Wenn Jugendliche Kirche träumen

Viele Jugendliche stehen der Kirche skeptisch oder gar ablehnend gegenüber. Wie aber sollen ihre Wünsche, Kritik und Hoffnungen Eingang in die Jugendsynode in Rom finden? Im Oberwallis wurde ein Weg gefunden.

Valentin Beck und Weihbischof de Raemy im Gespräch mit Jugendlichen und Seelsorgern. (Bild: Damian Pfammatter)

 

«Zum Thema ‹Kirche und Jugend› muss ich ehrlich sagen, fällt mir nichts Spontanes ein, da ich selber nur noch sehr wenig bis gar nichts mit der Kirche zu tun habe.» Diese Aussage eines 18-jährigen Schülers entspricht der Haltung eines grossen Teils junger Menschen. Viele Jugendliche sind «kirchlich obdachlos» geworden. Die Kirche kommt in ihrem Alltag gar nicht mehr vor. Das ist ein Zeichen unserer Zeit, das auch Papst Franziskus wahrnimmt. Deshalb hat er für Oktober dieses Jahres eine Bischofssynode zum Thema «Die Jugend, der Glaube und die Berufungsentscheidung» einberufen. Der Papst hat erkannt, dass in Kirche und Welt ein Aufbruch nötig ist.

Auf die Jugendlichen hören

Eine wichtige Grundvoraussetzung, um Veränderungen in Gang zu bringen, ist das Hören. Wenn Jugendliche die Zukunft der Kirche sind, dann gilt es zu hören, was sie zu sagen haben, was ihnen auf dem Herzen liegt. Die Kluft zwischen den Jugendlichen und der Kirche ist, wie es der Schüler oben sagt, sehr gross. Viele Eltern sind kirchenfern und vernachlässigen so auch die kirchlich-religiöse Sozialisation ihrer Kinder. Die Kirche ist nicht mehr gelebter Bestandteil im Alltag von Jugendlichen und Erwachsenen. An ihre Stelle sind andere Dinge getreten wie Sport, Fitness, Shopping, der Austausch in und mit Onlinemedien usw. Die «digitalisierten Jugendlichen» können Wissen, Meinungen oder Hilfen per Smartphone abrufen. Sie brauchen keine Kirche, die ihnen sagt, wie sie zu leben haben, was für sie gut und sinnvoll ist. Die Kirchen haben ihre «soziale und normative Integrationskraft» (Michael Ebertz) verloren.

Wünsche finden ihren Weg nach Rom

Als Vorbereitung zur Bischofssynode hat die Fachstelle «Jugendseelsorge Oberwallis» zusammen mit der Fachschaft «Religion» des Kollegiums Spiritus Sanctus Brig zu einer lokalen Jugendsynode eingeladen. Etwa 50 junge sowie interessierte Personen fanden am 19. April den Weg in den Theatersaal des Kollegiums.

Ziel der Jugendsynode war es, die Anliegen der Jugendlichen konkret zur Sprache zu bringen. Dabei standen zwei Fragen im Zentrum: 1. Wie sehen die Jugendlichen gegenwärtig Kirche, Glaube, Gott? 2. Welche Visionen, Wünsche und Erwartungen haben Jugendliche an Kirche und Glaube? Zu diesen Fragen äusserten sich zunächst die beiden Gäste: Valentin Beck, Bundespräses von Jungwacht Blauring Schweiz, und Alain de Raemy, Jugendbischof unseres Landes. Nach diesen zwei Vorträgen kamen die jungen Menschen selber zu Wort. Sieben unterschiedliche Gruppen präsentierten ihre Antworten zu den beiden Fragen und brachten ihre Träume und Hoffnungen zum Ausdruck. Anschliessend wurde gemeinsam darüber diskutiert, die Resultate zusammengetragen und dem Jugendbischof übergeben. Alain de Raemy soll diese Meinungen bei der Bischofssynode in Rom einbringen und vertreten.

Was die jungen Menschen bewegt

Was können uns die Jugendlichen des Oberwallis für die Zukunft der Kirche sagen? Wie muss sich die Kirche ändern, um nicht in der «Logik des ‹Das war schon immer so›» (Papst Franziskus) zu verharren?

Partizipation und Engagement
Viele Jugendliche engagieren sich ehrenamtlich: als Leiterin bei den Ministranten, als Leiter in der Jublaschar, in kirchlichen Erneuerungsbewegungen, als Lektorin im Gottesdienst, als Peace- maker in der Schule, in Jugendarbeitsstellen, als Trainer im Sportverein, in der Jugendmusik oder in der Jugendfeuerwehr. Dieses Engagement gilt es wahrzunehmen und wertzuschätzen. Es gilt aber auch, dieses vermehrt in der Kirche zu nutzen, denn die Jugendlichen wünschen sich eine stärkere Einbindung in die Gestaltungsprozesse der Kirche. Sie möchten bei einem Gottesdienst nicht nur «berieselt» werden und passiv da sein, sondern aktiv ins Geschehen miteinbezogen werden. Dies betrifft nicht nur die Liturgie, sondern alle Bereiche der Kirche. Jugendliche wollen Kirche aktiv und kreativ mitgestalten.

Begegnungsort
Kirche soll zum Ort werden, wo wirkliche Begegnungen stattfinden. Ein Ort, wo Menschen zusammenkommen, um sich gegenseitig im Glauben zu unterstützen und zu stärken, wo man sich auch nach dem Gottesdienst trifft und zusammen etwas unternimmt. Kirche als Ort, wo echte Gemeinschaft spürbar, wo die frohe Botschaft von Jesus Christus mit Freude verkündet und gelebt wird. Viele Jugendliche wünschen sich eine Kirche mit lebendigen, dynamischen, mutigen Gottesdiensten, in denen sie Lebensfreude erfahren und Gott begegnen können.

Liebe statt Moral
Die Jugendlichen nehmen die Kirche vor allem als Moralinstitution wahr. Sie wollen jedoch weg von einer Kirche, die von oben herab Strukturen vorgibt und Moral vermittelt. Die Liebe als zentrale Botschaft der Kirche soll in den Mittelpunkt gestellt werden. Sie träumen von einer Kirche, die nicht noch mehr Regeln und Gesetze vorgibt, sondern mehr Verständnis, Toleranz, Wohlwollen und Mitgefühl lebt. Sie wünschen sich eine Kirche, die vom gelehrten zum gelebten Glauben (Jublamotto «Glauben leben») führt, einem Glauben, der den Menschen mit ihren Sorgen, Ängsten und Nöten Mut zuspricht.

Gottesdienste
Die Gottesdienste, insbesondere auch die Predigten, sind langweilig, altmodisch und abstrakt. Die liturgischen Formen und ihre Sprache sind den Jugendlichen fremd und unverständlich. Sie wünschen daher eine verständliche Sprache und Formen, die ihrer Lebenswirklichkeit angepasst sind. Auch die Musik muss ihrer Meinung nach klar aufgewertet und zeitgemäss gestaltet werden.

Authentizität
Die Jugendlichen haben ein feines Gespür, ob eine Person echt ist oder nicht. Die fehlende Authentizität, den Mangel an Echtheit spüren die Jugendlichen auch in der Kirche. Sie empfinden viele Gläubige, vor allem auch pastoral Mitarbeitende in ihrer Lebenshaltung als nicht authentisch. Besonders wünschen sie sich Priester, die transparent, offen, ehrlich, lebensnah sind, die das leben, was sie predigen. Nur so sind sie glaubwürdig, geben Zeugnis für den Glauben und können Vorbilder sein.

Frauen
Vor Gott sind alle Menschen gleich. Wenn die Kirche von Gleichheit der Geschlechter spricht, dann ist es an der Zeit, dass die Rolle der Frau in der Kirche aufgewertet wird, was auch die Frage nach dem Priesteramt der Frau beinhaltet.

Sozialer Einsatz
Die Jugendlichen sehnen sich nach Gerechtigkeit und Frieden. Dazu braucht es eine Kirche, die dient, die Widersprüche beseitigt, Homo- sexuelle, geschiedene Wiederverheiratete sowie Andersdenkende nicht verurteilt. Sie wollen eine Kirche, mit der sie sich gegen ungerechte Strukturen einsetzen können, um so zu einer besseren, menschenwürdigeren Welt beizutragen.

Modernes Weltbild
Die Jugendlichen empfinden zwischen Wissenschaft und Religion eine grosse Diskrepanz. Sie erwarten von der Kirche, dass diese die neuen Erkenntnisse von Medizin und Wissenschaft aufnimmt und integriert.

Jugendliche träumen die Kirche
Die Oberwalliser Jugendlichen träumen von einer Kirche, in der sie

  • authentisch Glaube, Hoffnung, Liebe erfahren
  • Werte glaubwürdig vorgelebt bekommen
  • sich trotz all ihrer Fehler und Schwächen bedingungslos angenommen und akzeptiert fühlen
  • mit ihren Fragen und Provokationen ernst genommen werden
  • in ihrer Suche nach Orientierung und Identität sachte begleitet werden
  • Zusammenhalt und Austausch erleben
  • Offenheit und Gesprächsbereitschaft entdecken
  • sich für andere einsetzen können
  • sich herausgefordert wissen von der Botschaft Jesu und die Begeisterung des Glaubens mit anderen teilen können
  • lebendige und begeisternde Gottesdienste feiern können
  • lernen, in Freiheit Verantwortung für ihr Leben, aber auch für die Gemeinschaft (und Kirche) zu übernehmen
  • Gleichberechtigung von Frau und Mann verwirklichen.

Es geht nicht darum, die Jugendlichen in die Kirche zu locken, sondern vielmehr zu den suchenden, interessierten, provozierenden oder neugierigen jungen Menschen hinzugehen und sie zu erreichen. Es wäre zu wünschen, dass sich Eltern, Lehrpersonen, Priester, ja alle Gläubigen den Fragen, Wünschen und Erwartungen der Jugendlichen stellen. Mit ihnen einen Weg suchen, ihn gehen und so Kirche sind − Glauben leben!

Damian Pfammatter


Damian Pfammatter

Dr. Damian Pfammatter (Jg. 1971) hat nach seiner Lehre als Hochbauzeichner die Matura absolviert und anschliessend in Freiburg i. Ue. Theologie und Pädagogik studiert. Er ist Leiter der Fachstelle «Jugendseelsorge Oberwallis» des Bistums Sitten und arbeitet als Religionslehrer an der Orientierungsschule Visp sowie als Gymnasiallehrer Religion am Kollegium Spiritus Sanctus Brig. Zusätzlich ist er als Seelsorger in der Pfarrei St. Martin Visp/Eyholz-Baltschieder tätig. Er ist mit Nicole Pfammatter-Grichting verheiratet und Vater von zwei Kindern, Julian und Elena. 2006 wurde er zum Diakon geweiht.