Männer- und Väterbilder

 

«Der erschöpfte Mann» – mit seiner sehenswerten Ausstellung ruft das Landesmuseum Zürich ein grundsätzliches Moment ins Bewusstsein, das bei den Fragen und Diskussionen um Geschlechterstereotype und Rollenverständnisse immer von entscheidender Bedeutung ist: Wer Geschlechterstereotype und Rollenverständnisse hinterfragen, bewerten und neu interpretieren will, kommt nicht umhin, sich mit den jeweiligen Erfahrungswirklichkeiten und ihren Denk- wie Sprachmodellen auseinanderzusetzen, von denen her bzw. auf die hin die Geschlechterstereotype und Rollenverständnisse formuliert wurden und werden. Bezogen auf die «typischen» Vorstellungen und Ausprägungen vom Mann- und Vatersein erweist sich der Rück- und Einbezug der jeweiligen Erfahrungswirklichkeiten schon deswegen als indispensabel, weil viele von ihnen eine sie idealisierende Karriere durchlaufen haben. Und einmal zu zeitübergreifenden Archetypen stilisiert, sind Geschlechterstereotype und Rollenverständnisse in ihrer vermeintlichen Monopolstellung schwer zu (durch-)brechen.

Wann also ist ein Mann ein Mann, wann ein Vater ein Vater? Patriarchale Gesellschafts- und Wertesysteme werden selbstredend andere Wesensmerkmale in den Vordergrund stellen als geschlechtersensible Gesellschaftskonstellationen. Die entscheidende Frage, die sich an beide Pole gleichermassen stellt, wird daher sein, ob das Festhalten oder das Neugenerieren von Wesensmerkmalen des Mann- bzw. Vaterseins dem blossen (Macht-)Erhalt bestimmter Konstruktionen von Lebenswirklichkeiten dienen soll, oder ob ohne Verlustängste, ohne Denk- und Diskursverbote, herrschaftsfreie Transformationen dieser Wesensmerkmale für die entsprechenden Konstellationen der Lebenswirklichkeiten gefunden und errungen werden können, die Männer und Frauen, Mütter und Väter gemeinsam teilen. Ist ein Mann ein Mann, wenn er die ganze Tragik antiker Epenhelden durchlebt, deren Relikte in den Actionhelden cineastischer Blockbuster weiterleben – ausgestattet mit entsprechend «typisch männlichen» Statussymbolen? Oder ist ein Mann ein Mann, wenn er, wie bei manchen aktuellen Werbespots, in vermeintlich «typisch weibliche» Rollenklischees schlüpft? Ist ein Vater ein Vater, wenn er sich als gesetztes Oberhaupt eines idealisierten familiären Gefüges definiert, sich als Hauptverdiener und Erhalter seines häuslichen Reiches gebärdet? Oder ist ein Vater ein Vater, wenn er als Antityp patriarchaler Archetypen diese zu dekonstruieren vermag?

Die Auflistung wäre unendlich weiterzuführen und jedes Argument gebiert zugleich auch ein Gegenargument. Ein echter Paradigmenwechsel in Sachen Männer- bzw. Vaterbilder wird letztlich nur dann möglich sein, wenn die sich immer neu ergebenden Erfahrungs-, Reflexions- und Interpretationshorizonte das an Männlichem bzw. an Väterlichem zur Geltung bringen können, was der gesamten menschlichen Integrität, Identität und Authentizität dient, für die das Mann- bzw. Vatersein einen wesentlichen Teil darstellt, nicht aber «alles in allem» ist.

Salvatore Loiero*

 

* Prof. Dr. Salvatore Loiero (Jg. 1973) ist Priester des Bistums Lausanne-Genf-Freiburg. Er ist seit 2013 Professor für Pastoraltheologie, Religionspädagogik und Homiletik an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg i. Ü.