Was ist guter katholischer Journalismus?

Veronika Jehle, Giuseppe Gracia, Maurice Page und Nicole Büchel nehmen zu dieser Frage Stellung. Und sie schreiben, worin sie die Aufgaben kirchlicher bzw. katholischer Medien und des katholischen Journalismus heute sehen.

Die Option für die Menschen wählen und  erzählen, was sich an Gutem zeigt

Guter katholischer Journalismus ist wie jeder andere gute Journalismus: kritisch, differenziert, überraschend, informativ. Allerdings: Er könnte getragen sein von der Hoffnung, im Gegenüber dem Angesicht Christi zu begegnen. Und von der Überzeugung, dass die Entwicklungsdynamiken der Schöpfung nach und nach, Widersprüchen und  Widerwärtigkeiten zum Trotz, aber doch zum Guten führen. Es wäre mehr eine innere Haltung als ein lautes Bekenntnis; es wäre mehr die Weise, zu erzählen und zu berichten, als die Worte selbst.

Viel schwieriger als die Haltung gegenüber «der Welt» und «den Menschen» scheint mir jedoch jene gegenüber «der Kirche» zu sein, gegenüber unserer eigenen Glaubensgemeinschaft. Ich meine, es braucht dafür eine Entscheidung: darüber, was es ist, das mir als Journalistin im katholischen Kontext heilig ist. Menschliche Bedürfnisse und irdische Realitäten? Oder eine Institution? Das «oder» ist an dieser Stelle nicht leichtfertig hingeschrieben. Ich bin überzeugt, dass guter katholischer Journalismus heute heisst, sich in ein kritisches Verhältnis zur Institution der römisch-katholischen Kirche zu setzen. Das heisst konkret, zu jenen Gesichtern, die Gegebenheiten als steinerne Realitäten verkaufen, dafür nichts mehr in die Waagschale legen können als die Macht ihres Amtes und dann ebendiese Macht als Dienst und Demut verschleiern. Guter katholischer Journalismus könnte hier heissen, der Beweihräucherung zu entsagen und die Option für die Menschen zu wählen. Dann wären wir beim Eigentlichen: Davon zu erzählen und zu berichten, was sich an Gutem, Wahrem und Schönem jetzt schon zeigt – auch in unseren christlichen, auch in unseren katholischen Traditionen.

Veronika Jehle ist stv. Redaktionsleiterin beim forum, dem Pfarrblatt der katholischen Kirche im Kanton Zürich


Unsere Zeit kritisch am Mass von Glaube und Kirche messen

Die Säkularisierung hat zu einem sehr weltlich orientierten Zeitgeist geführt. Dieser möchte, dass die Standards der Kirche die gleichen werden wie die Standards der säkularen Gegenwartskultur. Die Lebensgewohnheiten des kirchenfernen, mitteleuropäischen Wohlstandsmenschen soll normative Vorgabe werden für die Reform der Lehre der Kirche. Dazu passend erscheint in vielen Medien die katholische Tradition im Licht des Zeitgeistes. Dabei sollte es umgekehrt sein: Damit der Glaube Salz der Erde und Stachel im Fleisch der Konsumgesellschaft sein kann, sollte der Zeitgeist im Licht der katholischen Tradition beurteilt werden.

Das wäre meiner Meinung nach die Aufgabe eines guten katholischen Journalismus. Er sollte nicht nachäffen, was säkulare Medienleute bereits tun (Glaube und Kirche kritisch am Mass der Welt zu messen), sondern er sollte dem Publikum bieten, was die anderen nicht bieten: unsere Zeit kritisch am Mass von Glaube und Kirche zu messen. Aber dazu braucht es Journalisten, die vom Glauben statt vom Zeitgeist ausgehen. Und die auch den Mut haben, sich anzulegen mit dem Zeitgeist. Es braucht zudem eine Kirchenleitung, die nicht nur intern von Evangelisierung redet, sondern auch die externe Kommunikation so ausrichtet. Wenn man nämlich die konkreten Inhalte anschaut, die von der Kirche seit vielen Jahren kommuniziert werden, dann geht es in grosser Mehrheit um Fragen der Institution, um Ämter, Macht oder interne Misstände. Das evangelisiert niemanden, und es ist auch kein katholischer Journalismus, sondern institutioneller Narzissmus. Das müsste sich ändern. Die Hierarchie müsste Laien als zeitkritische Journalistinnen und Journalisten darin unterstützen, auf dem Areopag der digitalisierten Mediengesellschaft zu bestehen und den Glauben zu verkünden.

Giuseppe Gracia ist Schriftsteller und Kommunikationsberater


Wahrheit, Geduld und Unterscheidungsvermögen zeichnen ihn aus

«Ich glaube, dass wir, wenn wir uns nicht verlieren wollen, die Wahrheit guter Geschichten nötig haben wie den Atem: Geschichten, die erbauen, nicht zerstören; Geschichten, die uns helfen, unsere Wurzeln und die Kraft zu finden, gemeinsam voranzugehen.» In seiner Botschaft zum 54. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel 2020 gibt uns Papst Franziskus diese schöne Definition dessen, was die Rolle eines katholischen Journalisten sein sollte. «Im Wirrwarr der uns umgebenden Stimmen und Botschaften brauchen wir ein menschliches Erzählen, das uns von uns und von dem Schönen spricht, das in uns wohnt. Ein Erzählen, das die Welt und die Ereignisse mit Zärtlichkeit zu betrachten versteht; das erzählt, dass wir Teil eines lebendigen Gewebes sind und das zeigt, wie sehr die Fäden, die uns aneinander binden, miteinander verflochten sind.»

Heute finden wir in der Presse Informationen. Die Genres der Untersuchung und der Berichterstattung verlieren an Platz und Qualität zugunsten vorgefertigter, selbstreferenzieller Informationen. Ein Journalist, im Besonderen ein katholischer, muss auf die Strasse gehen, die Sohlen seiner Schuhe abtragen, um Leute zu treffen, um bestimmte Situationen von Angesicht zu Angesicht zu überprüfen. «Wir brauchen Geduld und Unterscheidungsvermögen, um jene Geschichten wiederzuentdecken, die uns helfen, inmitten der Zerrissenheit unserer Zeit nicht den Faden zu verlieren; Geschichten, die die Wahrheit unseres Seins wieder ans Licht bringen – auch in der oft übersehenen Heroik des Alltags.»

Wahrheit, Geduld, Unterscheidungsvermögen, das sind die drei Hauptqualitäten für unseren Beruf als Journalisten. Wahrheit bedeutet, nichts zum Schweigen zu bringen, nichts zu verbergen, unbestätigte Fakten, Halbwahrheiten und Lügen zu vermeiden, Sensationslust und die einzelne Meinung abzulehnen; geben Sie allen eine Stimme, unterscheiden Sie die Tatsache und den Kommentar. Geduld bedeutet, die Eile aufzugeben und sich nicht an die Zahlen des Publikums zu halten. Das Urteilsvermögen drängt uns, hinter die Erscheinung zu schauen, Wohlwollen zu üben, in einfachen Tatsachen eine Erzählung zu suchen, die uns mit dem lebendigen Gewebe der Menschheit verbindet.

Maurice Page ist Präsident des Schweizerischen Vereins katholischer Journalistinnen und Journalisten


Gute Kommunikation holt die Menschen ab – direkt, zeitnah und in ihrer Sprache

In nahezu allen Bereichen unserer Welt erleben wir Paradigmenwechsel. Die Frage nach dem Sinn des Lebens prägt den Alltag. Das stellt sowohl Politik, Wirtschaft, Kunst, Medien als auch die katholische Kirche vor Herausforderungen und fordert neue Antworten auf Lebensfragen.

Die Frage, wie wir miteinander kommunizieren, ist für unsere Gesellschaft eine entscheidende Zukunftsfrage. Social Media, Entfremdung zwischen Kirche und Gesellschaft sowie demografische Entwicklungen fordern kirchliche Kommunikation heraus. Durch die Digitalisierung wurde die Kommunikationskultur auf den Kopf gestellt. Kein Grund zu jammern, die neuen Möglichkeiten bergen ein unerschöpfliches Potenzial. Die katholische Kirche kann, sie muss aus ihren festen Mauern ausbrechen und in die Welt hinausgehen. Das Wort Gottes hört jeder überall und jederzeit. Demgegenüber fordert die unpersönliche Kommunikation ein höheres Mass an Respekt und Verantwortung – Netiquette ist das neue Modewort.

Die Voraussetzungen für die kirchliche Kommunikation und die katholischen Medien sind in den letzten Jahren nicht einfacher geworden. Alle Zielgruppen wollen direkt, zeitnah und in ihrer Sprache angesprochen werden. Wie aktuelle Umfragen zeigen, hat insbesondere durch die anhaltenden Krisensituationen die Religiosität per se nicht abgenommen – die Ansprüche an die Seelsorger und Seelsorgerinnen aber auch nicht. Eines haben die letzten Jahre der Pandemie und des aktuellen, tragischen Krieges direkt vor unserer Haustüre gezeigt: Die digitale Revolution hat einige Veränderungen in unserem Leben beschleunigt, die Grundbedürfnisse der Menschen sind aber weitestgehend dieselben geblieben. Lebensqualität und Resilienz stehen höher im Kurs als Profit und Kapital. Der entscheidende Faktor für eine aufblühende Kirche darf neben all den Diskussionen um Stil und Kultur nicht übersehen werden: Unsere Zukunft sind die jungen Menschen. Sie entscheiden, ob die Gotteshäuser in einigen Jahren geschlossen oder immer noch Ort der Begegnung, des gemeinsamen Glaubensbekenntnisses und des Austausches bleiben. Die Kirche muss sich um ihren Nachwuchs kümmern und dafür ist die Digitalisierung ein Segen.

Nicole Büchel ist Kommunikationsverantwortliche im Bistum Chur

 

1 Übersetzung SKZ.