Wasser wird geholt, um den drei Gästen im Schatten unter dem Baum die Füsse zu waschen, Fladenbrot wird gebacken, ja ein prächtiges Kalb wird eilends geschlachtet, um es den durchreisenden Fremden vorzusetzen – die Erzählung in Gen 18,1–15 ist das biblische Paradebeispiel altorientalischer Gastfreundschaft.1 Die Detailliertheit der Beschreibung wirkt wie ein Fenster in eine ferne, im Orient aber zu Teilen noch immer lebendige Kultur. Nicht nur im Nahen Osten, auch in anderen Erdteilen zählt Gastfreundschaft unter nomadischen Völkern zu den höchsten Werten. In Bezug auf das Alte Testament wären neben Abraham auch die Witwe von Sarepta (1 Kön 17,10–24) und die Schunemiterin (2 Kön 4,8–37) zu nennen, die beispielhaft einem Fremden gastfreundlich begegnen, wobei die beiden (phönizischen) Frauen Elija bzw. Elischa nicht nur bewirten, sondern auch für einige Zeit bzw. wiederholt bei sich aufnehmen.
Ein kontrastives Bild zeichnen dagegen die Erzählungen in Gen 19,1–11 und Ri 19,15–30. In beiden Fällen sind die einzigen, die den Fremden Gastfreundschaft gewähren, selbst Fremde: Lot nimmt in Sodom die beiden Männer bei sich auf, könnte sie aber ohne deren eigenes Eingreifen nicht schützen vor den gewalttätigen Sodomitern. Der betagte Efraimiter in Gibea dagegen scheitert – die Nebenfrau des Gastes wird von den Einwohnern der Stadt vergewaltigt und so schwer misshandelt, dass sie an der Türschwelle, der Grenze zum Schutzraum, stirbt. Die (versuchte) Gewalt gegen die Gäste ist in beiden Erzählungen Sinnbild für die Verworfenheit der jeweiligen Stadtbevölkerung.
Gott als Gast
In Gen 18 sind es allerdings keine gewöhnlichen Gäste, die Abraham auf vorbildhafte Weise bewirtet. Bereits in der Einleitung zur Erzählung erfahren die Leserinnen und Leser, dass es Gott selbst ist, der in Gestalt der drei Fremden Abraham erscheint («Der HERR erschien Abraham bei den Eichen von Mamre», V.1). Auf welche Weise der Gastgeber die Identität der drei Gestalten erkennt oder erahnt, lässt der Text offen. Umso mehr hat das Enigmatische der drei Männer das Interesse jüdischer und christlicher Rezipienten geweckt.2 Philo von Alexandrien (ca. 15 v. Chr. – 40 n. Chr.) erkennt in den drei geheimnisvollen Gästen Gott, den Vater des Universums, und seine beiden begleitenden Kräfte – Gottes Schöpfermacht und seine Weltregierung. Andere frühjüdische Auslegungen unterscheiden zwischen der Erscheinung von Gott selbst (Gen 18,1) und den drei Besuchern (V.2), und identifizieren letztere als drei Engel, denen zuweilen die Namen Michael, Gabriel und Rafael zugeordnet werden.
Frühchristliche Interpretationen dagegen deuten die drei Gestalten als Erscheinen Jesu Christi in Begleitung von zwei Engeln. Grundgelegt ist diese Identifikation in Joh 8,53.56.58, wo Jesus erklärt: «Euer Vater Abraham jubelte, weil er meinen Tag sehen sollte. Er sah ihn und freute sich. […] Amen, amen, ich sage euch: Noch ehe Abraham wurde, bin ich.» Darüber hinaus wird die Gleichsetzung begünstigt durch die Übersetzungspraxis der Septuaginta, die den Gottesnamen JHWH mit «kyrios» («Herr») wiedergibt (Gen 18,1.13.14); ebenso wird nun aber im Neuen Testament auch Christus zuweilen mit «Herr»/«kyrios» angesprochen (vgl. Mt 8,2.6; Joh 4,11.15 usw.). Vermutlich auf Origenes (ca. 185–254 n. Chr.) geht die theologisch-spekulative Interpretation zurück, die das Erscheinen des einen Gottes bei gleichzeitiger Dreizahl der Besucher als Bild für die Trinität deutet; ab dem 4. Jahrhundert wird diese Auslegung auf christlicher Seite vorherrschend und tritt auch in der christlichen Kunst zutage, nicht zuletzt in der berühmten Dreifaltigkeitsikone von Andrei Rubljow (ca. 1360–1430).
Mysterium tremendum et fascinans
Die drei Gäste überbringen Abraham eine frohe Botschaft – die Ankündigung der Geburt eines Kindes: Binnen eines Jahres werde seine Frau Sara einen Sohn gebären – Isaak –, was denn auch, wie in Gen 21,1–7 erzählt wird, genau so eintritt. Die Gottesbegegnung endet aber nicht mit dieser Heilsbotschaft. Als vorbildhafter Gastgeber begleitet Abraham die drei Besucher ein Stück weit auf ihrem weiteren Weg. Dabei kommt es zu einem weiteren Gespräch (Gen 18,16–33), das erzählerisch zu Gen 19, dem Strafgericht an Sodom und Gomorra, überleitet; einzig Lot und seine Familie werden vor der Vernichtung aus Sodom errettet. Der Erzählzusammenhang spiegelt damit die Doppelgesichtigkeit wider, die im Wort «Heimsuchung» (Schicksalsschlag / heilvolle Gottesnähe) liegt: Gott «sucht» gleichermassen Abraham und die beiden Städte in der Araba «heim», aber mit gegenteiligem Ausgang – Abraham erfährt Heil, Sodom und Gomorra werden im Vergeltungsgericht vernichtet. Es wird darin gleichsam der Schrecken und die Faszination greifbar, die Rudolf Otto in seinem berühmten Werk «Das Heilige» als «mysterium tremendum et fascinans» umschrieb und deren Verschränkung typisch ist für biblische Theophanieschilderungen.3 So wird Abraham in einer dem Besuch der drei Männer vorangehenden, nächtlichen Gottesbegegnung, bei der ihm Land und Nachkommen verheissen werden, von der Angst erfasst (Gen 15,12), und auch Jakob wird durch das Erscheinen Gottes im Traum, bei dem ihm die gleiche Verheissung zuteil wird, von Angst ergriffen (Gen 28,17).
Transformation der Angst
Bei der zweiten Gottesbegegnung Jakobs, die sich beim Überschreiten des Jabboks im Ostjordanland ereignet (Gen 32,23–33), scheint das Moment des Tremendum, des Erschreckenden ebenfalls auf. Dem plötzlich auftauchenden nächtlichen Gegner, der sich Jakob entgegenstellt, haftet etwas Dämonisches an (V.25–26).4 Doch Jakob stellt sich der Bedrohung, damit auch der eigenen Todesangst. Schliesslich erweist sich der Gegner als Gott selbst, der beim Anbruch des neuen Tages Jakob segnet (V.27–31), bevor er ihn ziehen lässt. Die Namensänderung von Jakob zu Israel («Gottesstreiter», V.28) zeigt an, dass Jakob eine Wandlung durchlaufen hat, die kennzeichnend ist für die Begegnung mit Gott und folglich der Erfahrung des «mysterium tremendum et fascinans», nämlich die Transformation der Angst zu Ehrfurcht. So wird auch Maria beim Eintreten des Engels zunächst von Angst ergriffen, dann aber durch die Botschaft des Engels («fürchte dich nicht» Lk 1,30) zur Furchtlosigkeit ermächtigt; in ähnlicher Weise reagieren die Hirten auf dem Feld auf des Erscheinen des Engels zuerst mit Angst (Lk 2,9), worauf ihnen gegenläufig dazu die Heilsbotschaft verkündet wird: «Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine grosse Freude» (V.10).
Mit Kim Strübind kann die Angst – das Moment des Tremendum – als ein «notwendiges transitorisches Element bei der Begegnung mit dem Heiligen»5 verstanden werden: «Die (Todes-)Angst muss überwunden werden, wobei gleichzeitig der numinose Charakter der Begegnung erhalten bleiben muss. […] Dieser Behalt der Furcht ist notwendig, weil andernfalls das Profane das Heilige absorbieren und auflösen würde. Die Ehrfurcht verhindert diese Assimilation.»6 Zugleich stellt das Moment der Angst, wie es uns in den biblischen Heimsuchungen begegnet, ein wichtiges Korrektiv gegen eine falsche Selbstgewissheit und dogmatische Enge von Gläubigen, aber auch gegen eine Reduktion des Gottesverständnisses auf eine Art Kummerkasten oder Platzhalter zur Kontingenzbewältigung dar. Gott bleibt der ganz Andere, der unsere Bilder und Vorstellungen übersteigt, und kommt uns dennoch in erschreckender und faszinierender Weise nahe.
Tobias Häner