Zum kirchlichen Dienst berufen

Fischer

Für eine Kirche und Gesellschaft der Zukunft braucht es engagierte Frauen wie Männer als Seelsorgerinnen und Seelsorger. Manfred Belok legt Gedanken zur Ausbildung vor.

Und Seelsorger*in zu sein ist nach wie vor ein attraktiver Beruf und eine wirkliche Berufung. Aber: Auf welche Pastoral hin sollen Menschen, die zu einem Dienst in der Kirche bereit sind und sich auf ihn vorbereiten wollen – sei es auf die Übernahme eines ordinierten Amtes (Priester, Ständiger Diakon), sei es auf das eines Kirchenamtes (Pastoralassistent*in, Katechet*in, Religionslehrer*in) – heute ausgebildet werden? Welche Kompetenzen sollen sie aus- und weiterbilden, damit sie einer Kirche und Gesellschaft der Zukunft dienen können? Kirche ereignet und vollzieht sich nach Ausweis der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute dort, wo sie die «Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute» (GS 1) zu ihrer eigenen werden lässt. Nicht die kirchliche Binnenwelt, sondern ihr Aussen, «die Welt ist das Wofür der Kirche»1. Welche Konsequenz hat das für die Kirche und ihre Pastoral heute?

Kirche ist eine Baustelle im Umbau

Kirche heute ist eine Baustelle, im Umbau begriffen. Kirche kreativ in die Zukunft zu denken, heisst: abreissen, umbauen, aufbauen. Abreissen meint nicht mehr fragen: Wie werden die leeren Kirchen wieder voll, wie lassen sich mehr Männer für den Beruf des Priesters gewinnen, welche Plätze können «Laien»-Theolog*innen im kirchlichen Dienst einnehmen? Umbauen zielt die Abkehr vom pastoralen Versorgungs- und Betreuungsdenken an. Nicht, weil die Service-Erwartungen der Basis an die hauptberuflichen Seelsorger*innen von diesen als zu hoch empfunden werden. Kommt es doch oft zu einer Anspruchsspirale, die beide Seiten stranguliert: Manche Priester und manche Pastoralassistent*innen in den neuen grossen pastoralen Räumen fühlen sich durch die überbordenden Ansprüche in der eigenen Kreativität blockiert und zu reinen Pastoral-Manager*innen reduziert. Und engagierte Gläubige sehen keinen Entfaltungsraum für Neues. Christsein darf nicht von der Versorgung durch Hauptberufliche abhängig sein. Denn das Christsein von morgen entscheidet sich nicht nur daran, wie gut die Kirche organisiert ist, sondern vor allem daran, ob der christliche Glaube den Weg in den Alltag fin det. Ob er zur Lebensklugheit wird, die sich in der eigenen Partnerschaft, in der Familie, im Kontakt mit anderen, wo auch immer, bewährt. Und zur tragenden Kraft wird, erst recht in den Wechselfällen des Lebens.

Angesagt ist eine Neuausrichtung

Aufgabe der Pastoraltheologie ist es, nach dem Handeln der Kirche in der Welt von heute und ihrer Zukunftsfähigkeit für morgen zu fragen. Aus dieser Sicht ist das kirchenamtliche Leitungshandeln heute zu einem radikalen Perspektivenwechsel im gegenwärtigen Transformationsprozess in den deutschsprachigen Bistümern herausgefordert: weg von einer den geografischen Raum bindenden Pastoral hin zu einer den verschiedenen Lebenssphären Raum gebenden Pastoral2 und weg von der mancherorts immer noch wirksamen Zielvorstellung einer «Überschaubarkeit» und «Kontrollierbarkeit» von Christenmenschen hin zu Zielkategorien wie «Erreichbarkeit», «Zugänglichkeit» und «Ansprechbarkeit»3 für alle Menschen.

Die «Raum»-Metapher dominiert viele diözesane Leitdokumente in Deutschland, Österreich und der Schweiz, etwa im Bistum Basel («In grösseren Organisationsräumen auf vielfältigere Weise Menschen nah sein»4) oder im Bistum St. Gallen («Eine neue Qualität der Nähe»5). Wobei in der praktischen Umsetzung nicht klar ist, was das vorrangige Ziel ist: mit immer weniger Priestern und weniger «Laien»-Theolog*innen auch weiterhin effizient eine Versorgungs- und Betreuungspastoral sicherstellen? Oder die Pastoral neu ausrichten?

Von Raum bindender Pastoral …

Die römisch-katholische Kirche «denkt und entwirft sich», so Rainer Bucher, «immer noch primär von ihren Sozialformen her: als globale Papstkirche, als regionales Bistum, als lokale Gemeindekirche. Sie denkt den Raum geografisch, sich selbst institutionell und ihre Prozesse repetitiv»6. Einer Raum bindenden Pastoral liegt ein Raumdurchdringungsideal zugrunde, das im Prozess der «Verkirchlichung des Christentums»7 seit Beginn des 19. Jahrhunderts bestimmend und in dem kirchliche Integration zur wichtigsten Ausdrucksgestalt von Christsein wurde.

… zu Raum gebender Pastoral

Die Chance liegt in einer veränderten theologischen Deutung des Raumes, im Wechsel von einer integralen in eine relationale Ekklesiologie. Es gilt daher erstens, den Raum theologisch wie soziologisch angemessener als soziale Grösse, als sozial konstruierten Raum zu denken, in dem Menschen aktiv als Subjekt Ausschau halten, welche auch religiösen Gelegenheiten er für sinnvolles und erfülltes Leben und Gestalten bietet. Zweitens gilt es, von der eigenen Aufgabe her zu denken. In der Ekklesiologie des II. Vatikanums, «vor allem im aufgabenorientierten ‹Zeichen der Zeit›-Begriff, im entklerikalisierten Pastoralbegriff und in der inklusivistischen Volk-Gottes-Theologie»8, stehen die Prinzipien eines solchen Umbaus wie auch die Instrumentarien (Erkennbarkeit, Erreichbarkeit und Zugänglichkeit) längst zur Verfügung, werden bisher aber nicht genutzt.

Es braucht einen Optionswechsel

Kirche ist kein Selbstzweck, sondern Gemeinschaft von Christ*innen, die aus ihrem Glauben heraus Menschen an ihren Lebensorten, in ihren Lebensbezügen und -formen die Frohe Botschaft von Gottes Gegenwart nahe bringen und erfahrbar werden lassen will.9 Dies erfordert einen Optionswechsel, der anerkennt, dass es »in der Struktur der Kirchenbildung zu einem Wechsel von der (zumindest öffentlich und offiziell) einheitlichen ekklesialen Codierung des Glaubens zu einer Vielzahl existenziell-gläubiger Genesen pastoraler Orte kommen (wird)»10.

Für Theologie und Praxis von Theolog*innen stellt sich so in neuer Schärfe die Frage: Wie werden Glaube und dessen Reflexion (Theologie) für die Menschen wieder neu anschlussfähig und relevant für die Gestaltung des eigenen Lebens? Und umgekehrt: Welche gesellschaftlichen Orte sind von der Theologie und kirchlicher Praxis neu als «Gottes-Orte» zu erkunden, in die Reflexion wie in die konkrete Arbeit mit einzubeziehen? Hierüber müssen die theologischen und die kirchlichen Ausbildungsstätten, die sich in gemeinsamer Verantwortung sehen für (Aus-)Bildungskonzeptionen, die die drei Dimensionen «theologische Bildung», «geistliches Leben und menschliche Reifung» sowie «pastorale Befähigung» umfassen, miteinander in einen Dialog kommen.

Die «AG Praktische Theologie Schweiz» will mit einem Studientag zum Thema «Berufungen für Kirche und Gesellschaft der Zukunft» am 6. Oktober 2017 in Zürich einen solchen Dialogprozess unter den verschiedenen Ausbildungsverantwortlichen (Regentenkonferenz, Mentorate) eröffnen, der der Klärung gegenseitiger Erwartungen wie dem Erhalt und dem Weiterdenken theologischer Ausbildungsmöglichkeiten in ihrer wissenschaftlichen/akademischen und spirituellen Breite dienen und gerecht werden soll. Dabei gilt es, die Vielfalt der Ausbildungsorte und -möglichkeiten zu nutzen, Synergien herzustellen und diese zukunftsorientiert auszugestalten.

 

1 Knut Wenzel: Gott in der Stadt. Zu einer Theologie der Säkularität. In: ders. / Michael Sievernich (Hg.): Aufbruch in die Urbanität. Theologische Reflexionen kirchlichen Handelns in der Stadt (= QD 252), Freiburg i. Br. 2013, 330–389, 352.

2 Vgl. Matthias Sellmann: «Für eine Kirche, die Platz macht!» Notizen zum Programm einer raumgebenden Pastoral. In: Diakonia 48 (2017), 74–82.

3 Vgl. Rainer Bucher: Die unerbetene Chance nutzen! In: http://www.feinschwarz. net/die-unerbetene-chance-nutzen/ (28. 8. 2017).

4 Bistum Basel: Wozu Pastoralräume? In: http://www.bistum-basel.ch/de/Navigation2/Services/PEP.html (28. 8. 2017).

5 Bistum St. Gallen: Bistum St. Gallen auf dem Weg in die Zukunft! – Pastorale Perspektiven und Grundhaltungen. In: https://spi-sg.ch/wp-content/uploads/2016/06/sg-2012-pastorale-perspektiven-d.pdf (28. 8. 2017).

6 Bucher, aaO.

7 Vgl. FranzXaver Kaufmann, Kirche begreifen. Analysen und Thesen zur gesellschaftlichen Verfassung des Christentums, Freiburg i. Br. 1979.

8 Bucher, aaO.

9 Vgl. Manfred Belok (Hg.): Zwischen Vision und Planung. Auf dem Weg zu einer kooperativen und lebensweltorientierten Pastoral. Ansätze und Erfahrungen aus 11 Bistümern in Deutschland, Paderborn 2002.

10 Bucher, aaO.

Manfred Belok

Manfred Belok

Dr. theol. Manfred Belok ist Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Theologischen Hochschule Chur