Vielfältig begabte Kirche

«Die grössten Schweizer Talente», «Das Supertalent» oder «Deutschland sucht den Superstar» – Menschen jeglichen Alters und jeglicher sozialer Schicht beeindrucken in diesen Shows durch ihre Fähigkeiten. «Jeder kann etwas», heisst es landläufig. Dies ist keine neue Erkenntnis. Bereits Paulus weist in seinen Briefen auf die vielfältigen Talente innerhalb der Gemeinden hin. Er benutzt in seinen Schreiben unterschiedliche Begriffe, um die verschiedenen Aspekte der Gaben zum Ausdruck zu bringen. Sie sind Geistesgaben (pneuma, 1 Kor 12,1), Gnadengaben (charisma, 1 Kor 12,4), Dienste (diakonia, 1 Kor 12,5) oder Kräfte (energeia, 1 Kor 12,6). Alle Gaben sind Geschenke des Heiligen Geistes und haben somit ihren Ursprung in Gott. Paulus schreibt weiter: «Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt» (1 Kor 12,7). Es ist deshalb die Pflicht der Christen, ihre vielfältigen Gaben für andere einzusetzen, erst dann kommen sie zur vollen Entfaltung.

Wenn hauptamtliche Mitarbeiter in der Seelsorge fehlen, werden Aufgaben oft Freiwilligen übertragen. So gibt es in Frankreich und Deutschland sowie in der französischsprachigen Schweiz seit einiger Zeit den Dienst des Beerdigungsleiters oder auch des Vorstehers von Wortgottesdiensten.
Ist dies der richtige Weg? Ist der vermehrte Einsatz von Laien ohne theologischen Abschluss eine Bankrotterklärung des Priesteramtes, verbunden mit dem zunehmenden Verlust der Sakramentenspendung? Gefährden wir die Weitergabe des Evangeliums, wenn Laien ohne Theologiestudium Dienste übernehmen dürfen? Oder ist es nicht umgekehrt ein Armutszeugnis, dass ein akuter Priestermangel spürbar sein muss, bevor sich die Kirche darauf besinnt, dass alle Christen durch die Taufe Gaben zum Aufbau der Kirche empfangen haben?
An unserer Sprache zeigt sich, dass dieses Thema in der Kirche noch neu ist: Reden wir von Laien? Von Freiwilligen? Von Ehrenamtlichen? Warum bezeichnen wir Laien ohne theologische Bildung als Leiter z. B. von Beerdigungen, während wir Hauptamtliche mit einem Theologiestudium Pastoralassistenten nennen?

Bei der Förderung der vielfältigen Begabungen innerhalb der Kirche ist eine gewisse Zurückhaltung, z. T. auch Angst spürbar, denn das Wirken des Heiligen Geistes verläuft nicht immer in den vorgegebenen Bahnen der Kirche: Der Geist weht, wo er will. Christen berufen sich auf den Heiligen Geist, wenn sie Neues wagen oder Neuerungen fordern. Wie kann entschieden werden, ob eine Neuerung wirklich vom Heiligen Geist gewirkt ist? Paulus schreibt: «Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott: Er bewirkt alles in allen» (1 Kor 12,6). Das Bekenntnis zum Gott Jesu Christi ist somit ein erstes Indiz dafür, dass das Wirken vom Heiligen Geist kommt. Die Charismen sollen – wie oben ausgeführt – anderen nützen und zum Aufbau der Kirche beitragen, wie Paulus dies mit dem Bild vom einen Leib mit den vielen Gliedern ausdrückt (vgl. 1 Kor 12,12 f.). Wo dies geschieht, dürfen wir den Heiligen Geist am Werk sehen.


Rosmarie Schärer