Zum Sprechen über Ehe und Familie bei der Bischofssynode 2015

1 Ehe und Familie sind voneinander zu unterscheiden. Sie dürfen weder gleichgesetzt noch im Sprachgebrauch als variable Begriffe verwendet werden. Das Lehramt unterliegt kontinuierlich diesem Missverständnis. Dies ist mit eine Ursache dafür, dass Ehe theologisch nicht ausreichend reflektiert ist und die Zweierpartnerschaft von Ehepaaren in ihren Chancen und Risken soziologisch und theologisch zu wenig wahrgenommen wird.

Aus Ehe kann Familie werden, muss es aber nicht. Wäre die Entwicklung von der Ehe zur Familie konstitutiv, dürften ältere Paare nicht (mehr) getraut werden, und Unfruchtbarkeit würde ipso facto eine Ehe ungültig machen.

Auch empirisch ist die Differenzierung von Ehe und Familie aufzeigbar. Die Familienphase bildet im Laufe einer Ehe einen bestimmten Abschnitt, dem in der Regel Zeiten der (ausschliesslichen) Paarbeziehung vorangehen und folgen. Dass sich in diesen einzelnen Phasen der Ehe die Paarbeziehung ändert (und zwar nicht nur aus Gründen des Lebensalters), verdient in der Reflexion eine grössere Beachtung, auch eine eingehende theologische Analyse.

2 Die kontextuelle Einbettung des Eheverständnisses verdient besondere Beachtung und ruft nach einem regional differenzierten Weg der Ehepastoral. Dabei ist besonders auch darauf zu achten, dass sich auch in ein und derselben Region die Einstellung zu und die Praxis von Ehe gewandelt hat.

Diesem Anliegen kann konstruktiv begegnet werden, wenn mit «Gaudium et spes» Nr. 4 im Zuge einer Analyse der diesbezüglichen Zeichen der Zeit versucht wird, «die Welt, in der wir leben, ihre Erwartungen, Bestrebungen und ihren oft dramatischen Charakter zu erfassen und zu verstehen» und danach auf dieser Grundlage mit Vorsicht danach gefragt wird, ob und in welcher Weise sich in diesem Befund «wahre Zeichen der Gegenwart oder der Absicht Gottes» (GS 11) identifizieren lassen.

Mit dem Hinweis darauf, dass dieser Vorgang «in einer jeweils einer Generation angemessenen Weise» geschehen müsse, gibt «Gaudium et spes» Nr. 4 auch den entsprechenden Rhythmus für ein kontinuierliches Aggiornamento vor. Mit diesem methodischen Instrument kann gewährleistet werden, dass das theologische Sprechen über Ehe möglichst nahe an den angesprochenen Menschen liegt und konkret deren Anliegen aufnehmen bzw. thematisieren kann.

3 Die theologische Sprache der Synode darf keine kirchliche Binnensprache sein. Sie muss möglichst konkret und für die angesprochenen Menschen (das sind Christinnen und Christen, vornehmlich solche, die in einer Ehe leben) verständlich sein.

Auch aus diesem Grund legt sich nahe, das bisher dem Eheverständnis zugrundeliegende scholastische Sprachmuster und ein dementsprechendes Gottesbild ruhen zu lassen und sich einer an der Bibel und ihrer Sprechweise orientierten, möglichst narrativen Darlegungsform zuzuwenden.

Dies ist auch deswegen angeraten, weil unter den Adressatinnen und Adressaten der Synodentexte vermutlich ein geringes theologisch-religiöses Wissen vermutet werden darf. Zugleich ist die An- nahme naheliegend, dass ein entsprechendes Restwissen vornehmlich im Bereich des Erzählstoffes der Bibel im Laufe des Lebens erhalten geblieben ist.

4 Methodologische Voraussetzung für ein zeitgemässes theologisches Sprechen über Ehe ist eine Überprüfung des kirchlich-lehramtlichen Umgangs mit der Bibel.

Wie anhand zahlreicher lehramtlicher Dokumente der letzten Jahrzehnte nachgewiesen werden kann, hat das oberste Lehramt der Kirche und haben zahlreiche Bischöfe die hermeneutischen Aussagen von «Dei verbum» nicht rezipiert bzw. die entsprechenden Folgerungen für die Auslegung der Heiligen Schrift nicht gezogen. So ist festzustellen, dass die Tendenz zu einem wörtlich-historisierenden, fundamentalistischen Bibelverständnis auf den verschiedenen Ebenen der Kirchenleitung nach wie vor stark ausgeprägt ist – dies obwohl einzig dieser Zugang zur Bibel von der Päpstlichen Bibelkommission ausdrücklich zurückgewiesen wurde (Dokument von 1993). Gerade der Katechismus der Katholischen Kirche lässt erkennen, dass die von «Dei verbum» Nr. 12 aufgegebene Erforschung der Aussageabsicht des Verfassers nicht durchgeführt oder, wird diese Arbeit von der Bibelwissenschaft geleistet, praktisch nicht zur Kenntnis genommen wird. Gerade die bisherige Verwendung der «klassischen» Bibelstellen zur Ehe lässt dies überdeutlich erkennen.

Die Synode muss daher entweder selbst eine entsprechende bibelwissenschaftliche Grundlagenarbeit leisten oder sich diese vorweg aus dem bibelwissenschaftlich erarbeiteten Forschungsstand aneignen, damit sie in ihren theologischen Reflexionen nicht in einem verkürzten Bibelverständnis gefangen bleibt. Denn auch in diesem inhaltlichen Kontext stellt sich die Frage, wie theologische Aussagen zu bewerten sind, die auf einem nachweislich überholten (und damit auf einem für einen heute durchgeführten theologischen Prozess falschen) Bibelverständnis aufbauen.

5 Aus bibelwissenschaftlicher Sicht ergeben sich diesbezüglich verschiedene Grunddesiderate:

  • Eine erneute Reflexion der Schöpfungserzählungen insbesondere hinsichtlich der Stellung von Frau und Mann in der Schöpfung und in ihrem Verhältnis zu Gott; hinsichtlich des Charakters von Gen 1,28 als Segen, nicht als Imperativ;
  • Reflexion der Ehe als Metapher für das Verhältnis Gottes gegenüber Israel und umgekehrt in der Jüdischen Bibel;
  • Analyse der Zielsetzung von Ehe in der Jüdischen Bibel im Zusammenhang mit der Verheissung von zahlreicher Nachkommenschaft an Abraham;
  • Analyse des Begriffs berith [Bund] im Blick auf das Eheverständnis, insbesondere hinsichtlich der gegenseitigen Verantwortung (und in diesem Sinne: Festlegung) der Bundespartner und ihrer darin enthaltenen Proexistenz;
  • Reflexion über die diesbezügliche Verkündigung Jesu unter Berücksichtigung von verbaler und nonverbaler Kommunikation (im Sinne von «Dei verbum» Nr. 2: «in Tat und Wort …»);
  • Überprüfung der gängigen Auslegung von Eph 5 unter Berücksichtigung von Struktur und Phrasierung des Textabschnittes.

6 Aus bibelwissenschaftlicher Perspektive legt sich insbesondere die Berücksichtigung folgender exegetischer Forschungsergebnisse nahe:

  • Paulus versteht die Ehe nach 1 Kor 7,1–8 (bes. V 8) als eine der Gnadengaben (Charismen), die den Menschen gegeben sind. Diese eminent positive Einordnung, der auch die persönliche paulinische Bevorzugung der Ehelosigkeit keinen Abbruch tut, kann dem theologischen Selbstwert der Ehe erheblich förderlich sein und kann zugleich den Ausgangspunkt dafür bilden, Ehe in einen unmittelbaren ekklesiologischen Bezug zu rücken.
  • Die frühe Kirche weiss sich wohl aufgrund der Binde- und Lösegewalt (vgl. Mt 16,19 und Mt 18,18, vgl. Joh 20,23) dazu legitimiert, die Weisung Jesu hinsichtlich der Dauerhaftigkeit einer Ehe in besonderen, auf die Situation in den Ortskirchen bezogenen Gegebenheiten entsprechend zu adaptieren (vgl. 1 Kor 7,12-16; Mt 5,32; 19,9). An dieses Modell eines Aggiornamento könnte dort angeknüpft werden, wo eine Regelung hinsichtlich von Zweitehen die Handlungskompetenz des Lehramtes und der gesamten Kirche in regionaler Diversifizierung herausfordert.

7 Die Vorstellung der Kirche als Volk Gottes auf der Pilgerschaft (vgl. zunächst 1 Kor 12, sodann «Lumen gentium» Nr. 9) ist besonders dazu geeignet, den Wegcharakter auch der Ehe als Partnerschaft zweier Menschen zueinander zu verdeutlichen und dies zugleich in den Kontext von Kirche zu stellen.

Die Reflexion des Bildes erschliesst eine Vielfalt von «Orten» und Modi, an denen und wie Christinnen und Christen in der Kirche unterwegs sein können (vorne, hinten, rechts, links, schneller oder langsamer, gerade auf einer Rast oder sogar in einer Auszeit …, aber alle unterwegs) und dabei die Begleitung der Kirche beanspruchen dürfen. Diese Vorstellung von Kirche verdeutlicht auch ihre Fragilität. Jesus von Nazaret hat diese auch in seiner Nachfolgegemeinschaft abgebildet gefunden, die gerade darin nicht der Gemeinschaft von Qumran gleicht.

Die Umschreibung von Kirche als dem Volk Gottes auf dem Pilgerweg enthält die notwendige Dynamik, um damit den Gedanken einer Gradualität und damit eines angestrebten, bzw. möglichen Fortschrittes weiterentwickeln zu können.

8 Die Vorstellung von Kirche als dem Volk Gottes setzt unverzichtbar ein bestimmtes, biblisch geprägtes Gottesbild voraus, welches zwar vom Konzil angedacht und formuliert, in der Folge jedoch nicht konsequent genug verfolgt wurde. In «Dei verbum» Nr. 2 wird dieser Gott als ein sich selbst offenbarender Gott beschrieben, der die Freundschaft und Gemeinschaft des Menschen sucht und ihn «aus seiner überströmenden Liebe» «teilhaftig werden lässt an seiner göttlichen Natur», um ihn zur Lebensfülle mit ihm, also Gott, zu führen. Der Glaubensweg des Menschen wird hier als ein personaler Beziehungsweg angedacht, der in der Personalität dieser Offenbarung in Jesus Christus seinen Höhepunkt findet (vgl. DV 4). Der biblische Hintergrund einer solchen Rede von Gott kann unschwer identifiziert werden. Er ist in den Schöpfungserzählungen, sodann in Ex 3 zu erkennen und scheint überall dort durch, wo das Verhältnis zwischen Gott und Mensch in der Sprechweise der Bundesformel ausgedrückt wird – von Gen 9 bis Offb 21. Die Evangelien zeigen, dass Jesus von Nazaret dieses Gottesbild nicht nur rezipiert, sondern noch verfeinert hat.

Gerade die Person werdende Dichte des Beziehungsangebotes Gottes ladet dazu ein, den Versuch und die Absicht zweier Menschen, eine liebende Partnerschaft in Treue, Ausschliesslichkeit und auf Dauer zu leben, unter dieser Perspektive zu reflektieren und die entsprechenden Verbindungslinien theologisch zu denken.

Eine Bischofssynode über die Ehe legt mehr denn je nahe, dass sich die Kirche zur herausragenden Bedeutung dieses Gottesbildes für ihre Pilgerschaft heute bekennt. Dass daneben auch andere Gottesvorstellungen ernst genommen werden können und müssen, darf und muss darum keineswegs verschwiegen werden. Es ist jedoch unbestritten, dass es heute notwendig ist, Gott in positiven Konturen zu umschreiben und damit den Menschen vor allem eine Hoffnung verheissende, Liebe ausstrahlende Persönlichkeit vorzustellen – zumal der biblische Befund dies mehr als rechtfertigt, ja sogar dringend nahelegt.

9 Die Vorstellung von Kirche als dem pilgernden Volk Gottes lässt nach der grundlegenden Bedeutung der Sakramente fragen. Das Verständnis ihres heilenden, den Menschen auf seinem Lebensweg unterstützenden Charakters setzt sich heute vermehrt durch. Dann muss gefragt werden, ob Lehre und Praxis der Kirche, dem Menschen an den entscheidenden Wegpunkten seines Lebens ausschliesslich das «volle Glas» anzubieten, der notwendigen pastoralen Sorge entspricht. Denn wer einen Segen erbittet, mag noch nicht fähig sein, mit einem Sakrament umzugehen. Insbesondere im Kontext von Taufe und Eheschliessung ist diese notwendige Form der Gradualität im Blick auf neue Wege in der Pastoral zu bedenken.

10 Will die Synode dem Kernanliegen des gegenwärtigen Bischofs von Rom gerecht werden, so muss sie auch in ihrer Reflexion über die Ehe Jesus Christus explizit ins Zentrum der vorgetragenen Theologie stellen.

Gerade im Falle des Sprechens über die Ehe wird dies anhand der Wortverkündigung Jesu nicht gelingen, da diese zu diesem Thema sehr überblickbar ist und sich vorwiegend mit Negativfragen beschäftigt. Es sollte auch weder die johanneische Erzählung von der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1–12) noch die Begegnung Jesu mit der Ehebrecherin (Joh 7,53–8,11) zu intensiv (und damit über-)interpretiert werden.

Der Weg führt notwendigerweise zu einer umfassenden Analyse des Wirkens Jesu, aus der sodann implizit Folgerungen für die Entwicklung von Grundlinien des Eheverständnisses und einer Ehepastoral abgeleitet werden können.

Diesbezügliche Vorarbeiten liegen umfassend und vielfältig vor. Auch wenn sie klassischen Charakter haben (z. B. Heinz Schürmann, Helmut Merklein), einmal etwas vorsichtiger (z. B. Thomas Söding) oder etwas deutlicher (z. B. Martin Ebner, Ludger Schenke u. a.) formuliert sind, stimmen sie doch weitgehend in den Kernpunkten überein: das Engagement Jesu von Nazaret für Marginalisierte jedweder Art, seine kritische Haltung gegenüber dem festgefügten religiösen Establishment, seine uneingeschränkte Ausrichtung auf andere Menschen, die sich in seiner Grundhaltung der Liebe, der Dienstbereitschaft und in seiner Absicht spiegelt, jedem Menschen, der sich selbst dafür öffnen möchte, das Heil zu wirken und zu ermöglichen. Bekanntlich werden demgegenüber bestehende Vorschriften und Regeln trotz ihrer gewahrten allgemeinen Gültigkeit im Einzelfall auf nachgeordnete Ränge verwiesen.

Gerade ein theologisches Sprechen über die Ehe braucht das Aushalten dieser Spannung zwi-schen Grundsatztreue und Zuwendung zum Menschen, die Jesus von Nazaret charakterisiert hat und die zum Alleinstellungsmerkmal für ihn geworden ist. Dafür ist die Kirche auf die ermutigende und ermächtigende kraftvolle Dynamik des Geistes angewiesen, die den Christinnen und Christen in der Taufe und der Kirche als Ganzes zugesagt ist. Dafür, dass sich die Kirche darauf einlässt und sich davon wirklich tragen lässt, dafür könnte die Bischofssynode ein Testfall werden.

 

 

Walter Kirchschläger

Walter Kirchschläger

Prof. em. Walter Kirchschläger war 1982–2012 ordentlicher Professor für Exegese des Neuen Testaments an der Theologischen Fakultät Luzern und von 2000 bis 2001 Gründungsrektor der Universität Luzern.