«Veni, creator spiritus» und «veni, sancte spiritus»

Sehnsuchtsvolle Preisungen und Bitten um das heilvolle Wirken des Heiligen Geistes

An den Anfang der Konstitution über die Liturgie «Sacrosanctum Concilium» stellten die Konzilsväter des Zweiten Vatikanischen Konzils eine Beschreibung jenes Geschehens, das «Liturgie» genannt wird. Danach ist Liturgie Begegnungsgeschehen zwischen Gott und Mensch, das die Feiernden gleichzeitig setzt mit allem Heil, das Gott seit der Schöpfung gewirkt hat und bis zum Ende der Zeiten wirken wird. Liturgie ist also nicht einfach ein Gott geschuldeter Kult, sondern ein dynamisches Geschehen zwischen Gott und Mensch zur Heiligung der Menschen und zur Verherrlichung Gottes. Ein derartiges Liturgieverständnis war vielen Konzilsväter recht fremd und sie fragten, wie ein solches «colloquium Deum inter hominem», so sollte die Offenbarungskonstitution «Dei Verbum» das liturgische Geschehen später bezeichnen, sich denn ereigne. Es sei eigentlich nur denkbar, wenn der Heilige Geist es wirke, war die Antwort. Deshalb wurde ein kleiner Satz angehängt: «All das aber geschieht in der Kraft des Heiligen Geistes» (SC 6).

Der Heilige Geist und die römische Liturgie

Es mag vielleicht überraschen, dass den Konzilsvätern damals der Heilige Geist nicht sofort in den Sinn kam, aber im Grunde ist es nicht verwunderlich, dass der Heilige Geist (fast) vergessen ging. In der liturgischen Tradition der römisch-katholischen Kirche wird die dritte göttliche Person kaum explizit benannt. Gebete an den Heiligen Geist sind der Kirche Roms, anders als dies in anderen christlichen Kirchen üblich ist, eher fremd. Deshalb ist es besonders bemerkenswert, dass um das Pfingstfest herum zwei Lobpreisungen verbunden mit der Bitte um das Wirken des Heiligen Geistes fester Bestandteil der römischen Liturgie sind. Da ist zum einen die Pfingstsequenz «Veni, sancte Spiritus – Komm, heiliger Geist» und zum anderen der Hymnus «Veni, creator Spiritus – Komm, Schöpfer Geist». In diesen Gebeten zum Heiligen Geist wird erfahrbar, wie stark die Gemeinschaft der Glaubenden auf das Wirken der göttlichen Geistkraft angewiesen ist und wie sehnsuchtsvoll sie ihr Kommen deshalb erbittet.

Die Sequenz: «Veni, sancte Spiritus»

Das heutige Messbuch kennt nur zwei verpflichtende Sequenzen: eine an Ostern und eine an Pfingsten. Solche Sequenzen sind ursprünglich entstanden als den Hallelujaruf vor dem Evangelium fortsetzende Gesänge. Im Mittelalter gab es Tausende solcher Sequenzen, in denen die Menschen vor allem ihre Gefühle und ihre Sehnsüchte zum Ausdruck brachten. Wurden solche Sequenzen zunächst nur an Festtagen gesungen, kamen sie bald in nahezu allen Messen vor. Die Reform nach dem Trienter Konzil beschränkte jedoch diese Praxis radikal auf nur noch vier Sequenzen (Ostern, Pfingsten, Fronleichnam, Dies irae). Die letzte Reform halbierte die Zahl noch einmal.

«Veni, sancte Spiritus» ist eine poetische Hommage an den Heiligen Geist, der «siebenfältig ziert». Die Klangstruktur des lateinischen Textes – wohl im 11. Jahrhundert entstanden – leitet die Singenden an, die ganze Sequenz als Variationsfolge über das Thema «Spiritus» zu lesen. Es ist ein Lied der Gemeinschaft der Gläubigen, sie sind es, die an den Geist glauben, auf ihn ihre Hoffnung setzen und ihn sehnsüchtig erwarten. Das KG bietet nur den lateinischen Text (KG 483) und eine Übertragung von Maria Luise Thurmair (KG 484), weitere Übersetzungen mit klangvollen Melodien sind in das Gesangsgut der Gemeinden eingegangen. So rufen die Feiernden dem Heiligen Geist zu: «Komm, herab, o Heiliger Geist, der die finstre Nacht zerreisst», «Komm, der alle Armen liebt», «Höchster Tröster in der Zeit», «hauchst in Hitze Kühlung zu», «fülle Herz und Angesicht», «Was befleckt ist, wasche rein», «Dürrem giesse Leben ein», «Lass es in der Zeit bestehn, deines Heils Vollendung sehen und der Freuden Ewigkeit».

Der Hymnus: «Veni, creator Spiritus»

Das schon auf das 9. Jahrhundert zurückgehende Loblied auf den Heiligen Geist wird seit dem Hochmittelalter nicht nur zwischen Himmelfahrt und Pfingsten als Hymnus zur Vesper und zur Terz gesungen, sondern erklingt auch zu verschiedenen liturgischen Anlässen (Ordinationen, Professen etc.). Wie in der Pfingstsequenz lautet die Anrufung «Veni – Komm», doch wird der Geist hier nicht als heilig, sondern als Schöpfer angerufen. Das ist zunächst überraschend, denn im christlichen Sprachgebrauch ist Schöpfung das Proprium des Vaters. Der Geist wird damit vom Autor des Hymnus dem Vater wesensgleich gestellt. Es ist die schöpferische Lebenskraft, die herbeigerufen werden kann. In der Übertragung von Heinrich Bone (vgl. KG 228) heisst es: «besuch das Herz der Kinder dein», «erfülle nun mit deiner Gnad», «o Finger, der uns führt», «zünd an in uns des Lichtes Schein», «treib weit von uns des Feinds Gewalt», «dass wir geführt von deinem Licht, in Sünd und Elend fallen nicht».

Einheit von Erlösung und Geistsendung

Der 50. Tag der Osterzeit ist als das Schlussfest der Pentekoste, der 50-tägigen Freudenzeit von Ostern also, im Laufe der Jahrhunderte zum Hochfest des Heiligen Geistes geworden. So als könnte man das Thema Heiliger Geist damit erledigen. Aber dabei geht vergessen, dass Erlösung und Geistsendung eine Einheit bilden. Nicht ohne Grund wird am Pfingstsonntag aus dem Johannesevangelium gelesen, wonach der Auferstandene noch am Abend des Auferstehungstages in die Mitte seiner Jünger tritt, sie anhaucht und ihnen so den Heiligen Geist übermittelt (Joh 20,19–23). Ohne Heiligen Geist keine Kirche und ohne ihn kein Leben im Licht der Auferstehung bis zur endgütigen Wiederkunft Christi am Ende der Zeiten. Und dies jeden Tag, besonders aber am Pfingstfest.

Birgit Jeggle-Merz (Bild: unilu.ch)

Birgit Jeggle-Merz

Dr. theol. Birgit Jeggle-Merz ist Ordentliche Professorin für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Hochschule Chur und a. o. Professorin in derselben Disziplin an der Universität Luzern.