Zur kanonistischen Rechtslage der Diözese Chur und der Apostolischen Administration

Der Artikel in der «NZZ am Sonntag» vom 4. Mai 2014 (S. 10) mit dem etwas irreführenden Titel «Bischof ohne Rechtsgrundlage. Ein Gutachten spricht dem Churer Bischof Kompetenzen in Zürich ab» erweckt den Eindruck, dass ein Gutachten von Prof. Adrian Loretan aus dem Jahr 2008 dem Churer Bischof Vitus Huonder Kompetenzen abspricht, im Kanton Zürich bischöfliche Funktionen auszuüben. Das aber sind Schlussfolgerungen, die so nicht im Gutachten zu finden sind. Wir drucken nachfolgend das erwähnte Gutachten mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Zürcher Synodalratspräsidenten ab, um der Öffentlichkeit den direkten Zugang zu diesem Gutachten zu ermöglichen.

1. Zwei Teilkirchen – eine Einheit?

1.1. Vorsteher zweier Teilkirchen (Diözese; Apostolische Administratur)

«Dem ehrwürdigen Bruder Amédée Grab, bisher Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg, nunmehr versetzt zum Churer Bischofssitz, dem die Apostolische Administration der Gegenden Obwalden, Nidwalden, Glarus, Zürich und teilweise Uri hinzugefügt ist, Gruss und Apostolischen Segen!»,1 so die deutsche Übersetzung der Ernennungsbulle zum Vorsteher von zwei Teilkirchen der Diözese Chur und der Apostolischen Administration der Gegenden Obwalden, Nidwalden, Glarus, Zürich und teilweise Uri von 1998.

In der Anmerkung 2 dieses Ernennungsschreibens wird im deutschen Text eine Erklärung gegeben. Bei diesen oben genannten Gebieten handle es sich um ehemalige Teile des Bistums Konstanz, die dem Bischof von Chur 1819 als Apostolischem Administrator vom Papst unterstellt wurden.

1.2. Rechtshistorische Anmerkungen

Es ist jedoch fraglich, ob diese Aussage den rechtshistorischen Texten standhält. Teilkirchenvorsteher der «Schweizer Quart» war nicht von Anfang an der Bischof von Chur. Mit dem Reichdeputationshauptschluss von 1803 wird die Aufhebung des Hochstiftes Konstanz in die Wege geleitet, die 1821 abgeschlossen ist. Bereits 1815 werden die Schweizer Gebiete, die zum Bistum Konstanz gehörten, durch Pius VII. abgetrennt. Diese fast die ganze Deutschschweiz umfassende «Schweizer Quart» wird zur Verwaltung von 1815 bis 1819 dem Stiftspropst von Beromünster, Franz Bernhard Göldlin von Tiefenau, übertragen. Erst nach dessen Tod wird der Churer Bischof Administrator der entsprechenden Territorien.2 Somit unterstand für einige Jahre fast die ganze Deutschschweiz dem Churer Bischof, bevor infolge der Neuordnung der Diözesaneinteilung für die Bistümer Basel und St. Gallen ab 1827 die Kantone Bern, Luzern, Zug, Aargau, Thurgau, Schaffhausen, St. Gallen und Appenzell wieder ausgeschieden wurden. «Schwyz, Obwalden, Nidwalden, Uri, Glarus und St. Gallen unterzogen sich gehorsam dieser Unterstellung ad personam [A. L.] unter den damaligen Churer Bischof. […] Die Zürcher Regierung […] verbot nach der Ernennung des Churer Bischofs zum einstweiligen Administrator den drei in ihrem Kantonsgebiet wirkenden Pfarrern in Dierikon, Rheinau und Zürich, aus Chur irgendwelche Weisung entgegenzunehmen, und wies das päpstliche Ernennungsbreve offen zurück.»3

Nota bene: eine Ad-personam-Unterstellung der «Schweizer Quart» hatte und hat keine Rechtswirkung für seinen Nachfolger auf dem Churer Bischofsstuhl. «Die Unterstellung der Zürcher Katholiken unter die Churer Administration beruhte einzig auf dem päpstlichen Breve vom 9. Oktober 1819. Diese Übertragung war von der Zürcher Regierung nie anerkannt worden, wie der Regierungsrat später bei jeder Einsprache oder Verwahrung des Bischofs ausdrücklich betonte.»4 Ausgangspunkt der kirchenrechtlichen Unklarheiten und deren entsprechender Folgen war also die provisorische Unterstellung des grössten Teils der «Schweizer Quart» des Bistums Konstanz ad personam unter den Churer Bischof Karl-Rudolf von Buol-Schauenstein im Jahr 1819. Seit 1998 ist der Diözesanbischof von Chur auch Apostolischer Administrator einer zweiten Teilkirche, die Apostolische Administratur genannt wird.

1.3. Aktuelle rechtliche Frage

Mit Urs Josef Cavelti kann bezüglich des Plans der Neueinteilung der Schweizer Bistümer postuliert werden: «Ein Bistum Zürich hat sich eigentlich von selbst angeboten. Die kirchliche Bindung an Chur ist zufällig. Der Aufbau eines Bistums wird durch das bestehende Generalvikariat erleichtert.»5

Es kann festgehalten werden, «dass die seit 1819 Chur unterstellten provisorischen Gebiete rechtlich nicht dem heutigen [1998] Churer Bischof unterstellt sind. Denn die Übertragung erfolgte 1819 ausdrücklich nur ad personam. […] Danach wurde 1833 nur Kapitelsvikar Bossi mit der gleichen Aufgabe betraut, nicht aber seine Nachfolger. Somit ist nicht einmal die innerkirchlich provisorische Unterstellung rechtlich abgesichert. Man kann sich einzig auf die Gewohnheit [«consuetudo », A. L.] berufen – und seit 1993 auf die Anerkennung der beiden Generalvikare, die in auch rechtlich unglücklicher Form dem Diözesanbischof beigestellt worden sind; sie hätten sich erst nach Erteilung von Sonderrechten zum Bischof weihen [lassen, A. L.] dürfen. Ob eine solch wichtige Territorialfrage wie die Unterstellung der von Chur administrierten Gebiete durch Gewohnheit befriedigend begründet und erst noch legitimiert werden kann, ist meiner Meinung nach fraglich», schreibt Urban Fink in der Festschrift für Weihbischof Henrici vor der Beauftragung Amédée Grabs als Churer Bischof und Apostolischer Administrator.6

Die Dissertation des Kirchenrechtlers Robert Gall bestätigt diese These des Kirchenhistorikers Urban Fink, wie schon der Titel zeigt: «Die Rechtsstellung des Bischofs von Chur als Administrator ehemals konstanzischer Bistumsteile in der Schweiz».7 Von einer nur ad personam gegebenen Bevollmächtigung des Diözesanbischofs von Chur können seine Nachfolger keine Rechte ableiten. Von Bischof Bossi an erfolgte bis Bischof Amédée Grab keine kirchenrechtlich überzeugende Verleihung der Administrationsvollmachten.8

1.4. Lösungsansätze

Wie sollen die beiden Teilkirchen (Diözese Chur und Apostolische Administratur) verbunden oder getrennt werden? Vorderhand bieten sich drei denkbare Lösungen an:

1. Die bisherige Lösung der zwei rechtlich unterschiedlichen Teilkirchen (Diözese Chur und Apostolische Administratur «Schweizer Quart») besteht weiter.

2. Es wird ein Doppelbistum Zürich-Chur («Diocesis raetia prima et turiciensis») aus zwei gleichberechtigten Teilkirchen errichtet. Die genaue Autoritätsaufteilung innerhalb dieses Bistums wäre zu klären.[8a]

3. Es werden zwei bzw. drei eigenständige Bistümer errichtet: ein Bistum Zürich («Diocesis turiciensis »), ein Bistum Chur («Diocesis raetia prima») und gegebenenfalls ein Bistum Urschweiz («Diocesis helvetia primigenia»).

Die territoriale Frage ist die eigentliche Frage im Bistum Chur und in der Apostolischen Administratur, die seit 1998 Chur angeschlossen ist. Die Umwandlung des Generalvikars in einen Bischofsvikar geht davon aus, dass die zwei Teilkirchen zusammengeschlossen werden. Dies könnte man aber auch anders sehen. Dazu soll im Folgenden die Frage nach Wesen und Struktur einer Teilkirche im Allgemeinen geklärt werden.

2. Die Teilkirche

Der Titel «Teilkirchen und die in ihnen eingesetzte Autorität » («De Ecclesiis particularibus et de auctoritate in iisdem constituta») umfasst drei Kapitel im CIC 1983. Das erste Kapitel über die Teilkirchen (cc. 368–374) enthält die Grundnormen über die Teilkirche und konkretisiert die verschiedenen Formen der Ortskirche.

Der ganze Titel I (Teilkirchen und die in ihnen eingesetzte Autorität) ist für den CIC neu konzipiert worden. Ausgehend vom Leitbegriff «Teilkirche» ist dieser Teil neu strukturiert und wesentlich von der konziliaren Lehre beeinflusst worden. Schlüsselstellen aus den Konzilsdokumenten «Lumen Gentium» (LG) und «Christus Dominus» (CD) sind wörtlich übernommen worden: z. B. c. 368 aus LG 23, oder c. 369 aus CD 11, oder c. 375 § 1 aus LG 20, 375 § 2 aus LG 21.

Der viel zitierte Satz aus LG 23 von der «in und aus Teilkirchen bestehenden Gesamtkirche», der auch verändert9 in c. 368 aufgegriffen wird, ist in LG selbst Konsequenz der gegenseitigen Zuordnung von Papst und Bischöfen, die wiederum auf das Vorbild des Apostelkollegiums mit dem hl. Petrus an der Spitze und auf die «Verfügung des Herrn» (LG 22) zurückgeht.

«Der Bischof von Rom ist als Nachfolger Petri das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen. Die Einzelbischöfe sind sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit in ihren Teilkirchen, die nach dem Bild der Gesamtkirche gestaltet sind. In ihnen und aus ihnen besteht die eine und einzige katholische Kirche» (LG 23). Es ist von dieser konziliaren Optik aus gesehen sachgerecht, dass der Diözesanbischof im Mittelpunkt des Titels I steht. Es wird sogar gefragt, ob es der Konzilstheologie noch mehr entsprochen hätte, wenn im CIC anstelle der Teilkirche der Bischof bzw. die bischöflich verfasste Kirche stärker in den Vordergrund gerückt worden wäre. Es bleibt deshalb die Frage, inwiefern die nicht bischöflich verfasste Teilkirche des geltenden Rechts (z. B. Apostolische Administratur) als gelungene Umsetzung der konziliaren Ortskirchentheologie gelten kann. Wollte der Gesetzgeber einfach die bisher bestehenden nichtbischöflichen Ortskirchen nicht vor den Kopf stossen?

2.1. Umschreibung der Teilkirche

Das erste Kapitel über die verschiedenen Organisationsformen der Teilkirche behandelt in sieben Kanones die Grundnormen für die Partikularkirchen. Nach einem Überblick über die verschiedenen Organisationsformen der Teilkirche (c. 368) werden sie einzeln dargestellt:

– Diözese (c. 369)

– Territorialprälatur/Territorialabtei (c. 370)

– Apostolisches Vikariat und Apostolische Präfektur (c. 371 § 1)

– Apostolische Administratur (c. 371 § 2).

Der Gesetzgeber hat in diesem Kapitel auf eine Legaldefinition der Teilkirche verzichtet, was angesichts der Bedeutung des Teilkirchenbegriffs für das gesamte Verfassungsrecht überrascht. Anstelle einer Legaldefinition, die klar umschreibt, welche ekklesialen Gemeinschaften als Ortskirchen im Sinne des CIC zu gelten haben, bietet c. 368 allenfalls Ansatzpunkte für eine solche Umschreibung. C. 369 zählt eine Reihe von konstitutiven Elementen auf. Es bleibt aber formalrechtlich offen, inwieweit die in c. 369 aufgezählten Elemente auch für die anderen Teilkirchen relevant sind.

Der mit der Überschrift der 2. Sektion verbundene Anspruch, rechtliche Aussagen über die verschiedenen Teilkirchen ganz allgemein zu machen, kann aber nicht in vollem Umfang eingelöst werden. Im Mittelpunkt des Interesses steht in der 2. Sektion unübersehbar die Diözese (c. 369) und damit eine bestimmte ortskirchliche Organisationsform.

Die übrigen Teilkirchen werden dagegen nur ganz allgemein erwähnt (cc. 368–371). Dementsprechend wird nur der Diözesanbischof als Teilkirchenvorsteher ausführlich behandelt (cc. 381–402). Die Bestimmungen über Koadjutor- und Auxiliarbischöfe (cc. 403–411) und über die Behinderung oder Vakanz des bischöflichen Stuhls (c. 412–430) haben fast ausschliesslich die diözesane Struktur im Blick. Diese Beschränkung auf die Diözese ist nicht zufällig. Die Codexreformkommission vertrat erklärtermassen die Auffassung, dass die Diözese sensu proprio et pleno Teilkirche sei, wie dies auch aus CD 11 hervorgehe.10 Gemäss Kanon 368 stellt die Diözese die Normalform einer Teilkirche dar. Die Sonderformen der Ortskirche (Gebietsprälatur, Gebietsabtei, Apostolisches Vikariat, Apostolische Präfektur, Apostolische Administratur) sind der Diözese gleichgestellt. Die Aufzählung der Teilkirchen in c. 368 kann nicht als erschöpfend angesehen werden, da gemäss c. 372 § 2 noch weitere personale Teilkirchen möglich sind.

Eine Teilkirche kann wie folgt umschrieben werden:

a. Eine Teilkirche ist eine «portio populi Dei», sie ist eine Gemeinschaft von Gläubigen und nicht ein Verwaltungsbezirk (cc. 369, 370, 371), der in der Regel territorial festgelegt wird (c. 372).

b. Dieser Teil des Gottesvolkes wird in der Regel einem Bischof als Vorsteher anvertraut (c. 369); der Vorsteher muss aber nicht zwingend ein Bischof sein (cc. 370, 371).

c. Der Ortskirchenvorsteher besitzt «potestas ordinaria» (c. 134), d. h. Leitungsvollmacht, aber nicht notwendig «potestas ordinaria propria» (c. 371 § 1), d. h. das Innehaben und Ausüben der Leitungsvollmacht im eigenen Namen. Ist dies nicht der Fall, spricht man von der «potestas ordinaria vicaria», der stellvertretenden, d. h. verliehenen Leitungsvollmacht.

d. Die Aufgaben des Ortskirchenvorstehers umfassen die «tria munera» (Heiligung, Verkündigung und Leitung), was gemäss dem Dekret über das Laienapostolat (AA 2) das gesamte Spektrum der christlichen Sendung ausmacht.

e. Der Ortskirchenvorsteher nimmt seine Sendung zusammen mit dem Presbyterium wahr (c. 369).

f. Eine Teilkirche ist ein Inkardinationsverband, hat also das Recht, Kleriker auszubilden, sie zur Weihe zu führen und sie zu inkardinieren (c. 265). Der Leiter dieses Inkardinationsverbandes muss die Weihe nicht selber spenden können (z. B. Abt von Einsiedeln als Vorsteher der Territorialabtei c. 370). Diesbezüglich ist im deutschen Sprachraum der Gebrauch von «Prälat» im Sinne von Vorsteher einer Teilkirche zu unterscheiden von «Prälat» im Sinne eines Klerikers, dem ehrenhalber der Titel «Ehrenprälat seiner Heiligkeit» verliehen wurde. Damit ist keine Leitungsvollmacht verbunden.

2.2. Die Diözese als Teilkirche

Die Diözese repräsentiert nur die Idealform der Teilkirche. Im Unterschied zum Dogmatiker interessiert sich der Kanonist aber auch gerade für die Ausnahmen, denn die sagen oft sehr viel aus, was dem Gesetzgeber wirklich wichtig ist und wie sich das kirchliche Leben trotz der Dogmatik entwickelt hat.

Kanon 369 umschreibt die Diözese in einem theologischen Leitsatz. Er greift dabei wörtlich auf das Konzilsdekret über das Bischofsamt (CD 11a) zurück. Danach sind für eine Diözese folgende Elemente konstitutiv, wie die Legaldefinition festhält:

2.2.1. Teil des Gottesvolkes

«Diocesis est populi Dei portio.» Die Diözese ist Teil des Gottesvolkes, besteht also aus einer bestimmten Gruppe von katholischen Christgläubigen. Vom Kodex wird die Diözese also personal und nicht territorial festgelegt. Eine Diözese besteht also aus der Gesamtheit derjenigen Getauften, die der Hirtensorge eines Bischofs anvertraut sind. Dabei ist die territoriale Abgrenzung nicht konstitutiv, sondern determinativ.11

2.2.2. Der Bischof ist Hirte der ihm anvertrauten Ortskirche und arbeitet mit dem Presbyterium zusammen

Dem Diözesanbischof kommt eine besonderer Bedeutung zu: Er garantiert nicht nur die Existenz der Gesamtkirche in der Ortskirche, insofern er das sichtbare Prinzip der Einheit in der Ortskirche darstellt. Zusammen mit anderen Bischöfen bildet er das Bischofskollegium, dessen Haupt der Papst ist. Er gewährleistet damit, dass die Ortskirchen nicht unverbunden nebeneinander existieren, sondern untereinander in einer «communio ecclesiarum» stehen und so in ihrer Gesamtheit die Universalkirche bilden, die damit entsprechend LG 23 und c. 368 nicht nur in, sondern auch aus Teilkirchen besteht.

Als rechtmässiger Hirte seiner Diözese ist er Ortsordinarius (c. 134 § 2) mit ordentlicher, eigenberechtigter und unmittelbarer Leitungsvollmacht (c. 381 § 1). Wie er seine Hirtensorge ausübt, arbeitet die für einen Gesetzestext untypisch bildhafte Sprache des Kanon (Hirte, weiden) nicht heraus.

Aus dem Kanon wird lediglich deutlich, dass drei Bereiche besondere Bedeutung bekommen:

a) die Verkündigung der Evangeliums;

b) die Feier der Eucharistie;

c) die Zusammenführung der Gläubigen im Heiligen Geist.

Diese Aufgabenumschreibung greift der Sache nach die vom Konzil formulierte Lehre auf. Danach haben die Bischöfe das dreifache Amt Christi in hervorragender Weise inne und handeln in der Person Christi, und zwar

a) als Lehramt, d. h. die Verkündigung des Evangeliums;

b) als Priesteramt, d. h. die Feier der Eucharistie;12

c) als Hirtenamt, d. h. die Zusammenführung der Gläubigen.

Der Bischof soll mit dem Presbyterium zusammenarbeiten. Wie diese Zusammenarbeit auszusehen hat, darüber schweigt der Kanon. Durch die Aufteilung der Teilkirche in Pfarreien gemäss c. 374 ist die Zusammenarbeit zwischen Bischof und dem Presbyterium bezüglich Verkündigungsdienst, Heiligungsdienst und Hirtendienst gewährleistet.

Als eigenberechtigter Hirte der ihm anvertrauten Pfarrei, aber unter der Autorität des Diözesanbischofs, nimmt der Pfarrer die Seelsorge für einen Teil des diözesanen Gottesvolkes wahr (c. 515) und setzt auf diese Weise c. 369 um, indem er das Evangelium verkündet (Verkündigungsamt), Eucharistie feiert (Heiligungsamt) und das Gottesvolk zusammenführt (Hirtenamt). Es gehört zu den vom Recht festgelegten Aufgaben des Pfarrers, für die ihm anvertraute Gemeinschaft Leitungsdienst auszuüben (c. 519).

2.2.3. Das Ziel der Diözese: das Zusammenführen der Gläubigen zu einer Gemeinschaft

Es ist also die Aufgabe des Bischofs, in Zusammenarbeit mit dem Presbyterium, die Gläubigen durch das Verkünden des Evangeliums (Verkündigungsdienst) und durch die gemeinsame Feier der Eucharistie (Heiligungsdienst) im Heiligen Geist (Hirtendienst) zusammenzuführen, wie in c. 369 beschrieben. Alle kirchlichen Lebensvollzüge der konziliaren und kanonischen Lehre werden in der Teilkirche greifbar. Der Teil des Gottesvolkes (portio populi Dei) wird zu einer Gemeinschaft der Gläubigen auferbaut und gefestigt durch die Verkündigung des Wortes, die Feier der Sakramente und das lebendige Wirken des Geistes Gottes.

2.2.4. In der Teilkirche ist die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche Christi gegenwärtig und wirksam (c. 369, vgl. c. 368)

Eine Diözese darf also nicht verstanden werden (wie im römischen Recht) als eine politische Ordnungseinheit und auch nicht als kirchlicher Verwaltungsbereich noch als ein Gebiet, das durch bestimmte politische oder geografische Grenzen umschrieben wird. Ebenso wenig ist die Teilkirche ein Verwaltungsbezirk der Gesamtkirche noch rechtlich völlig selbstständig. Sie ist eine geistliche Grösse, deren eigentliches Wesen dann in den Blick kommt, wenn man bedenkt, dass sie einerseits alle Lebensvollzüge der Kirche in sich birgt und andererseits auf die Gesamtkirche hingeordnet (katholisch) ist, die in und aus Teilkirchen besteht (LG 23a; c. 368).

2.2.5. Die Gläubigen: Mitträger der kirchlichen Heilssendung

Bei diesem theologischen Leitkanon 369, der eine theologische Wesensbeschreibung der Teilkirche geben will, fehlt die Aussage, dass die Gläubigen an der Heilssendung der Kirche mittragen. Es wird nur gesagt, dass sie der Hirtensorge des Bischofs anvertraut sind, der sie «weidet». Sind damit die Laien nur Objekte der Seelsorge? Ein solches Verständnis der Teilkirche als einer reinen Betreuungsinstitution liegt dem CIC fern. Denn nach diesem Gesetzbuch erscheint die Mitwirkung der Laien bei der Ausübung der Seelsorge, ja sogar der Hirtensorge (nur gemäss dem lateinischen, d.h. dem verbindlichen Text [c. 517]) nicht nur möglich, sondern auch notwendig. Grundlage dafür ist die Teilhabe aller Gläubigen am priesterlichen, prophetischen und königlichen Dienst Christi (vgl. c. 204 § 1). Damit nehmen sie auch teil am (prophetischen) Verkündigungsdienst, am (priesterlichen) Heiligungsdienst und am (königlichen) Leitungsdienst, wie dargestellt z. B. in c. 129 § 2.

Erst auf dieser Grundlage war es möglich geworden, auch die Ämter der vom Bischof Beauftragten (z. B. Pastoralassistentin, Katecheten) zu thematisieren. Da dies der CIC an dieser Stelle ganz übersieht, kann ergänzend mit den Laienämtern in Konzil (LG 33c) und Kodex (c. 228–231) argumentiert werden.

2.3. Apostolische Administratur

Der Kanon 371 § 2 legt fest: «Die Apostolische Administratur ist ein bestimmter Teil des Gottesvolkes, der wegen besonderer und wirklich schwerwiegender Gründe vom Papst nicht als Diözese errichtet wird und dessen seelsorgerliche Betreuung einem Apostolischen Administrator übertragen wird, der sie im Namen des Papstes zu leiten hat.» Eine Apostolische Administratur ist eine diözesenähnliche Teilkirche (c. 368), die aus schwerwiegenden Gründen (noch) nicht als Diözese errichtet wird. Sie ist einem Apostolischen Administrator übertragen, der sie im Namen des Papstes mit ordentlicher stellvertretender Gewalt leitet (c. 371 § 2). «Diese Organisationsform wird gewählt, wenn kirchenpolitische Gründe eine endgültige Festlegung der Grenzen einer Diözese nicht gestatten.»13 Welche kirchenpolitischen Gründe in Zürich ausschlaggebend waren, dass diese Apostolische Administration nicht als Diözese errichtet wurde, wäre zu prüfen. Jahrzehntelang wurde schlicht bei der Amtseinsetzung eines neuen Bischofs von Chur übersehen, dass diese Teilkirche «Apostolische Administratur » nicht zum Bistum Chur gehört.

Diesbezüglich von besonderem kirchenrechtlichem Interesse wird das Verständnis des Passus im c. 371 § 2 über das Wesen der Apostolischen Administration sein. Es heisst dort: «wegen besonderer und wirklich schwerwiegender Gründe vom Papst nicht als Diözese errichtet». Daraus wird ersichtlich, dass eine Apostolische Administration wesenhaft im Hinblick auf die Errichtung einer Diözese geschaffen wird, diese aber aufgrund von bestehenden Hindernissen nicht errichtet werden kann. Eine Apostolische Administratur ist also Teil eines Evangelisierungsprozesses, der sich kirchenrechtlich in der Abfolge verschiedener innerkirchlicher Organisationsformen niederschlägt. In diesem Sinne ist eine Apostolische Administratur immer ein Provisorium, eine Übergangslösung für die Zeit, da es noch schwerwiegende Gründe gegen die Errichtung eines Bistums gibt. Fallen diese weg, entfällt auch die Raison d’Être der Apostolischen Administratur, und der betroffene Teil des Gottesvolkes sollte entweder zu einer eigenen vollwertigen Diözese vom Papst errichtet werden oder aber einer vollwertigen eigenständigen Diözese angegliedert werden.

Was sind die schwerwiegenden Gründe in Zürich und in der Innerschweiz, die dies verhindern?

2.4. Errichtung, Aufhebung und Veränderung einer Teilkirche14

Zu Kanon 373 stellen sich zwei Fragen. Erstens: Wer hat die Kompetenz, neue Teilkirchen zu errichten? Und zweitens: Kann eine Teilkirche von selbst ins Dasein treten, z. B. in regelmässigen Versammlungen eines bestimmten Teils des Gottesvolkes, das allmählich ein teilkirchliches Bewusstsein entwickelt? Zur Beantwortung muss beachtet werden, dass die Errichtung der Teilkirche ein hoheitlicher Akt ist, da sie ein Glied der hierarchischen Verfassung der Kirche darstellt. Dennoch kann die höchste Autorität solche oben beschriebenen Initiativen aufgreifen und im Dialog mit ihnen die Errichtung einer Teilkirche vorantreiben.

Weiter ist zur fragen, inwiefern die Bischöfe und Bischofskonferenzen bei der Errichtung neuer Teilkirchen mitwirken. Da es ausschliesslich Sache der höchsten Autorität ist, Ortskirchen zu errichten, können die Bischofskonferenzen gemäss c. 373 völlig umgangen werden bei territorialen Teilkirchen. Bei personalen Teilkirchen ist ein Anhörungs«recht» gegeben (c. 372 § 2). In den Vorentwürfen zu den cc. 372 § 2 und 431 § 3 war immer nur von Anhörungsrechten, nie jedoch von Mitbestimmungsrechten oder gar von Entscheidungsbefugnissen für Bischofskonferenzen die Rede.

Praktisch wird eine neue Teilkirche so errichtet, dass eine besonders feierliche Form gewählt wird: in der Regel eine Apostolische Konstitution des Papstes. In der Errichtungsurkunde wird festgelegt, was für die Identität der neuen Ortskirche von Bedeutung ist: äussere Form (Metropolitandiözese, Diözese, Territorialprälatur, Personaldiözese usw.), Name, Sitz, Vorsteher, der eingesetzt wird.

Die Aufhebung oder Veränderung einer Teilkirche werden in c. 373 nicht mehr angesprochen, im Unterschied zu c. 431 § 3. (Beide gingen aus dem c. 185 §§ 2 und 3 des Schemas «Populi Dei» hervor.) Ob es sich dabei um mangelnde redaktionelle Sorgfalt handelt, steht offen. Sicher stellt sich die Frage nach den Auswirkungen dieses Schweigens.

Für die Aufhebung gilt, was c. 120 § 1 für das Erlöschen einer juristischen Person vorschreibt: «Eine juristische Person ist ihrer Natur nach zeitlich unbegrenzt, sie erlischt aber, wenn sie von der zuständigen Autorität rechtmässig aufgehoben wird oder durch einen Zeitraum von hundert Jahren zu handeln aufgehört hat» (c. 120 § 1). Aufgrund von c. 373 ist weder geklärt, wer für die Aufhebung einer Teilkirche zuständig ist, noch ist geregelt, wann eine solche Aufhebung rechtmässig wäre.

Für die Veränderung einer juristischen Person bedarf es ebenfalls einer dazu berechtigten Autorität gemäss c. 122. Diese wird in c. 373 nicht genannt. Es stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber betreffend Aufhebung und Veränderung einer Teilkirche keine über cc. 120 § 1 und 122 hinausgehende Regelung treffen wollte. Wenn ja, ergäbe sich daraus die Konsequenz, dass eine einmal errichtete Teilkirche nur dann aufhört zu bestehen, wenn sie hundert Jahre faktisch nicht mehr existiert. Somit hätte der Gesetzgeber im Rahmen der von ihm erlassenen Normen keine Möglichkeit, bestehende Teilkirchen zu verändern, in einem anderen Rahmen allenfalls schon.

Georg Bier fasst deshalb das Schweigen des c. 373 zu Aufhebung und Veränderung einer Teilkirche als «lacuna legis» auf. Diese Gesetzeslücke lässt sich mit Hinweis auf die Textgeschichte und die parallele Vorschrift von c. 431 § 3 schliessen. Der für die Errichtung einer Teilkirche zuständigen Autorität (c. 373) steht auch das Recht zu, eine Teilkirche aufzuheben und zu verändern. Diese Auffassung hat sich der Gesetzgeber zu eigen gemacht, wie verschiedene Beispiele zeigen, z. B. die Errichtung der (Erz-)Diözesen Hamburg, Erfurt und Magdeburg durch Abtrennung von bereits bestehenden Diözesen, womit der Tatbestand des c. 122 über die Veränderung einer Rechtspersönlichkeit erfüllt ist.

Eine exakte Formulierung des Kanons wäre angemessener gewesen. Die Annahme der Gesetzeslücke in c. 373 ist notwendig, weil die sich sonst ergebenden Rechtsfolgen problematische Konsequenzen hätten.

3. Abschliessende Bemerkungen

Die territorialen Fragen im Bistum Chur und in der Teilkirche «Apostolische Administratur» der ehemaligen «Schweizer Quart», die dem Bischof von Chur als Apostolischem Administrator seit 1998 übertragen werden, müssen angegangen werden. Deren kirchenrechtliche Beantwortung wird sicherlich auf dem Hintergrund sowohl theologischer als auch politischer und gesellschaftlicher Überlegungen zu lösen sein und entsprechende, weitreichende Auswirkungen haben, nicht nur auf das innerkirchliche Leben. Auch müssen die entsprechenden Zuständigkeiten und Aufteilungen unter Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung gesellschaftlich vernünftig und rechtlich korrekt definiert werden. Daraus folgt, dass die Regelung betreffend die Frage nach der zuständigen kirchlichen Autorität in Zürich (Generalvikar oder Bischofvikar) kirchenrechtlich korrekt nur möglich wird auf dem Hintergrund einer sauberen grundsätzlichen Lösung der alten Teilkirchenfrage im derzeitigen Bistum Chur und der zur Verwaltung dem Bischof von Chur übertragenen Apostolischen Administratur.

 

 

1 Johannes Paulus, Bischof, Diener der Diener Gottes [Ernennungsbulle für Amédée Grab als Bischof von Chur und Apostoloscher Administrator von Obwalden, Nidwalden, Glaurs, Zürich und Teilen Uris in deutscher Übersetzung], in: SKZ 166 (1998), 490.

2 Zur Abtrennung der Schweizer Quart vgl. Franz Xaver Bischof: Das Ende des Bistums Konstanz. Stuttgart 1989, 337–398.

3 Urban Fink: Ein definitives Provisorium? Zur Territorialgeschichte des Bistums Chur im 19. und 20. Jahrhundert, in: Urban Fink / René Zihlmann (Hrsg.) – Kirche – Kultur – Kommunikation. Peter Henrici zum 70. Geburtstag. Zürich 1998, 671–689, hier 672 f.

4 Ebd., 680.

5 Ebd., 682.

6 Ebd., 687.

7 Freiburg 1954.

8 Ebd., 63–74. Die Nachweise zu den folgenden drei Bischöfen liefert Urban Fink: «Christian Caminada wurde mit (…) der Churer Diözese ohne die Administrationsgebiete belehnt (Acta Apostolicae Sedis XXXIII [1941], 513); Johannes Vonderach wurde Koadjutor für das reine Churer Diözesangebiet (ebd. XXXXIX [1957], 1042; vgl. Folia officiosa LXVIII [1962], 62 f.); in der Ernennungsurkunde von Wolfgang Haas werden die Administrationsgebiete nicht genannt (Walter Gut: Zur Ernennung eines Koadjutors des Bischofs von Chur, in: Ders.: Politische Kultur in der Kirche (…) Freiburg/ Schweiz 1990, 72–113, hier 81 f.; vgl. Acta Apostolicae Sedis LXXX [1988], 1036).», in: Fink, Ein definitives Provisorium? (wie Anm. 3), 687, Anm 72.

[8a] Diese Lösungsvariante scheiterte 2006 kurz vor der Umsetzung am Rückzug der Zusage von Bischof Amédée Grab mit der Begründung, Nidwalden sei dagegen (Urban Fink: Verpasste Chance für den Kanton Zürich, in: Alfred Borter u. a.: Katholiken im Kanton Zürich – eingewandert, anerkannt, gefordert. Zürich 2014, 237 (Anmerkung der SKZ-Redaktion).

9 Von den meisten Kommentaren wird die kleine, aber wesentliche Änderung nicht gesehen: «Teilkirchen, in denen und aus denen die eine und einzige katholische Gesamtkirche besteht».

10 Comm. IX [1977], 251.

11 Comm. XVII [1985], 92.

12 Vgl. dazu: LG 21b; c. 375 § 1 und § 2. Vgl. auch: LG 20; CD 2.

13 Joseph Listl: Artikel Apostolische Administratur, in: Lexikon für Kirchenrecht, hrsg. von Stephan Haering und Heribert Schmitz. Freiburg i. Br. 2004, 21–23, hier 21.

14 Vgl. für die Schweiz: Christoph Winzeler: Der «Bistumsartikel» der Schweizerischen Bundesverfassung von 1874 – ein Fossil der neueren Verfassungsgeschichte?, in: Schweizerisches Jahrbuch für Kirchenrecht 2 (1997), 47–54.

Adrian Loretan

Adrian Loretan

Prof. Dr. Adrian Loretan ist Ordinarius für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht an der Universität Luzern und Co-Direktor des Zentrums für Religionsverfassungsrecht