Vertrauen und Bedeutsamkeit

Zum Jahresende fragt Markus Thürig, Generalvikar des Bistums Basel: Wie gewinnt die röm.-kath. Kirche in der Verkündigung wieder Vertrauen und Relevanz?

Seelsorgerinnen und Seelsorger staatskirchenrechtliche Behördenmitglieder kennen es: Sie beantworten eine Forderung abschlägig und erhalten als Antwort die Androhung des Kirchenaustritts. Es hat sich herumgesprochen, dass man mit der Kirchenaustrittsdrohung Druck machen kann. Wer das tut, geht davon aus, dass den Kirchenverantwortlichen Geld wichtig ist. Wer das tut, versteht die Kirche als Dienstleister zur Abgeltung der Kirchensteuer.

«Entkirchlichung als Prozess» – eine jüngst veröffentlichte Studie1 – gibt zu denken: «Erosionsprozesse betreffen sowohl die Kirche als Institution als auch den individuellen Bereich des Glaubens und der religiös-spirituellen Praxis. Die Analysen zeigen deutlich, dass es den Kirchen in einem von Säkularisierung und Individualisierung geprägten gesellschaftlichen Kontext immer weniger gelingt, durch ihre traditionellen Ritualangebote Menschen in ihren Glaubensvorstellungen und ihrer religiösen Praxis nachhaltig zu prägen.  [...] Die Kirchen sind damit grundlegend herausgefordert, ein neues Selbstverständnis gegenüber der Gesellschaft und ihren Individuen zu finden.» (Entkirchlichung, 105)

Darum bemüht sich die röm.-kath. Kirche gerade stark. Beispiel dieser Suche nach einem neuen Selbstverständnis ist der weltweite synodale Prozess. Die Hauptmeinung verortet das neue Verhältnis der Kirche zur Gesellschaft und zu den Individuen im Aufzeigen, dass auch die Kirche in der postmodernen Welt angekommen ist. Wissenschaftliche Erkenntnisse sollen in die Lehre der Kirche einfliessen, z. B. in sexualethischen Fragen. Die individuelle Freiheitsgestaltung soll als lebenslanges Lernen anerkannt werden und so die Epikie wieder an Bedeutung gewinnen. Gewaltenteilung und Machteinschränkung sollen institutionalisiert werden. Die Kirche soll die gelebte Lebenswelt anerkennen. Praxis soll zur Lehre werden. Das neue Selbstverständnis der Kirche soll in einer Passung ihrer Lehre und Praxis an die gesellschaftlichen Standards gründen. Denn: Menschen, die sich von der Kirche verstanden fühlen, nähern sich ihr (wieder) an, schöpfen Vertrauen.

Es braucht Veränderungen – sie sind im Gange. Allerdings irritiert mich die Selbstverständlichkeit dieser Annahmen. Ich bringe sie nicht zusammen mit den berichteten Erfahrungen des Nazoräers, dessen Forderungen als unerhört empfunden wurden. So viele wendeten sich von ihm ab, dass er den Zwölferkreis fragte: «Wollt auch ihr weggehen?» (Joh 6,67) «Simon Petrus antwortete ihm: Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.» (Joh 6,68) Also: Wer für der Menschen Leben bedeutsame Worte hat, gewinnt Vertrauen.

Wo liegt die Bedeutsamkeit der christlichen Botschaft für Menschen unserer Zeit? Wofür erhoffen sie sich einen Heiland? Wovon wollen sie erlöst werden? Schenkt die Perspektive ewigen Lebens Kraft für heute? Sind Kontingenzerfahrungen Fenster zu einer Wirklichkeit jenseits der fünf Sinne? Das sind meine wichtigen Fragen auf der Suche nach dem oben erwähnten neuen Selbstverständnis.

In dem Masse, in dem Kirchenglieder um Verständigung mit den Überzeugungen unserer Zeit ringen, haben sie auch die Bedeutsamkeit der christlichen Botschaft für unsere Zeit zu suchen und zu bezeugen; denn Vertrauen und Bedeutsamkeit gehen Hand in Hand.

Markus Thürig

 

1 O. Wäckerlig, E. Baumann-Neuhaus und A. Bünker, Entkirchlichung als Prozess. Beobachtungen zur Distanzierung gegenüber Kirche und kirchlicher Religiosität, in: J. Stolz et al., Religionstrends in der Schweiz, 2022, 105-142.

 


Markus Thürig

Dr. Markus U. Thürig (Jg. 1958) ist seit 2011 Generalvikar des Bistums Basel und Präsident der Herausgeberkommission der Schweizerischen Kirchenzeitung SKZ sowie Präsident des Bildungsrats der DOK.