Religionskunde im Vergleich

Karin Furer: «Teaching about religion » – Religionskunde im Vergleich. Rechtsvergleichende und verhandlungstheoretische Betrachtung von integrierter Religionskunde in Frankreich und Religionskunde als gesondertem Fach im Kanton Zürich. (Lit- Verlag) Berlin 2011, LXXII, 302 S.

Westeuropäische Gesellschaften sehen sich seit zwei, drei Jahrzehnten immer deutlicher einem Problem mit der Religion gegenüber. Dieses besteht nicht etwa darin, dass die eine oder die andere Religion in sich problematisch wäre, sondern dass immer mehr Menschen keinen ausreichenden Begriff von Religion allgemein mehr haben und deshalb verunsichert sind im Umgang mit jeglicher Religion. Auch wenn den Staat die Haltung des einzelnen zur Religion nichts angeht, können ihm die gesellschaftspolitischen Auswirkungen nicht gleichgültig sein. Diesem Problem versuchen immer mehr Staaten mit entsprechender schulischer Bildung gegenzusteuern. Gross ist daher das Verdienst von Karin Furer, die in ihrer staatskirchenrechtlichen Luzerner Dissertation vergleichend untersucht hat, wie Frankreich und der Kanton Zürich mit dem Problem umgegangen sind. Hier das zentralistische Frankreich, das die «laïcité» so stark betont, dort der föderalistisch eingebundene Kanton Zürich mit seiner traditionell engen Partnerschaft zwischen Staat und Kirche. Die Autorin beschränkt sich aus Gründen der Vergleichbarkeit auf die Sekundarstufe I. Vor allem aber untersucht sie nur den rechtlich-institutionellen Rahmen der Religionskunde, nicht jedoch die Unterrichtsinhalte. Im ersten Teil legt die Autorin für jedes der beiden Territorien (Frankreich 80 Seiten, Zürich 65) die rechtlichen Rahmenbedingungen dar. Sie vermittelt dabei viel Grundsätzliches zum Verhältnis von Staat, Recht, Religion und Schule; Frankreichs östlichen Departementen Haut-Rhin, Bas- Rhin und Moselle mit ihrer anderen Rechtslage widmet sie einen Exkurs. Die Autorin räumt mit etlichen irrigen Vorstellungen von Charakter und Folgen der «laïcité» auf, etwa wenn sie zeigt: «Der französische Staat garantiert nicht nur den Zugang zur Bildung im Allgemeinen, sondern auch den Zugang zur religiösen Bildung» (S. 68 f.), z. B . durch die Subventionierung konfessioneller Privatschulen oder auf Primarstufe durch den unterrichtsfreien Tag, der den Besuch von konfessionellem Religionsunterricht ermöglicht.

In Teil II (64 Seiten) schildert die Autorin, welche «interessierten Gruppierungen» bei der Ausarbeitung der heute gültigen Regelung religionskundlicher Bildung beteiligt waren und wie die Prozesse abliefen. Da die Autorin nur allgemein zugängliche Quellen nutzt, hat das Profil der Gruppierungen sehr unterschiedliche Aussagekraft. Insbesondere wird kaum deutlich, welche Art des Unterrichts über Religion(en) sich die jüngeren Religionsgemeinschaften wünschen. Zwar hätte eine eigene Umfrage den Rahmen der Dissertation gesprengt, aber punktuell hätte die Literatur Anhaltspunkte geboten, so etwa seit 2009 die Nationalfondsstudie «Imam-Ausbildung und islamische Religionspädagogik in der Schweiz?». Interessant ist immerhin, dass Frankreich, anders als Zürich, Vertreter der Schülerschaft direkt in die Ausarbeitung des neuen Modells einbezog, die Religionsgemeinschaften hingegen nur indirekt im Rahmen einer wissenschaftlichen Umfrage.

Der Prozess verlief in Frankreich deutlich früher (1986–2002) als im Kanton Zürich (seit 1999) und ergab im Wesentlichen neue Lehrpläne im Fach Geschichte. Ausserdem wurde das «Institut européen en sciences de religion» gegründet mit dem Zweck, Lehrmittel zu erarbeiten und die Lehrerschaft fortzubilden, damit die weiterhin knappen Lektionenzahlen für die einzelnen Themen qualitativ möglichst gut gefüllt sind. In Zürich wurden die Vorgängerfächer «Biblische Geschichte» und der Konfessionell-kooperative Religionsunterricht durch das obligatorische Fach «Religion und Kultur» ersetzt.

Teil III (88 Seiten) unternimmt die Autorin zunächst einen Rechtsvergleich und kommt u. a. zum Schluss: «Obwohl beide Schulsysteme die religiöse Neutralität garantieren, geschieht dies im französischen Recht mit mehr Nachdruck » (S. 232). Da sich beide Systeme konsequent an grundlegenden Menschenrechten orientieren, zeigt sich letztlich aber: «Die Ausgestaltung der verglichenen Bildungssysteme weist grosse Parallelen auf» (S. 296). Originell, aber nur teilweise überzeugend ist die «verhandlungstheoretische Analyse». Die Autorin lehnt sich an Konzepte der Verhandlungstheorie an, wie sie insbesondere in der Geschäftswelt zu finden sind. Dadurch kommt ein stark normativer Blick ins Spiel, zum Nachteil der Analyse. Die Autorin sieht selber, dass der Staat als übermächtiger Verhandlungspartner in diesen Konzepten fehlt. Zu fragen wäre aber, ob wirklich der Staat mit gesellschaftlichen Akteuren (Religionsgemeinschaften, Lehrer-, Schüler-, Elternverbände) verhandelt oder ob nicht eher jene Akteure, vermittelt durch den Staat, untereinander neue Regelungen aushandeln. Ganz ausser Betracht bleibt die Wirkung einzelner Persönlichkeiten in den untersuchten Prozessen, Angaben zu den beteiligten Personen und ihrem persönlichen Hintergrund fehlen völlig. Und schliesslich fallen auch Einflüsse der politischen und medialen Konjunktur unter den Tisch. Anregend für ähnliche künftige Prozesse sind sieben knappe Empfehlungen am Schluss des Kapitels.

Insgesamt beantwortet Karin Furers Arbeit sehr überzeugend und in wohltuend klarer Sprache die gestellte, begrenzte Frage, nämlich wie Frankreich und der Kanton Zürich rechtlich und institutionell den Rahmen für religionskundliche Bildung in der obligatorischen Schule geschaffen haben. Über die Qualität des Inhalts, mit diese Rahmen gefüllt sind, sagt die Arbeit nichts. Man mag dies bedauern, zumal Form und Inhalt in Wechselwirkung stehen.

Das Desiderat zeigt, wie nötig als nächster Schritt die Zusammenarbeit über Fächergrenzen hinaus ist. Im vorliegenden Fall sind Forschende aus Rechts-, Politik-, Religionswissenschaft und Pädagogik gefordert.

 

Andreas Tunger-Zanetti

Andreas Tunger-Zanetti

Dr. phil. Andreas Tunger-Zanetti studierte Islamwissenschaft, orientalische Sprachen und Allgemeine Geschichte in Bern, Wien, Freiburg i. Br. und Tunis und war danach im Verlag Peter Lang und als Auslandredaktor bei der «Neuen Luzerner Zeitung» tätig. Seit 2007 ist er an der Universität Luzern (Zentrum Religionsforschung) und 2007–2011 zusätzlich an der Universität Zürich (Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik) wissenschaftlich tätig.