Wie weiter mit der Migrationspastoral in der Schweiz?

Ich bin ein Migrant, ein mehrfacher, freiwilliger. Ich habe in zehn Ländern gewohnt. Aber ich bin auch Remigrant: Heute wohne ich im Kanton Luzern. Ende meiner 20er-Jahre ersehnte ich nichts mehr, als in Südamerika zu arbeiten.

Die blumige Sprache, der Familiensinn, die Direktheit, das Neue reizten mich. Es waren gute Erfahrungen. Aber ja, ich blieb immer der Ausländer, obwohl ich an einigen Orten fast akzentfrei sprechen konnte. Und ich fühlte mich bisweilen hin- und hergerissen zwischen der Kultur meiner neuen Umgebung und meiner Herkunft. So war Migration auch in der persönlichen Erfahrung ein Spannungsfeld. Von meiner letzten Station – Bangladesch – zurück in der Schweiz, fand ich mich zuerst nicht zurecht.

Wie im Ausland zeigte mir ein bald gekaufter Reiseführer auch in Zürich den Weg. Sehr bald fühlte ich mich interessanterweise bei der "English Speaking Catholic Mission" wohl. Wie gelingt es einer Migrantenfamilie, sich bei uns wohlzufühlen, besonders wenn sie nicht freiwillig, sondern zwangsweise migrieren musste? Eine Migrantengemeinde, welche die eigene Sprache spricht, leistet ihren wichtigen Beitrag: Sie bietet neben einem spirituellen auch emotionalen Raum, vernetzt Personen, vermittelt migrationsrelevante Informationen und Kulturwissen und steigert das Wohlbefinden, das Selbstwertgefühl bis hin zu einem neuen Heimatgefühl.1 Die Schweizer Bischöfe haben an ihren jüngsten Ordentlichen Versammlungen ein klares Bekenntnis zur Wichtigkeit der Migrationspastoral abgegeben.2 Papst Franziskus mahnt zum Hinhören auf die Schwächsten und hat die Abteilung "Migranten und Flüchtlinge" als Teil des neuen Amtes (Dikasteriums) für "ganzheitliche (oder integrale) Entwicklung des Menschen" geschaffen. Die Bischöfe und die Römisch-Katholische Zentralkonferenz RKZ haben ein gemeinsames Projekt zur Weiterentwicklung der Migrationspastoral ins Leben gerufen. Eine Bestandsaufnahme und ein Gesamtkonzept sollen daraus entstehen. Das weckt Hoffnungen und Erwartungen.

Weiterentwicklung der Migrationspastoral

Damit ein solches Projekt gelingt, sehe ich drei Schwerpunkte: Erstens muss das Projekt ergebnisoffen sein. Sogar die Resultate werden Weiterentwicklung zulassen müssen; Migration ist nie abgeschlossen. Zweitens muss es gelingen, nicht nur Probleme zu sehen (z. B. das stereotype Parkplatzproblem während anderssprachiger Gottesdienste), sondern auch Potenziale und Reichtümer zu erschliessen. Einer der grössten Reichtümer in der katholischen Kirche sind die Riten. Als ich vor ein paar Wochen an der kroatischen Wallfahrt teilnahm, verstand ich kein Wort. Doch mit dem kroatischen Liedblatt in der Hand und dank der einfachen romantischen Musik konnte ich mitsingen und fühlte mich in den Riten getragen. Die Migrationspastoral trägt zum Reichtum der Riten bei. Den gilt es zu entdecken und ihm Sorge zu tragen. Diese "Richesse" zu pflegen, ist ein Anliegen der Bischöfe. Drittens muss ein derartiges Projekt sensibel sein für Machtkämpfe. Machtkämpfe zwischen Bewahreren und Erneuern, Missionen und Lokalpfarreien, zwischen Pastoralzielen und Finanzzielen. Diese zu erspüren, ist ein erster Schritt, sie überwinden heisst Friedensarbeit leisten.

Wie könnten Resultate einer solchen Weiterentwicklung aussehen? Ein künftiges Konzept muss vor allem den Menschen im Zentrum sehen: den Migranten, die Migrantin, das Migrantenkind mit Bedürfnissen, Ängsten und Sehnsüchten – und zwar als Subjekt, nicht als Objekt; aber auch den einheimischen Menschen in seinen Bedürfnissen, Sehnsüchten und Ängsten. Bewusstwerdungsprozesse sind anzustossen, die Freude am Komplementären ist zu wecken, auf allen Seiten. Genau das scheint dem Stapferhaus in Lenzburg zu gelingen. Die Kulturschaffenden wollten eigentlich eine Ausstellung zu "Migration" gestalten. Im Verlauf ihrer Arbeit merkten sie, dass "Migration" als Thema politisch einseitig und für breitere Denkanstösse hinderlich sei. Entstanden ist eine Ausstellung "Heimat – eine Grenzerfahrung"! Das heisst, man kann das Thema der Migrationspastoral kaum angehen, ohne die Pastoral der heimischen Ortspfarreien mitzudenken. Es braucht Ideen, die systemisch oder "integral" (Papst Franziskus) sind.

Während ein Konzept Prioritäten und strukturelle Konsequenzen festlegt, muss jenes der Migrationspastoral auch Spielräume eröffnen. Tatsächlich sind über die Hälfte der Zuwanderer und Zuwanderinnen Christen. Wenn sich eine neue Migrationsgruppe abzeichnet, sind weder die Anzahl Personen noch deren pastorale Bedürfnisse bekannt. Dies wird erst klarer, wenn man sich in einen Seelsorgeprozess einlässt. Zukünftig müssten auch Versuchsphasen und Erkenntnisphasen möglich sein. Eines ist klar: Es ist Arbeit zu leisten und Dinge sind festzulegen – gleichzeitig ist viel im Fluss. So müssen und dürfen wir hoffen, dass darin auch der Geist Gottes am Wirken sei.

 

1 Simon Foppa: Katholische Migrantengemeinden: Wie sie Ressourcen mobilisieren und Handlungsspielräume schaffen. Edition SPI 2015.

2 Vgl. http://www.bischoefe.ch/dokumente/communiques/315e-versammlung-der-sbk-in-mariastein und http://www.bischoefe.ch/dokumente/communiques/316e-versammlung-der-sbk-in-einsiedeln

Patrick Renz

Patrick Renz ist Nationaldirektor migratio.