Umkehr und Freude

Kehrt um, und glaubt an das Evangelium» (Mk 1,15). Warum dieser alljährliche Aufruf in der Fastenzeit? – Es ist zu offensichtlich: Wir haben es nötig! Wir müssen immer wieder erinnert und ermahnt werden. So, wie es jetzt gegangen ist, soll es nicht weitergehen, so schlecht und recht, in den eigenen vier Wänden, in der Kirche. Da muss sich etwas verändern, muss doch noch etwas mehr drin liegen, mehr Schwung, mehr Liebe, vor allem mehr Freude. Zwar heisst es, jeder Tag hätte seiner Klage genug (Mt 6,34). Wohl auch jede Periode und jede Zeit. Wie aber ist es anzustellen, dass die heutige Zeit auch der Freude genug hat?

Von der Quelle der Freude

Von der Freude wissen wir, dass sie nicht einfach machbar ist. Sie liegt nicht unmittelbar greifbar in unserer Hand. Man kann sie im strengen Sinne auch nicht erarbeiten, nicht mit noch so grosser äusserer Mühe und Anstrengung. Noch weniger ist sie herbeizuzaubern, etwa mit einem schnellen Trick. Da gibt es keinen Hebel, der gedreht werden müsste, um die Kanäle aufzumachen, durch die das Wasser der Freude fliessen würde. Wenn Freude also nicht einfach zu haben ist, wie ist sie dann zu gewinnen? Wohin müssen wir uns bewegen, um sie zu finden? Vorerst dazu ganz allgemein: Die Freude, vor allem die innere Fähigkeit, sie zu empfinden, hängt zusammen mit unserer Lebensweise, mit der geistigen Grundhaltung, nicht wenig mit unserem religiösen Glauben. Wer ihre Quellen ernsthaft sucht, muss sich deshalb fragen, aus welchen Fundamenten er lebt, muss sich und seine Ausrichtung prüfen. Er wird nicht darum herumkommen, Änderungen in seiner Lebensweise vorzunehmen, äussere und innere, wird neue Prioritäten setzen, muss sich bekehren, wenn vermehrt Freude sich einstellen soll. Dieser Zusammenhang zwischen Freude und Umkehr wird in einem Wort des Johannesevangeliums angesprochen. Jesus spricht davon, wie er sich berufen weiss, die Freude in die Welt und in die Herzen der Menschen zu bringen, und er will, dass diese vollkommen werde. Der Zusammenhang, in dem dieses Wort steht, ist nicht zufällig. Vorausgehend stehen die Worte: «Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben. (…) dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist» (Joh 15,10 f.). Ist dementsprechend das «Halten der Gebote» eine Voraussetzung für die Freude, eine «conditio sine qua non»? Sind Gebote begünstigende Faktoren, damit Freude entstehen kann? Gebote sind gewiss Wegweiser dazu. Sie sind, richtig verstanden, nicht einfach äussere Tafeln der Warnung und Befehle, die uns auf Wege zwingen, die uns nicht liegen und die wir als mühsam empfinden. Vielmehr sind sie Wegweiser, die uns auf die eigene Mitte unseres Lebens hin führen, sie sprechen in uns das an, was wir sind und sein können, bringen unser innerstes Wesen zum Schwingen. Sie sind nicht etwas, das uns einschränken oder überfordern wird. Nein: «Dieses Gebot, auf das ich dich heute verpflichte, geht nicht über deine Kraft und ist nicht fern von dir. Es ist nicht im Himmel, sodass du sagen müsstest: Wer steigt für uns in den Himmel hinauf, holt es herunter und verkündet es uns, damit wir es halten können? Es ist auch nicht jenseits des Meeres, sodass du sagen müsstest: Wer fährt für uns über das Meer, holt es herüber und verkündet es uns, damit wir es halten können? Nein, das Wort ist ganz nahe bei dir, es ist in deinem Munde und in deinem Herzen, du kannst es halten» (Deut 30,11–14). Da erst also, wo wir uns diesem Gebot, das in uns ist, zuwenden, kommen wir auf die Spur der Freude. Hier wird für sie der Boden bereitet. Und wo es gelingt, dem zu folgen, was die Gebote meinen, da wird Freude wachsen und sich breit machen. Denn nichts anderes meinen sie, als dass wir unser ganzes Dasein für Gott öffnen, das Angebot seiner Gemeinschaft annehmen und daraus leben. Da, wo wir uns neu als Geschöpfe Gottes sehen und begreifen, wird sich die Freude einstellen, als diese Art von Freude, wie man sie empfindet, wenn man etwas Verlorenes wiedergefunden hat. Sie ist eine Resonanz, ein Echo darauf, dass man das eigene Leben wieder tiefer begriffen hat und erneut dazu Ja sagt.

Freudlose Pflicht

Der gleiche Zusammenhang zwischen Freude und Umkehr soll im Folgenden, am biblischen Gleichnis vom barmherzigen Vater illustriert werden. Die Geschichte darf als bekannt vorausgesetzt werden. Der jüngere Sohn, sein Weggang von zu Hause, noch mehr seine spektakuläre Heimkehr zum Vater, ist allgegenwärtig, ist aktualisiert für jung und alt, in Schrift und Bild. Weniger geläufig ist das, was vom älteren Bruder berichtet wird. Ihm wenden wir uns hauptsächlich zu. Da ist vorerst nichts Spektakuläres. Es herrscht Alltag, Monotonie und selbstverständliche Erfüllung von Pflichten. «All die Jahre» ist dieser ältere Sohn im Dienst, erweist sich als verlässlicher Knecht, der sich um das Hauswesen kümmert. Er ist in seiner Arbeit untadelig und seriös, auch treu, bleibt mit seinen betrieblichen Pflichten so sehr verbunden, dass er weder Pausen noch Feste mehr kennt. Was ihm bleibt, ist die alltägliche Pflicht und die geforderte Leistung. Was hingegen fehlt und ihm abhanden gekommen ist, ist die Freude darüber, mit seinem Vater in Gemeinschaft zu sein. Da gibt es «kein Ziegenbock, der geschenkt wird», «keine Einladung von Freunden», «kein Fest». Hauptsache: Der Betrieb läuft. Und wie es da im väterlichen Haus doch zu einem Fest kommt, ist ihm dies nicht bloss ungelegen, sondern er empfindet es als eine gewaltige Ungerechtigkeit und als Hohn. «Als er (vom Felde) heimging und in die Nähe des Hauses kam, hörte er Musik und Tanz. Da rief er einen der Knechte und fragte, was das bedeuten solle. Der Knecht antwortete: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das Mastkalb schlachten lassen, weil er ihn heil und gesund wiederbekommen hat. Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen» (Lk 15, 25–28). Ist es dem älteren Bruder schon lange nicht mehr ums Festen, dann sicher nicht jetzt, wo er vernimmt, was der Grund dieser musikalischen Klänge ist. Es ist verständlich, dass er abwehrt und von Unwillen erfasst wird. Zorn überkommt ihn. Ein Fest zur Rückkehr seines Bruders ist für ihn ein Affront, eine Brüskierung, die ihn verletzt und seine seelischen Kräfte überfordert. Eintreten, Mitmachen, gute Miene zum bösen Spiel, Sich-Mitfreuen, erst noch in Gesang und Tanz, das ist reine Überforderung. Es kommt dazu, dass die Art dieses Festes, seine Aufmachung, ja die Stimmung, die da herrscht, offensichtlich alle Masse übersteigt. Nur das Beste ist hier gut genug. Es ist das Mastkalb, das geschlachtet werden muss. Schönste Kleider müssen her, auch Ringe an Hände und Füsse. Alles wird aufgeboten, was die Freude des Vaters ausdrücken und vermehren könnte. Diese ist so gross, so überbordend, dass sie weit über die unmittelbar Beteiligten hinausgeht. Sie dringt bis zum Himmel, zu den Engeln (Lk 15,10), die daran teilnehmen. Der ganze Kosmos gerät in Jubel und stimmt in die Freude des Vaters ein, und dies allein, weil sein Sohn wieder zu ihm zurückgefunden hat. «Aber jetzt müssen wir uns doch freuen, ein Fest feiern, denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wieder gefunden worden» (Lk 15,32). – Die Quelle der Freude ist gefunden und der Weg dorthin auch: Die Umkehr!

Der Ältere in heutiger Kirchenzeit

Nun ist es nicht allzu schwer, in dieser so arbeitsamen, aber freudlosen Stimmung des älteren Sohnes einige Ähnlichkeiten und Analogien zum heutigen kirchlichen Leben zu sehen. Etwa eine durchschnittliche Pfarrei. Man ist auch hier, ähnlich dem älteren Sohn, eifrig und geschäftig, ist bemüht, dass der Betrieb läuft und etwas los ist. Vieles ist (noch) in Bewegung und macht doch den Eindruck, dass ihm ein innerer Elan, die Freude, ein Enthusiasmus fehlt. Man empfindet eine gewisse Zufriedenheit darüber, dass die Organisation des Betriebes so reibungslos läuft, die Planung erfolgreich ist. Aber dies ist noch nicht «die Freude am Herrn, die unsere Stärke ist» (Neh 8,10). – Man mag darunter leiden, dass diese Freude fehlt, erahnt sie vielleicht auch aus der Ferne, wünschte sie sich, so ähnlich, wie der ältere Sohn. Wer wirklich in den Genuss festlicher Klänge kommen will – so lehrt uns die Geschichte –, der muss wohl, wie der ältere Sohn, auf die andere Seite des Hauses gehen, zum Haupteingang, dorthin, wo der jüngere Sohn empfangen wird. Dort gerät er unvermeidlich ins Fest, hört Klänge, wie er sie noch nie gehört hat. Er wird hineingenommen, wird selber dieser Freude teilhaftig werden, wenn er dort über die Schwelle tritt, genauer noch, wenn er sich schon vor der Schwelle von seinem Vater in die Arme nehmen lässt. Die Umkehr, das Geständnis ohne die Liebe des Vaters nicht eigentlich leben zu können, trägt in sich die Verheissung von grösserer Freude. Es ist der jüngere Sohn, der den Weg zur Freude gewiesen hat. Er ging in sich, musste erkennen, wie sein eigenes Leben zerfiel, wo er fern von seinem Vater und ohne seine Liebe auszukommen suchte. Er gestand seinen Irrtum, sah ein, wie er mit dem Weggang von Zuhause das Kostbarste verspielt und verloren hatte. Er konnte auf die Länge nicht von der Arbeit und vom Vergnügen leben, suchte zurück zu der grossen Liebe, die er brauchte, um atmen und sich freuen zu können. Deshalb kehrte er um und sagte: «Herr, ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein.» – Wer so zurückkehrt und sich von seinem Vater aufnehmen lässt, wird etwas von dieser «Vollkommenheit der Freude» erfahren, die Jesus uns versprochen hat. Wie jeder Einzelne, der auf der Suche nach mehr Freude ist, diesen Weg geht, so auch die Kirche als Ganze. Auch sie ist gedemütigt, erfährt schmerzlich die Grenzen dessen, was sie an die Hand nimmt; auch sie muss (ähnlich wie der ältere Sohn) in ihrer Geschäftigkeit inne halten, muss auf die andere Seite gehen, ihre Grenzen, aber auch ihr Versagen und ihre Unwürdigkeit gestehen. Sie muss wieder neu und direkter aus der Gemeinschaft dessen leben, der sie gegründet hat. So wird sie die Rückkehr der Freude in sich wahrnehmen, wird das tröstliche und verheissungsvolle Wort des Propheten Zefania auf sich beziehen dürfen: «An jenem Tag brauchst du dich nicht mehr zu schämen, wegen all deiner schändlichen Taten, die du gegen mich verübt hast. Ja, dann entferne ich aus deiner Mitte die überheblichen Prahler, und du wirst nicht mehr hochmütig sein auf meinem heiligen Berg. Und ich lasse in deiner Mitte übrig ein demütiges und armes Volk, das seine Zuflucht sucht beim Namen des Herrn» (Zef 3,11–13).


Festakt zum Jahr des Glaubens – Samstag, 23. März 2013, 10 bis 13 Uhr, Lindenberg 8, Basel

10 Uhr Vortrag von Prof. Dr. Franz Sedelmeier: Glauben und das Leben gewinnen – Leben als Kinder Abrahams

11.30 Uhr Konzert mit Volker Biesenbender und La Banda Ki

12.15 Uhr Apéro.

Ein Angebot der Pfarrei St. Clara und des Instituts Thérèse von Lisieux (ITL ). Das ITL , eine Initiative von Priestern, Theologinnen und Theologen aus der Deutschschweiz, hat folgende Ziele: die lebendige und verbindende Kraft des christlichen Glaubens erfahren; die Bedeutung der christlichen Botschaft für die heutige Gesellschaft entdecken; den Glauben im persönlichen Umfeld ins Spiel bringen.

Weitere Infos: www.itlbasel.ch

Hans Schaller

Hans Schaller

P. Dr. Hans Schaller SJ, über lange Jahre Spiritual, Studenten- und Akademikerseelsorger und P farrer in der Schweiz und in Rom, ist als Superior und Exerzitienleiter im Zentrum für Begegnung, Spiritualität und Bildung «Notre Dame de la Route» in Villars-sur-Glâne tätig