«Du weisst längst, was passieren wird: Noch 28 Tagen, 6 Stunden, 42 Minuten und 12 Sekunden bis zum Weltuntergang.» Dieser Dialogsatz aus dem Film «Donnie Darko» (USA 2000, Regie: Richard Kelly) macht den Bezug zum Thema Zeit im Film sofort augenfällig und verdeutlicht einen multiperspektivischen Umgang mit Zeit. Zum einen wird ein Countdown gestartet, welcher sowohl die Filmfiguren als auch die Betrachtenden die ganze Filmdauer über begleitet. Zum anderen verweist das Thema «Weltuntergang» auf eine fantastische Lesart. Genauso wie ein Film erst vollständig durch die intellektuelle Konstruktionsleistung im Kopf des Betrachtenden entsteht, kann der Film selbst eine «innerliche Perspektive» einnehmen, also von der Gedanken-, Gefühls- und Traumwelt seiner Protagonistinnen und Protagonisten erzählen. Viele Filmgeschichten bedienen den Ansatz des «Was wäre, wenn?». Wie sähe mein Leben aus, wenn ich wüsste, dass ich nur noch 28 Tage zu leben hätte?
Verschiedene Perspektiven auf Zeit
«Donnie Darko» thematisiert verschiedene Perspektiven des Phänomens Zeit: Begrenztheit und Dauer von Zeit (physikalisch), Zeit als Zählgrundlage, z. B. im Sinne der Zeitrechnung (kulturell), Zeit als Lebensdauer (anthropologisch), Zeit als kosmisch-universelle Dimension im Sinne von Schöpfung und Untergang (theologisch-philosophisch) und zuletzt sei noch der Aspekt der erfüllten bzw. verschenkten Zeit (psychologisch) genannt. Ohne hier eine endgültige Deutung des Films vorlegen zu wollen, können sicher alle diese Aspekte in der Erzählung über den Teenager Donnie Darko und sein Umfeld (Familie, Freunde, Schule, Heimatstadt) vorgefunden werden. Ihre Thematisierung hat unterschiedliches Gewicht. So wird der physikalische Aspekt der Zeit filmgerecht am Beispiel der Möglichkeit von Zeitreisen und die Frage nach der Existenz Gottes im Zusammenhang mit Zeit als Schicksal diskutiert, während die anthropologische Dimension der verrinnenden Lebenszeit von 28 Tagen und die psychologische Dimension, wie diese begrenzte Zeit zu gestalten sei, weit stärker im Vordergrund stehen, denn dadurch erhält die Handlung Spannung und wird vorangetrieben.
Auf der psychologischen Ebene spielen Schlaf und Traum eine entscheidende Rolle. Donnie ist Schlafwandler und wacht eines Morgens auf dem Golfplatz der Stadt auf. Auf seinem Unterarm steht die Zeitangabe 28 Tage, 6 Stunden, 42 Minuten und 12 Sekunden. Als er nach Hause kommt, ist ein beträchtlicher Teil des Hauses zerstört, darunter auch sein eigenes Zimmer. Eine Flugzeugturbine ist auf das Haus gestürzt. Hätte Donnie als Schlafwandler nicht das Haus verlassen, wäre er vermutlich tot. Fortan wird er von einem mannsgrossen, monströsen Hasen aufgesucht. Dieser Hasenmann mit Namen Frank verrät, dass die Zeitangabe auf Donnies Unterarm auf das Ende der Welt verweist. Im letzten Drittel des Films werden verschiedene Deutungen der Geschichte angeboten: Von einem Paralleluniversum über eine Nahtod-Erfahrung bis hin zu einer Traumgeschichte. Jedoch für die Dauer des Films ist Donnies Welt real und sind vor allem die Beziehungen und Emotionen – Liebe, Hass, Angst, Einsamkeit, Geborgenheit usw. – reale Erfahrungen, welche die Betrachtenden nachempfinden und miterleben können. So ergeben sich inhaltliche Berührungspunkte zwischen Filmzeit, Zeit als Filmthema und individuell-existenziell erlebter Zeit. Gerade das Motiv der existenziell begrenzten Zeit, z. B. durch eine tödliche Krankheit, wird als Motiv in vielen Filmen aufgenommen (z. B. «Nowhere Special», IT 2020, Regie: Uberto Pasolini).
Verpasste Chancen nutzen
Durch das Motiv der Zeitreise kann nicht nur die Unumkehrbarkeit menschlicher Zeiterfahrung aufgehoben werden, sondern können sich eine Fülle von Möglichkeiten des Vorherwissens, der sich wiederholenden Chancen und der Macht über den Gang der Ereignisse ergeben. In der romantischen Komödie «Alles eine Frage der Zeit» (Original: «About Time», GB 2013, Regie: Richard Curtis) nutzt ein 21-Jähriger die Fähigkeit des Zeitsprungs in die Vergangenheit, die nur den männlichen Mitgliedern der Familie vererbt wird, um seine Liebesbeziehung voranzubringen. Allerdings besteht auch beim mehrmaligen Durchlaufen der gleichen Situation keine Erfolgsgarantie. Einschneidende Erlebnisse wie Geburt, Tod, Trauer, Verlust und letztlich eben auch die Liebe lassen sich durch menschliche Aktivitäten nur sehr bedingt beeinflussen. Leider verwendet der Film Zeitreisen eher als Running Gag und verstrickt sich immer mehr in Logikfehler. Die Geschichte einer Beziehung, die viel Unerwartetes bereithält, wird gleichwohl sehr unterhaltsam erzählt. Lediglich einen «Zeitsprung» enthält der Film «17 again» (USA 2009, Regie: Burr Steers), in der ein Mittdreissiger Fehler am Ende der Highschoolzeit korrigieren möchte. Aber sein «Seelenführer», der den Zeitsprung initiierte, hält weniger Ereigniskorrekturen als Selbsterkenntnisse für den Helden bereit.
Auch andere moderne Zeitreise- bzw. Zeitparadox-Klassiker, wie z. B. «Zurück in die Zukunft» (USA 1985, Regie: Robert Zemeckis) oder «Täglich grüsst das Murmeltier» (USA 1992, Regie: Harold Ramis) legen ihren inhaltlichen Schwerpunkt auf die Verwicklungen von Beziehungen. Es handelt sich bei «Täglich grüsst das Murmeltier» zwar um ein unfreiwilliges Wiederholen des immer gleichen Tages, aber auch hier steht die charakterliche Veränderung des Protagonisten durch immer wieder neue Chancen im Zentrum. Eine «Befreiung» aus der Wiederholungsschleife ist erst im Absehen von der eigenen Person und im sich Öffnen für andere Menschen möglich.
Durch die Zeit reisen
Neben der romantischen Komödie sind viele Zeitreise-Filme im Genre des Thrillers angesiedelt. Die (physikalische) Fähigkeit, durch die Zeit zu reisen, fügt zwar ein Element des Science-Fiction in die Handlung ein, der Schwerpunkt liegt aber häufig auf einem (Action-)Kampf Gut gegen Böse. Je nach Ausgangslage kann auch wieder ein potenzielles Weltende Ausgangspunkt der Erzählung sein (z. B. in den «Terminator»-Filmen, Teile 1 und 2, USA 1984 und 1990, Regie: James Cameron).
Im Film «Predestination» (AUS 2014, Regie: Michael und Peter Spierig) versuchen «Zeitreise-Agenten» Verbrechen zu vereiteln, bevor diese geschehen. Aber kann man jemanden für eine Tat bestrafen, die er oder sie noch gar nicht begangen hat? Wie der Filmtitel bereits andeutet, widmet sich die Geschichte einem der zentralen Zeitreise-Paradoxa: Gibt es einen freien Willen oder sind all unsere Taten und unsere Entwicklung vorherbestimmt? Schon «Zurück in die Zukunft» spielte genüsslich mit der Tatsache, dass eine Veränderung der Vergangenheit eine andere Zukunft zur Folge hat. In «Terminator 2» soll nicht weniger als die Apokalypse selbst aufgehalten werden. Wenn bereits eine Maschine (ein «Terminator») fähig ist, sich für das Gute einzusetzen, so fragt die Hauptfigur am Ende des Films, wie viel mehr vermag dann der Mensch in seiner Zeit zu tun?
Wenn die Chronologie fehlt
Zahlreiche Filme spielen mit dem Motiv Zeit auf der formalen Ebene: Der Kultfilm «Pulp Fiction» (USA 1993, Regie: Quentin Tarantino) erzählt seine Geschichte nicht chronologisch, sodass Personen in einer Szene auftreten, obwohl man kurz zuvor ihren Tod gesehen hat. Der Film «Memento» (USA 2000, Regie: Christopher Nolan) wiederum setzt den Verlust des Gedächtnisses der Hauptfigur um, indem die Handlung rückwärts erzählt wird: Die erste Szene des Films beinhaltet das Ende der Geschichte, deren Anfang man erst am Ende der Spielzeit sieht. Zuletzt hat «The Father» (GB 2020, Regie: Florian Zeller) mit dem auch zeitlich unzuverlässigen Erzählen auf formaler Ebene die Demenz der Hauptfigur dramaturgisch umgesetzt. Der Zuschauer ist gezwungen, in die räumlich und zeitlich gestörte Weltwahrnehmung des Protagonisten einzutauchen.
Zeit und Raum als Anschauungsformen menschlicher Wahrnehmung werden in Filmen immer wieder thematisiert. Das persönliche Empfinden, dass Zeit erfüllt oder verschwendet worden ist, wird verbunden mit der Möglichkeit, Chancen noch einmal zu ergreifen oder den Geheimnissen der Zeitläufe und Kausalitäten auf den Grund zu gehen. Zeit wird aber auch immer wieder als kostbares Gut erfahren. Nicht nur ein Film, sondern auch menschliches Leben läuft unweigerlich auf ein Ende zu. Manchmal ist es nur ein Spiel mit Motiven, manchmal aber auch existenziell die Frage: Was bedeutet Zeit?
Martin Ostermann