen an Aschermittwoch und Karfreitag alternierend gemeinsam in den anglikanischen oder christkatholischen Gottesdienst. Dazu lädt man sich zu Ausflügen gegenseitig ein, in den Gemeindeblättern wird jeweils auf die Aktivitäten der Gemeinde der anderen Konfession hingewiesen.

Adèle Kelham geniesst in der christkatholischen Kirche besonders die selbstverständliche Gleichberechtigung von Mann und Frau in allen Ämtern. Dies ist in der anglikanischen Kirche komplizierter: Gläubige können für ihre Kirchgemeinde eine Frau im Priesteramt ablehnen. Es wird über die Fragen der Bischofsweihe für Frauen immer noch viel diskutiert. In der christkatholischen Kirche sind diese Entscheide bereits definitiv und positiv gefallen.

Dazu gibt sie zu bedenken, dass die Kirchengemeinschaft den beiden Konfessionen einen Bischof ermöglicht – es braucht also nicht zwei, die parallel das Amt in den beiden eher kleinen Kirchen in Europa ausüben! Der anglikanische Bischof für Europa residiert in der Nähe von London. Da er 50 Länder zu betreuen hat, kann er nicht mit allen lokalen Details – etwa in der Schweiz – sehr vertraut sein. Gleichzeitig ist es möglich, dass Bischof Harald Rein etwa Konfirmationen bei den Anglikanern hält. Der jetzige Zustand, dass gleichzeitig zwei Bischöfe in voller Kirchengemeinschaft im selben Gebiet tätig sind, kann zu Problemen führen. Diese Situationen sind auch Folge eines historischen Prozesses: So ist die christkatholische Kirche wesentlich jünger als die anglikanische, was zu Ungleichzeitigkeiten in der Entwicklung führt.

Es wäre dank des Bonner Abkommens theoretisch möglich, dass die anglikanischen Gemeinden in der Schweiz dem Schweizer Bischof der christkatholischen Kirche unterstellt wären. Dies hätte sogar für die anglikanische Kirche Vorteile, da die Christkatholiken hier als Landeskirche anerkannt sind! In Zeit schwindender personeller und finanzieller Ressourcen in den Kirchen könnte dies ein prophetisches Zeichen sein über die Kirchengemeinschaft der beiden Kirchen hinaus: auch für die Gemeinschaft der Christinnen und Christen ein Zeichen der Glaubwürdigkeit.

Physik und Theologie – die Suche nach Wahrheit

Wie bringt Adèle Kelham bei ihrer Arbeit dabei Physik und Theologie zusammen? «In der Physik fragt man, wie etwas funktioniert. Es geht dabei um das Winzigste wie auch das Grösste.» Sie habe als Kind immer alle Geräte, die ihr in die Hände fielen, auseinander genommen, um zu sehen, wie sie funktionie-ren. Und meist auch wieder zusammengesetzt, wie sie lachend erzählt. «In der Theologie geht es um den Sinn, warum etwas so ist wie es ist, auch im Kleinsten wie im Unendlichen. In beiden Bereichen ist die Suche nach der Wahrheit der Bezugspunkt», erläutert sie. Früh schon hat sie sich für Theologie interessiert und fühlte eine tiefe Berufung zum Priesteramt. Es habe ein wenig gedauert, bis ihre Kirche ihr als Frau dieses Amt ermöglichte, meint sie trocken.

In der Folge war sie viele Jahre lang mitverantwortlich für das Curriculum der Priesterinnen und ihre Beratung und Betreuung in der Diözese von Europa. Adèle Kelham ist vierfache Mutter – zwei Söhne sind adoptiert – und mehrfache Grossmutter. Sie war früh Witwe. Auch diese Erfahrungen haben ihr Leben geprägt, ihr Mitgefühl für andere, ihre Offenheit. Das Ziel ihrer Arbeit sei immer, «Menschen dabei zu helfen, dass sie ihre Beziehung zu Gott vertiefen können»: Jede und jeder soll gestützt und unterstützt werden, dass sie oder er das zur Entfaltung bringen kann, was Gott in ihm/ihr angelegt hat, betont sie.

Die Frage nach der zerstörerischen Seite der Menschen und Gottes Wirken stellt sich ihr immer neu. Sie verdeutlicht dies an einem Beispiel: Der Baum wächst, dies ist Natur, der Mensch fällt ihn und macht aus ihm Holz. Manchmal baut er ein Haus oder Möbel – und manchmal ein Kreuz, um einen anderen Menschen hinzurichten. Dass Gott dieses Kreuz wieder zum Zeichen des Heils wenden kann, dies ist für sie Kernpunkt der Botschaft, für die sie einsteht. Mitten im Alltag mit viel Humor und einem strahlenden Lächeln. So kommen in ihren Predigten durchaus auch schon einmal Donald Duck oder die Gewinner der Fussballmeisterschaften vor!

 

Christiane Faschon

Christiane Faschon

Christiane Faschon ist dipl. Religionspädagogin, Fachjournalistin (BR) und Dozentin.