Zukunft aus der Geschichte Gottes

 

Wie sehr Geschichte und Geschichtlichkeit zentrale Dimensionen christlichen Lebens und Denkens sind, wurde durch das Zweite Vatikanische Konzil und dessen Rezeption immer deutlicher. Dass das Konzil für entsprechende Grundlegungen auf z. T . langfristige Entwicklungen zurückgreifen konnte, ist ein sprechendes Beispiel dafür, wie sich in christlichem Leben und Denken verschiedene Aspekte von Geschichte der Geschichtlichkeit in ganz unterschiedlicher Form durchdringen.

Bei der anlässlich des 85. Geburtstags des Tübinger Dogmatikers Peter Hünermann erschienenen Festschrift «Zukunft aus der Geschichte Gottes. Theologie im Dienst an einer Kirche für morgen»1 fallen zwei Aspekte besonders ins Auge. So kann man den Band einerseits als eine Dokumentation der jüngeren Theologiegeschichte lesen: Ausgehend von dem bisher unveröffentlichten, 1981 in Tübingen gehaltenen Vortrag Hünermanns mit dem Titel «Topographia theologica » (S. 561–576) wird exemplarisch deutlich, wie zunächst als «Konzept» vorgestellte Grundgedanken eines Theologen in der Folgezeit durch diesen selbst, dann aber v. a. auch durch seine Schülerinnen und Schüler entfaltet werden. Andererseits zeigt sich, dass die Reflexionen und Diskussionsbeiträge einzelner Theologinnen und Theologen nicht nur eines Schülerkreises umso mehr in einen gemeinsamen Horizont hineinverweisen, als sie sich der Geschichtlichkeit allen menschlich-theo-logischen Denkens bewusst sind.

Da die im Titel der Festschrift genannte «Geschichte Gottes» in einer spezifischen Weise Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbindet, ist es in der Tat Aufgabe der Theologie, sich von Jesus Christus her als «Dienst an einer Kirche für morgen» zu verstehen, wie der Untertitel formuliert. Auch wenn durchaus die Gefahr besteht, dass dies etwas vermessen klingt, hätte man im Blick auf das Kirchenverständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils übrigens auch formulieren können: «… im Dienst an Kirche und Welt von morgen». In jedem Fall prägt die Zukunftsperspektive die 21 Beiträge der Festschrift mit ihren vier Teilen: Zukunftsfähigkeit der Theologie, Zukunftsfähigkeit der Kirche, Zukunft der Tradition, Zukunft im Geist. Nicht wenige der Beiträge verschränken dabei die mit diesen Überschriften bezeichneten Dimensionen, die sich in der Tat kaum voneinander trennen lassen.

Dem OEuvre Hünermanns entsprechend widmen sich zahlreiche Beiträge dem Zweiten Vatikanischen Konzil und dessen Hermeneutik. Es ist allerdings durchaus im Sinne des Konzils, dass die entsprechenden Beiträge eingerahmt sind von solchen, die sich nicht unmittelbar dem Konzil widmen, sondern etwa der Offenbarungstheologie in Islam und Christentum (Dirk Ansorge), dem Dialog zwischen Theologie und den Kulturwissenschaften (Margit Eckholt), der lateinamerikanischen Volksfrömmigkeit (Pablo Pagano) oder auch – last, not least – Thomas von Aquin (Joaquín Silva Soler).

Die Festschrift zeigt, dass mit der Verbindung von christlichem Leben und christlichem Denken eine dringliche hermeneutische Herausforderung aller Theologie in den vergangenen Jahren immer stärker explizit in den Blick getreten ist, die in Hünermanns Vortrag von 1981 noch eher implizit enthalten war: Hier war v. a. das Verhältnis von Theologie und Philosophie interesseleitend. Dieses kann freilich gegen die genannte theologische Verbindung von christlichem Leben und christlichem Denken nicht ausgespielt werden – im Gegenteil.

Bei alledem ist grundsätzlich Guido Bausenharts Erläuterung des Hünermannschen Begriffs einer «transzendentalen Geschichte» Aufgabe der Theologie überhaupt: «Indem die Geschichte Gottes erzählt wird, können die pluralen, auch heterogenen realen Geschichten zu einer Einheit finden und einen radikalen Sinn erfahren: in der Vielfalt der Geschichten geschieht die eine Geschichte Gottes mit den Menschen» (S. 64). Dass allerdings die Theologie hierbei nicht nur an kein Ende kommt, sondern v. a. immer auch mit oft grossen Spannungen umgehen muss, klingt an, wenn Hermann Stinglhammer an die «dialektische Verhältnisbestimmung von geschichtlichem Glaubensgehalt und Glaubenspraxis, die letztendlich erst in der eschatologischen Aktwirklichkeit Gottes zur Deckung kommt» (S. 446) erinnert. Ebenso wird dies deutlich, wenn nach Linus Hauser die Hünermannsche «Frage nach einer transzendental- geschichtlichen Auslegung der Geschichte als Wesensgeschichte Gottes die Frage nach einem Grenzbegriff ist» (S. 29).

Theologie als Dienst an der Zukunft kann und muss, so kann man eine gemeinsame Intention der Autorinnen und Autoren zusammenfassen, trotz und in aller menschlichen Begrenztheit «die Deutung und die Gestaltung der Welt mitbeeinflussen » (S. 478): In diesem Sinne bringt der Regensburger Fundamentaltheologe Alfons Knoll die wissenschaftstheoretische Bestimmung der in dem lesenswerten Band auf durchaus unterschiedliche und damit umso anregendere Weise ins Werk gesetzten Theologie auf die Formel einer «methodisch verantwortete(n) Reflexion christlicher Spiritualität » – näherhin ist sie «die von dieser Spiritualität selbst geforderte und freigesetzte Tätigkeit menschlicher Vernunft: Spiritus quaerens intellectum!» (ebd.).

 

1 Guido Bausenhart / Margit Eckholt / Linus Hauser (Hrsg.): Zukunft aus der Geschichte Gottes. Theologie im Dienst an einer Kirche für morgen. Für Peter Hünermann. (Herder Verlag) Freiburg i. Br. 2014, 584 Seiten.

Michael Quisinsky (Bild: kirchenblogs.ch)

Michael Quisinsky

Dr. theol. Michael Quisinsky studierte Theologie und Romanistik in Freiburg i. Br., Tübingen und Paris und promovierte mit einer Arbeit über das Zweite Vatikanische Konzil. Er ist Lehrer und Lehrbeauftragter für Fundamentaltheologie an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg i. Ü.