Trilogie des Zeitlosen

Hildegard Elisabeth Keller: Trilogie des Zeitlosen: Die Stunde des Hundes. Nach Heinrich Seuses Exemplar. 3 CDs, 160 S., 32 Illustr.;

Das Kamel und das Nadelöhr. Eine Begegnung zwischen Zhuangzi und Meister Eckhart. 1 CD, 192 S., 35 Illustr.;

Der Ozean im Fingerhut. Hildegard von Bingen, Mechthild von Magdeburg, Hadewijch und Etty Hillesum im Gespräch. 2 CDs, 224 S., 58 Illustr. (vdf Hochschulverlag) Zürich 2007–2011.

Es waren besonders Literaturwissenschaftler, die sich in den letzten Jahrzehnten um das mystische Erbe des Abendlandes verdient gemacht haben. So wäre ohne den Fleiss unzähliger Germanisten und Germanistinnen das Predigtwerk Meister Eckharts uns heute erst fragmentarisch zugänglich. Zum literaturwissenschaftlichen Zugang gehört es, mystische Texte aus einer distanzierten Optik zu lesen. Mit Sorgfalt und Feinsinn werden sie eingeordnet in bestimmte Kontexte, auf ihre innovativen Formelemente befragt und inhaltlich mit Blick auf die Traditionen analysiert, die ihnen vorausgehen. Die spirituelle Lektüre und Deutung muss bei diesem Zugang auf den Feierabend verschoben werden. Sie gehört, nach gegenwärtigen akademischen Standards, in den Privatbereich der Literaturwissenschaftler. Hildegard Elisabeth Keller, die an der Universität Zürich und an der Indiana University Bloomington Altgermanistik lehrt, bricht mit ihrer Trilogie des Zeitlosen das Tabu der sauberen Trennung zwischen wissenschaftlicher Interpretation und persönlicher Aktualisierung. Ihre reich bebilderten Hör-, Lese- und Schaubücher sind beides zugleich: kundig recherchierte Studien zu ausgewählten Themen und Personen der abendländischen Mystikgeschichte, aber auch persönliche Meditationen über die «Sache», von denen die vergegenwärtigten mystischen Texte handeln. Die fiktiven Dialoge handeln von den grossen Themen christlicher Mystik: von den Grenzen mensch lichen Wissens, der überfliessenden Lebenskraft der Liebe, vom Umgang mit dem Leiden und vom Geheimnis, von dem die «ewige Weisheit» kündet.

Der erste Band der sorgfältig gestalteten Trilogie, «Die Stunde des Hundes», erschien bereits 2007 (vgl. SKZ 177 [2009], 26). Das Hörspiel dreht sich um das Lebensschicksal des Dominikanermönchs Heinrich Seuse und das mit diesem verbundenen Suchen seiner geistlichen Tochter Elsbeth Stagel, Nonne im Dominikanerinnenkloster Töss. Es ist, wie alle grossen Geschichten, eine Geschichte leidgeprüfter Liebe. Die Gottesliebe der beiden Hauptgestalten verwebt sich mit einer diffizilen menschlichen Liebe – ein Thema, das im dritten Hörbuch wiederkehrt. Im bibliophil und lesefreundlich gestalteten Booklet führt Hildegard E. Keller in Seuses und Elsbeths Welt ein, während der Kunstgeschichtler Jeffrey F. Hamburger (Harvard Universität) das Bildprogramm von Seuses Exemplars erläutert. Die Begegnung zwischen dem chinesischen Philosophen Zhuangzi (um 365 v. C hr.) und dem abendländischen Theologen und Dominikanermönch Meister Eckhart (um 1260–1328), die das zweite Hörbuch arrangiert, ist die gedankenschwerste der vorliegenden Trilogie. Nicht immer verstehen sich die beiden unterschiedlich geprägten Persönlichkeiten. Doch treffen sie sich in ihrem Mut zur Innovation und zum Paradox. Beide lieben gewagte Vergleiche. Das Hörbuch illustriert dies an den humorvollen Tiergeschichten, die sich hier wie dort finden. Sie bilden den fast schon ausgelassenen Höhepunkt dieses interkulturellen Dialogs. Gemeinsam mit J. Hamburger und dem Sinologen Wolfgang Behr stellt die Hörbuchautorin auch in diesem zweiten Band kompakte Hintergrundinformationen und reiches Bildmaterial zur Verfügung.

Die dritte Begegnung im zeitlosen Raum, die Hildegard Keller inszeniert, ist die aufregendste von allen. Im «Ozean im Fingerhut» bringt sie die drei mittelalterlichen Visionärinnen Hildegard von Bingen, Hadewijch und Mechthild von Magdeburg ins Gespräch mit der niederländischen Jüdin Etty Hillesum, Opfer und Chronistin der nationalsozialistischen Judenverfolgung. Die vier Frauen thematisieren in einem freundschaftlichen Kolloquium ihre himmlischen und irdischen Erfahrungen mit dem «fliessenden Licht der Gottheit» und den Männern, die sie begleiteten und irritierten. Im handlichen Schaubuch finden sich neben den kundigen Begleittexten der Autorin wiederum kunstgeschichtliche Erschliessungen von J. Hamburger und einen anregenden Beitrag des Zürcher Psychiaters Daniel Hell.

Es ist nicht einfach, das Genre zu beschreiben, das H. Kellers «Trilogie des Zeitlosen» darstellt. Es handelt sich um ein spielerisches Gesamtkunstwerk im Miniformat, doch ebenso um ein Stück ernster Erinnerungsarbeit. Die originelle Mischung aus narrativer und imaginativer Vergegenwärtigung wird untermalt durch meditative Klänge, die sich zusammen mit den eindringlich gesprochenen Stimmen aus dem Mittelalter und der Gegenwart nachhaltig ins Gedächtnis einprägen.

 

Peng Simon

Simon Peng-Keller

PD Dr. Simon Peng-Keller ist Dozent für Theologie des geistlichen Lebens an der Theologischen Hochschule Chur und mit zwei SNF-Forschungsprojekten beauftragt.