Zürich – Katholische Kirche in urbanem Kontext

Katholiken im Kanton Zürich

Letztes Jahr waren es 50 Jahre her, dass die vor 1963 rein privatrechtlich organisierte römisch-katholische Kirche im Kanton Zürich mit der Schaffung von staatskirchenrechtlichen Organisationen auf Gemeindeund Kantonsebene de facto öffentlich-rechtlich anerkannt wurde. Das war Anlass zu dankbaren Feiern, die auch mit staatlichen, anderen kirchlichen und religiösen Vertretern stattfanden. Und nun erscheint ein Buch, das als «Rückblick und Ausblick» auf die institutionelle Entwicklung der römisch-katholischen Kirche im Kanton Zürich in den letzten 200 Jahren gedacht ist. Ein besseres Geschenk könnte uns übrigen Schweizern und allen Katholiken und Andersgläubigen zu diesem Thema nicht gemacht werden, denn das Buch spiegelt die Vielfalt der Kirche, die keinen Einheitstopf darstellt, sondern eine Gemeinschaft von Gläubigen, die ihrem doppelten Bezug – zu Gott und den Menschen – nach Kräften gerecht werden will.

Vielfalt und Einheit

Der Titel des Buches nimmt den Inhalt knapp vorweg: «Katholiken im Kanton Zürich – eingewandert, anerkannt, gefordert».1 Denn in der Tat, seit der Reformation waren die Katholiken kaum mehr präsent, und erst ab 1798 tröpfelten sie langsam wieder ein, im Gefolge einer Umbruchszeit, der Französischen Revolution und den daraus resultierenden Umwälzungen und Kriegen, neuen Denkweisen und Weltbildern. Die Alte Eidgenossenschaft brach zusammen, neue staatliche Strukturen entstanden, wie es gleich zu Beginn des Buches heisst. Im Vordergrund stehen also «die Katholiken», die Menschen, die die Kirche bilden, und man bekommt ein buntes Bild davon. Dass diese Kirche aber nicht aus einem ungefügen Haufen besteht, sondern durchaus zur Einheit finden kann, beweisen nicht nur die vielen spannenden Beispiele, die vorgeführt werden, sondern schon die inhaltliche und typographische Aufmachung des Buches: Vier Autoren haben den Grundstock geliefert, 14 Beiträge verschiedenster Verfasser bringen Vertiefung, und 37 Personen decken in Interviews mit Bild und Text alle Aspekte dieser vielfältigen Geschichte und Gegenwart ab. Bilder, Statistiken, Übersichtskarten, herausgehobene Texte, prägnante Zitate (Kernsätze aus den Beiträgen und Interviews) machen die Lektüre zu einem vergnüglichen und lehrreichen Zeitvertreib. Den Herausgebern (Katholische Kirche im Kanton Zürich: Synode und Generalvikar), dem Konzept-Entwerfer, schliesslich dem Verlag (Theologischer Verlag Zürich) gebührt höchster Dank. Diese Aufzählung lässt schon erahnen, was dann ausführlich im Buch zu Worte kommt: das so genannte duale System und die Beziehungen zu andern Körperschaften, aber auch zwischen den Personen selbst.

Eine schweizerische Eigenheit

Seit dem Mittelalter waren «Staat» und «Kirche» aufeinander angewiesen. Wo noch die Gemeinden selbstverständlich für die «weltlichen Belange» der Kirche sorgten, fielen die beiden Bereiche mit der Zeit auseinander, bestenfalls in ein Nebeneinander, nicht in ein Gegeneinander. Erst mit dem Aufkommen absolutistischer Staatsformen, an die sich die Kirche, ja man kann bald sagen: die Kirchen, anlehnten, wandelten sich die Verhältnisse. Schon früh wurde gefordert, dass etwa ein Bischof von denen gewählt oder zumindest vorgeschlagen werden sollte, die ihn dann zum Kirchen-«Hirten» hatten; das war theologisch unbestritten. Die absolutistische Monarchie, in die hinein sich die Kirche bis 1870 weltweit entwickelte, wird spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hinterfragt, und neustens gibt es sogar einen Papst, der begründete Hoffnung weckt, dass eine Kirche, die sich an die Ränder begibt statt in Selbsterhaltung zu erstarren, angestrebt werden soll.

Das duale System

Das Zweifach-System der Kirche ist in der Schweiz nicht ein Gebilde von zwei Parallelkirchen, sondern eine bewährte Organisationsform, in der die hierarchisch gestufte Kirche mit Volk, Diakonen, Priestern und Bischöfen die geistlichen Belange (Pastoral, Verkündigung, Liturgie) wahrnimmt, während gewählte Laien zusammen mit Priestern die weltlichen Mittel (das «Geld») dafür bereit stellen und verwalten. Die beiden Bereiche greifen ineinander über, auch Laien wirken in geistlichen Bereichen (z. B. durch Wissenschaft, Forschung, Medien), und der Klerus ist sehr wohl an der Bereitstellung der Mittel beteiligt. Als mit dem Kirchengesetz von 1963 die Grundlagen für eine gedeihliche Fortentwicklung gelegt war, gratulierte nicht nur der damalige Bischof von Chur, sondern durch den Nuntius in Bern auch der Kardinalstaatssekretär aus Rom zu diesem Schritt. Dass ausgerechnet Zürich in seiner Beziehung zum zuständigen Bischof in Schwierigkeiten geriet, ist nicht dem Kirchenvolk anzulasten. Übrigens, was immer wieder vergessen geht, gehört Zürich nicht zum Bistum Chur, sondern ist ihm nur administrativ zugeordnet. Darum gibt es schon seit langem Versuche, diese verzwickte Angelegenheit zu ordnen. Seit 1988 Wolfgang Haas auf versteckten Wegen zunächst zum Weihbischof mit Nachfolgerecht hinaufkatapultiert wurde, hören die Querelen nicht auf, erst recht nicht, als er dann 1990 wirklich Diözesanbischof wurde. Die Abschiebung ins Fürstentum 1997 war keine Lösung (er nahm auch gleich seine Bischofsakten aus Chur nach Vaduz mit!), und sein Nachfolger beruhigte zwar die Situation, deckte aber Probleme zu, die mit Vitus Huonder und seinen Mitarbeitern wieder aufgebrochen sind. Mit welcher Geduld, Zuversicht, Ausdauer nun die Zürcher diese Lage meistern und ihrer Kirche – also den Menschen – dienen, ohne den Gottesdienst zu vergessen, das ist respekterheischend.

Ein mühsamer Weg

Der Zürcher Katholizismus, der heute wohl zu den bestorganisierten gehört, hat ganz mausarm angefangen, mit Hilfsgebäuden, Aushilfspriestern, einem Volk aus der sozialen Unterschicht, und gewiss auch mit all jenen äusseren Kennzeichen, die Identität stifteten (neue Kirchen, Prozessionen, Vereine für alle Bedürfnisse, vor allem auch soziale, aber auch für alle Stände, Arbeiter, Dienstboten, die Jugendlichen, Mittelschüler, Studenten, Kirchenchöre usw.). Ganz bewusst wird neben der Liturgie der Schwerpunkt auf die Diakonie, also die Hilfeleistung, gelegt. Was die Kirchen an Aufgaben für Bildung, Sozialwerke, Kultur ausgeben (und häufig immer noch ehrenamtlich), wäre vom Staat gar nicht ebenbürtig zu leisten. Weil die Steueraufkommen der juristischen Personen (die ja keine «Gläubige» sind) ausschliesslich für nicht-kultische Zwecke verwendet werden, ist der Fortführung der Steuerpflicht für diese auch durchaus vertretbar und wird von allen Einsichtigen in Kirche und Staat unterstützt. Es ist auffallend, wie oft das Wort «einvernehmlich » in diesem Buch fällt; die Verfasser sind sich durchaus klar, dass die Zusammenarbeit unter Menschen vielerlei Gefahren ausgesetzt ist (es «menschelt» überall), dass aber der Wille zum Einvernehmen die Schwierigkeiten überwinden hilft. Schüsse aus dem Hinterhalt sind polarisierend und nicht hilfreich. Sehr schön, wie in Zürich das Verhältnis zum Generalvikar (dem Vertreter des Bischofs) zumeist nicht nur problemlos, sondern förderlich ist, das war schon mit den zwei Weihbischöfen Peter und Paul der Fall (die von Wolfgang Haas gar nicht «wahrgenommen» wurden, wie mir damals einer schrieb) und gilt auch vom jetzigen Generalvikar, der seines Amtes sehr gut waltet. Ich habe verständlicherweise fast keine Namen aus dem Buch genannt, auch nicht von den in der Kirche Zürich tätigen Personen (Männern und Frauen) aus den letzten 200 Jahren. Das Buch greift weit über seinen geographischen und konfessionellen Raum hinaus. Es kann als Bilder-, Lese- und Studienbuch nur empfohlen werden.

Iso Baumer

 

 

1 Alfred Borter / Urban Fink / Max Stierlin / René Zihlmann: Katholiken im Kanton Zürich – eingewandert, anerkannt, gefordert. Hrsg. vom Synodalrat und Generalvikar anlässlich des Jubiläums 50 Jahre gemeinsam Katholische Kirche im Kanton Zürich (= Edition NZN bei TVZ). (Theologischer Verlag) Zürich 2014, 296 Seiten, ill.

Iso Baumer

Iso Baumer

Dr. Iso Baumer, geboren 1929 in St. Gallen, studierte Sprach- und Literaturwissenschaft und war als Gymnasiallehrer in Bern und Lehrbeauftragter für Ostkirchenkunde an der Universität Freiburg (Schweiz) tätig. Er befasste sich früh mit Theologie und verfasste viele Publikationen zur westlichen und östlichen Kirchengeschichte (religiöse Volkskunde, Ostkirchenkunde).