Zeitgenössische Architektur trifft Barock

Die über 1000 Jahre alte Kathedrale San Lorenzo von Lugano wurde von 2010 bis 2017 restauriert und erstrahlt wieder in neuem Glanz. Giovanni Ferrini begleitete als Architekt die aufwendigen Arbeiten.

 

SKZ: Können Sie uns etwas über die Baugeschichte der Kathedrale San Lorenzo erzählen?
Giovanni Ferrini: Die romanische Basilika aus dem Anfang des 9. Jahrhunderts, von der die Pfeiler des Kirchenschiffs und der Sockel des Glockenturms erhalten geblieben sind, wurde im 15. Jahrhundert durch den Anbau des Chores und durch die Ersetzung der Holzdecke durch ein Kreuzgewölbe verändert. Die imposante Renaissance-Fassade stammt aus dem frühen 16. Jahrhundert. An der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert wurden dann die Seitenschiffe mit Kapellen versehen. Das heutige Aussehen der Kathedrale, die sich durch eine vielfältige Innenausstattung auszeichnet, ist das Ergebnis der Restaurierung in den Jahren 1906 bis 1910. Sie wurde von Bischof Alfredo Peri Morosini in Auftrag gegeben und vom Architekten Augusto Guidini ausgeführt.

Unter Bischof Giuseppe Torti wurden bereits die Fassade, der Glockenturm und die Cappella della Madonna delle Grazie restauriert. Danach nahm Bischof Pier Giacomo Grampa die Renovierung der Kathedrale in Angriff. Welches waren die wichtigsten Etappen?
Die Sanierung der Aussenmauern, die teilweise Renovierung des Daches, die Neugestaltung des Presbyteriums mit der neuen liturgischen Ausstattung aus Stein, die Erneuerung der Heizungs- und Beleuchtungsanlage sowie die komplette Restaurierung der alten Fresken und Dekorationen, der Glasfenster und der Orgel aus dem Jahr 1910. Neben der Sakristei wurde ein fast vollständig unterirdischer Neubau errichtet, in dem die Einrichtung eines neuen Museums und insbesondere die Ausstellung des restaurierten Prospektes der alten Renaissance- Orgel vorgesehen sind. Auf der Nordseite erlaubt ein neuer Eingang den direkten und unabhängigen Zugang zur Sakramentskapelle und zum Museum.

Welches waren die leitenden Kriterien bei der Renovierung?
Auf der Grundlage von ausführlichen Analysen des Gebäudes wurden verschiedene Handlungsvorschläge zwischen der Bauherrin, dem Planungsarchitekten Franco Pessina, den kantonalen Instanzen für Kulturgüter und der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege ausführlich diskutiert. Entscheidend war die Anerkennung des Wertes aller materiellen, baulichen und künstlerischen Veränderungen des Gebäudes im Laufe seiner Geschichte, einschliesslich jener der Restaurierung von 1910. Dies führte zur Entscheidung, dass die Kathedrale als Ganzes kohärent erhalten und restauriert werden sollte. Es wurde eine einzige wichtige Erneuerung vereinbart: Durch das Absenken der Böden der Seitenschiffe auf das ursprüngliche Niveau wurde das Presbyterium verkleinert. Mit seiner neuen, vollständig aus Stein gefertigten, liturgischen Ausstattung (Altar, Ambo und Kathedra) behauptet sich das Presbyterium als eigenständiges zeitgenössisches Element im Dialog mit dem umgebenden Barockraum.

Gab es Hindernisse auf dem Weg?
Ein Problem, das gelöst werden konnte, ergab sich aus den unerwarteten Schwierigkeiten, Stein aus Saltrio zu erhalten. Dieser wurde speziell für die Ausführung des Presbyteriums und der liturgischen Elemente ausgewählt, da der gleiche Stein bereits für die Fassade und für andere Teile der Kathedrale verwendet worden war. Gelegentliche Meinungsverschiedenheiten und Verfahrensprobleme konnten dank der ständigen Zusammenarbeit aller Beteiligten geklärt werden.

Wie wurde die Renovierung finanziert?
Die Endkosten von rund 17 Mio. Franken werden zu 45 Prozent durch Subventionen des Bundes und des Kantons sowie durch einen Beitrag der Stadt Lugano gedeckt. Die von Stiftungen und verschiedenen privaten Einrichtungen erhaltenen Spenden belaufen sich auf rund 5 Mio. Franken. Das Bistum deckt die verbleibenden Kosten mit eigenen Mitteln.

Welches ist Ihr Lieblingsort oder Lieblingswerk in der Kathedrale?
Mit dem Lauf der Zeit schätze ich – lieber als ein einzelnes Werk – immer mehr die ausgewogene und einheitliche Gesamtheit der durchgeführten Restaurierungsarbeiten.

Interview und Übersetzung: Rosmarie Schärer


Interview-Partner Giovanni Ferrini

Giovanni Ferrini (Jg. 1945) arbeitet seit 1972 als selbständiger Architekt. Er war Dozent und Studiengangleiter im Bereich Architektur an der Fachhochschule Südschweiz SUPSI und begleitete als bischöflicher Beauftragter die Restaurierungsarbeiten der Kathedrale San Lorenzo.

 

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