Wie heute Liturgie feiern?

Adolf Adam / Winfried Haunerland: Grundriss Liturgie. Völlig überarbeitete Neuausgabe. (Herder Verlag) Freiburg- Basel-Wien (11985) 92012, 520 S. (Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich auf die Neuausgabe.)

Fünfzig Jahre nach dem Beginn des Zweiten Vatikanums und vierzig Jahre nach der Synode 72 hat die Liturgie ihre Selbstverständlichkeit verloren. Vielen gottesdienstlichen Feiern ist jene Begeisterung abhanden gekommen, welche die neue, in der Landessprache gefeierte Liturgie bewirkt hat. Zwar brachte die Liturgiekonstitution «Sacrosanctum Concilium» eine liturgische Neuerung, die mehr als andere Dokumente des Konzils den Geist der Öffnung sichtbar und spürbar machte. Heute jedoch wird gerade dieses Dokument hinterfragt und von einer Minorität sogar abgelehnt. Das Verstehen liturgischer Symbolhandlungen und die aktive bewusste Teilnahme am Gottesdienst stehen zur Disposition. In Städten und an weiteren Orten kommt es zu vorkonziliaren Gottesdiensten in lateinischer Sprache – gewiss innige Feiern – aber ohne Klarheit, Verständlichkeit, Transparenz und ohne jene Hochgebete, die einst die Schweizer Synode der Gesamtkirche geschenkt hat. Die Frage stellt sich neu: «Wie kann man heute sinnstiftend und verantwortungsbewusst Gottesdienst feiern?»

Ein Grundlagenwerk

In dieser Situation ist die Neuausgabe von «Grundriss Liturgie», 1985 erstmals von Adolf Adam publiziert und 2012 von Winfried Haunerland stark überarbeitet und ergänzt, ein hochwillkommenes Geschenk, vermittelt es doch in flüssiger und eingänglicher Sprache elementares liturgiewissenschaftliches Basiswissen. Es will verlässliche Informationen über den Gottesdienst der Kirche liefern und dazu beitragen, diesen Gottesdienst «tätig, fruchtbar und bewusst äusserlich und innerlich mitzufeiern» (S. 16 f.). Der Aufbau des Grundlagenwerkes ist evident: Teil eins (Kapitel I–VII) widmet sich allgemeinen und geschichtlichen liturgischen Fragen, Teil zwei den speziellen liturgischen Gebieten, nämlich der Feier der Sakramente der Kirche (Kapitel VIII–XV), weiteren liturgischen Feiern der geistlichen bzw. Ordensgemeinschaften (XVI) und der Sterbe- und Begräbnisliturgie (XVII). Es folgen gediegene Einführungen in das kirchliche Stundengebet (XIX), in die Zyklen und Feste des Kirchenjahres (XX), in die «Orte» und «Räume» der Liturgie (XXI) und abschliessend ein instruktiver Ausblick in die Zukunftsaufgaben (XXII). Wohltuend am Werk ist nicht nur das dezidierte Ja zur konziliaren Erneuerung der Liturgie: die «Hochschätzung der Liturgie», die «Förderung tätiger Teilnahme seitens der Gläubigen», die «Aufwertung der Liturgiewissenschaft und der liturgischen Ausbildung» seit dem Konzil, sondern auch die «Allgemeine Erneuerung der Liturgie in ihren wandelbaren Teilen» (S. 77). Liturgie ist mehr als die «Summe aller Zeremonien (Rubriken)», sondern Teilhabe am Paschamysterium und «Dialog zwischen Gott und den Menschen» (S. 22). Es darf erinnert werden: Zur Verwirklichung der Konzilsbeschlüsse wurde einst das «Consilium ad exsequandam constitutionem de sacra liturgia» eingesetzt, dem auch Bischof Anton Hänggi angehört hatte, wo grosse Arbeit geleistet wurde. Nicht verschwiegen wird allerdings, dass Johannes Paul II. bereits am 3. Oktober 1984 den Bischöfen die Erlaubnis einräumte, Liturgie wieder nach dem «Tridentinischen Ritus» zu feiern, und Papst Benedikt XVI. am 7. Juli 2007 im Motu Proprio «Summorum pontificum» verfügte, die liturgischen Bücher von 1962 als ausserordentliche Form des römischen Ritus wieder zuzulassen (S. 89 f.). Diese «in Liturgiegeschichte beispiellose(n) Lösung der Zulassung zweier Entwicklungsstufen des einen römischen Ritus» (S. 84) erreichte allerdings ihr Ziel nicht, nämlich die Überwindung der Spaltung mit den Traditionalisten. Und die damit wieder zugelassene Karfreitagsfürbitte für die Juden – auch in ihrer revidierten Form – blieb missverständlich und erntete seitens jüdischer Kreise Kopfschütteln und mehr!

Zukunftsaufgaben

Als Zukunftsaufgaben der Liturgiewissenschaften nennt Winfried Haunerland die weitere «Liturgische Erneuerung als bleibende Aufgabe» (S. 591), dazu gehören die Balance von Einheit und Vielfalt («Wie viel gottesdienstliche Vielfalt benötigt die Einheit der Weltkirche?» [S. 492]), ferner ein Bedenken der tätigen Teilnahme der Gläubigen an den liturgischen Feiern, die Rückgewinnung der Vielfalt gottesdienstlicher Feiern, ohne die Eucharistie ihrer Wertschätzung zu berauben, das Bemühen um eine verständliche Sprache in Gottesdiensten mit nicht kirchlich sozialisierten Menschen, die Entwicklung von neuen gottesdienstlichen Ritualen für spezielle Situationen (z. B. Feiern der Mündigkeit in den neuen Bundesländern, oder Feiern anlässlich der Umwidmung von Kirchen). Hinzuzufügen wäre eine stärkere Berücksichtigung der Wort-Gottes- Feiern, vermehrter Einbezug der Kinder in der Liturgie, als es in diesem «Grundriss» möglich ist, für die ja bereits eigene liturgische Hochgebete bestehen (nicht aber für Jugendliche). Da Christus und die Gemeinde Träger des Gottesdienstes sind, sollte mehr Sorgfalt auf die Rollen der Laien im Gottesdienst verwendet werden, besonders auch der Kinder. Auffällig ist schliesslich die geringe Rolle, welche die Frauen in der römisch-katholischen Liturgie spielen. (Die Sprache ist bezeichnenderweise und kommentarlos nicht «gegendert»). Gleichwohl ist der neue «Grundriss Liturgie » eine zuverlässige Information über den aktuellen Stand der Liturgiewissenschaft, welche sich mehr als kritische Reflexion der liturgischen Praxis begreift. Er spiegelt die derzeitige liturgische Situation mit ihren Fragen und Problemen in sachlicher und zutreffender Weise. Personen- und Sachregister fehlen ebenso wenig wie Schemen, Tabellen und die jeweils vollständig zitierte Literatur aus dem deutschsprachigen Raum.

Was ist heute notwendig?

Überlegen wir im Anschluss an diese verdienstvolle Neuauflage von «Grundriss Liturgie», welche Faktoren denn heute für das Gelingen liturgischer Feiern notwendig sind:

An erster Stelle dürfte eine Nähe zwischen erfahrener gemeinschaftlicher Praxis im Alltag und liturgischem Beten und Feiern stehen. Eine Gruppe bzw. eine versammelte Gemeinschaft sollte miteinander auf dem Weg sein, um gemeinsam die Augen zu Gott erheben zu können und um dessen Beistand zu flehen. Anliegen oder Schicksalsschläge, die Menschen zusammenschweissen, bilden stimmige Voraussetzungen für authentische liturgische Feiern: Der Beginn eines neuen Schuljahres (bei dem z. B. Muslime nicht mehr ausgesperrt werden können), eine Schlussfeier, eine Ehrung, das Ende einer Lebensphase, ein Jubiläum, ein Unglück, ein Todesfall, der Sonntag als Tag der Ruhe und des Gedächtnisses, Feste usw.

An zweiter Stelle für das Gelingen einer liturgischen Feier steht das wechselseitige Empfangen und Geben. Die Liturgiewissenschaft spricht von der herabsteigenden («katabatischen») und aufsteigenden («anabatischen») Bewegung gottesdienstlichen Handelns (S. 21 f.). Einerseits kommt Gott den Feiernden mit seiner Gnade, seinem Wort und Segen zuvor, andererseits bringt die Versammlung ihre Nöte und ihren Dank zu Gott. «Ziel [der Liturgie] ist die Heiligung des Menschen » (S. 21) und der Lobpreis Gottes.

Drittens ist Liturgie eine Kunst, deren Gelingen abhängig ist von ihrer kommunikativen Kraft: von der Verstehbarkeit, von der Dichte und Transparenz sowie von der Sprache. Dazu gehört auch, dass alle Sinne, dass Leib und Seele, Körper und Geist angesprochen werden und dass man sich um eine angemessene musikalische Gestaltung bemüht. Die Atmosphäre sollte viertens im Zeichen der Gastfreundschaft stehen, die spürbar macht, wie sehr alle Teilnehmenden willkommen sind. Weniger hilfreich ist die Feststellung des Jugendkatechismus, dass der Besuch des Gottesdienstes ein Gebot unter schwerer Sünde ist (Youcat 2011, S.201, Nr. 365). Mir scheint, dass der heutige Mensch mehr denn je offen ist für gemeinschaftliches Feiern. Er ist auf der Suche nach Sinn und Wertschätzung, nach Ritualen, die ihm gerecht werden, und nach offenen Menschen, die sie freimütig feiern. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, könnte das gottesdienstliche Feiern der Kirche neue Überzeugungskraft gewinnen und sowohl Gott preisen als auch den Menschen guttun.

 

 

Stephan Leimgruber

Stephan Leimgruber

Dr. Stephan Leimgruber ist seit Februar 2014 Spiritual am Seminar St. Beat in Luzern und zuständig für die Theologinnen und Theologen in der Berufseinführung. Bis zu seiner Tätigkeit in Luzern war er Professor für Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät in München.