Vor immer neuem Hintergrund des Bleibenden gedenken

Guido Scherrer, Generalvikar des Bistums St. Gallen, beobachtet, wie die Musik in Corona-Zeiten die Herzen der Menschen erquickt.

Seit einigen Wochen darf in den gottesdienstlichen Versammlungen nicht mehr von der ganzen Gemeinschaft gemeinsam gesungen werden. An der Kathedrale von St. Gallen erlebe ich dank der abwechslungsreichen Mitgestaltung durch die Dommusik und aufgrund des Engagements von Kantorinnen und Kantoren, von Organistinnen und Organisten und zahlreichen Instrumentalisten mit vielen Gottesdienstbesuchenden oder Teilnehmenden der Livestreams die Kirchenmusik noch einmal von einer ganz anderen Seite. Sie ist in der auferlegten Stille noch beeindruckender, noch konzentrierter.

Bezüglich der Verkündigung des Wortes Gottes hören wir als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Seelsorge ja manchmal die leise Kritik, dass es immer die schon bekannten Erzählungen seien – richtig ermüdend – und dass das niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocke. An den hochfestlichen Tagen des Weihnachts- und Osterfestkreises ist das mit wenigen Ausnahmen in jedem der drei Lesejahre so. Ganz ähnlich ist es, wenn ich an die weiteren Glaubens- und Bekenntnisformeln der Messe denke wie Kyrie, Gloria, Credo, Heilig, Lamm Gottes. Auch die verschiedenen Hochgebete und Präfationen und die verschiedenen vorgesehenen Gebete werden wohl kaum bei den kritischen Zuhörenden ein Erstaunen hervorrufen: «Das ist ja mal ganz was Neues!» Obwohl bei den letztgenannten Elementen die Abwechslung schon etwas grösser wird. Aber alles in allem gilt sicher: Eine Feier ist mit einer anderen fast identisch.

Kleinstensembles spielen oder singen (entsprechend den Schutzkonzepten) die Ordinariumsteile mit immer anderen Kompositionen. Die musikalische Gestaltung durch verschiedenste Komponisten je anderer Zeitepochen verdeutlicht: Musik hebt die immer gleichen Texte aufgrund der Verschiedenartigkeit der Musik in je andere Sphären. Sie berührt und bringt nicht nur einen Raum zum Klingen. Musik wirkt hinein in die Herzen der Menschen und bei so manchen Zuhörenden oder Mitfeiernden beobachtete ich, wie Freude in den Gesichtern aufstrahlte.

Der Unterschied von einer zur anderen Feier liegt für mich bei aller möglichen Variabilität aber bei mir selber. Ich feiere doch jeden Tag – eigentlich fast jede Stunde – nicht nur wenn ich auf mein Umfeld blicke, sondern auch dann, wenn ich mich ganz allein anschaue, als einer, der sich mehr oder weniger von einem zum anderen Augenblick verändert. All das, was ich wahrnehme als etwas, das mich auch angeht, gibt doch dem sich gleichbleibenden rituellen Feiern einen je anderen Grund. Oder ich betrachte das Gehörte und Gebetete wie innerhalb einer ganz anderen Kulisse. So erhalten für mich die altehrwürdigen Worte der heiligen Schrift oder die Schätze der Gebetstradition der Kirche eine zusätzliche, ganz persönliche Tiefendimension und ermöglichen Deutungen, die ganz aktuell sein können.

Was mir immer wieder hilft, diese Dimension des Betens und Feierns zu entdecken, ist die kurze Stille oder Sammlung zwischen dem Beenden der Arbeit und dem Beginn des Betens und Feierns. Manchmal ist es ein Loslassen, manchmal auch der bewusste Gedanke an eine konkrete Situation, die mir hilft, die Bühne zu betreten, auf der ich im göttlichen Spiel mittue.

Guido Scherrer


Guido Scherrer

Guido Scherrer (Jg. 1960) wurde nach verschiedenen Tätigkeiten in der Pfarreiseelsorge im Bistum St. Gallen 2003 Regens. Anfang 2016 erfolgte die Ernennung zum Generalvikar. Weiter gehört Scherrer der Herausgeberkommission der SKZ an.