"Tiefes Bedauern" - Die katholische Kirche und die Verbrennung des Jan Hus

"Heute fühle ich mich verpflichtet, mein tiefes Bedauern auszusprechen für den grausamen Tod von Jan Hus" – mit diesen Worten von Papst Johannes Paul II. am 17. September 1999 an die Historiker, die an einem im Vatikan organisierten Kongress über Jan Hus teilnahmen, werden wir uns später beschäftigen. Zunächst möchte ich den "Fall Jan Hus" in Erinnerung rufen und einige Positionen katholischer Historiker vorstellen.

Der Streit der Interpretationen

Peter von Mladoniowitz und Ulrich Richental haben uns die wichtigsten zeitgenössischen Chroniken über die Hinrichtung des Jan Hus am 6. Juli 1415 in Konstanz hinterlassen, und damit auch den ersten Interpretationsstreit. Peter von Mladoniowitz, aus Mähren, war ein Schüler Hus’: "Sein Bericht ist die wichtigste Quelle auch für das Gerichtsverfahren. Es klingt geradeso wie ein Passionsevangelium."1 Er ist bemüht, Hus’ Passio mit der Jesu Christi bzw. des Protomärtyrers Stephanus zu parallelisieren, um aus Hus den Gründermärtyrer der Hussiten-Kirche zu machen. Bei Mladoniowitz wird Hus immer respektvoll "der Magister Johannes" genannt. Seine Standhaftigkeit und sein Zeugnis werden von den Anwesenden allgemein bewundert. Es wird betont, dass der Magister Johannes während seines Aufenthaltes im Kerker einem Doktor und Mönch gebeichtet habe, "und er wurde von diesem gütig gehört und losgesprochen". Als er von einigen verspottet wurde, lächelte er sanft. Laut, deutlich und vertrauensvoll betete er um Gottes Erbarmen auf dem Weg zur Hinrichtungsstelle, und als er diese erreichte, wandte er sich "mit lauter und vernehmbarer Stimme, dass er auch von den Seinen gut gehört werden konnte: ‹Herr Jesus Christus! Diesen entsetzlichen, schändlichen und grausamen Tod will ich um deines Evangeliums und um der Predigt deines Wortes willen auf das geduldigste und demütig ertragen›." Als das Feuer entzündet wurde, sang er "mit lauter Stimme zuerst: ‹Christus, Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich meiner›; zum zweitenmal: ‹Christus, Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich meiner!› Und beim dritten Male: ‹Der du geboren bist aus Maria, der Jungfrau.› Und als er zum dritten Male begonnen hatte zu singen, schlug ihm alsbald der Wind die Flamme ins Gesicht, und also in sich betend und Lippen und Haupt bewegend, verschied er im Herrn. Im Augenblick der Stille aber, bevor er verschied, schien er sich zu bewegen, und zwar so lange, als man zwei oder höchstens drei Vaterunser schnell sprechen kann". Seine Körpermasse und sein Herz wurden mit einer dritten Holzfuhre zu Asche vollständig verbrannt, ebenso sein Hemd und die Schuhe, wobei die Henker sagten: "Damit das die Böhmen nicht etwa wie Reliquien halten, werden auch wir dir deinen Preis dafür geben."2 Anschliessend wurde alles im nahen Rheinfluss versenkt und zerstreut.

In der Richentaler Chronik sind andere Nuancen vernehmbar. Hier ist mehr einfach von Hus als vom Magister Johannes die Rede. Die Anspielung auf die Passio Jesu Christi ist zwar an manchen Stellen auch vorhanden, so etwa, wenn es heisst: "Und als er über die kleine Brücke zum inneren Aussenfeld kam und das Holz, Stroh und Feuer sah, fiel er dreimal auf die Knie und sprach laut: ‹Jesu Christe, fili Dei vivi, qui passus es pro nobis, miserere me.›" Aber der Tenor ist eher nüchtern und entmythologisierend. Von seinem Tode heisst es kurz und bündig, als das Feuer angezündet wurde, "da schrie Hus laut und war bald verbrannt".

Und der Autor erlaubt sich noch diese Bemerkung: "Dabei stank es fürchterlich, denn der Kardinal Pankratius hatte ein grosses altes Maultier, das gestorben und an der Stelle vergraben worden war, an der man nun Hus verbrannte. Wegen der grossen Hitze tat sich das Erdreich auf, sodass der schlimme Gestank herauskam. Anschliessend schüttete man die ganze Asche, die Knochen und alles, was sonst nicht verbrannt war, in den Rhein."3

Vergangenheit aus der Sicht der Gegenwart

Prozess und Tod des Jan Hus sind ein gutes Beispiel dafür, dass Geschichtsschreibung oft die Betrachtung und d. h. auch Instrumentalisierung der Vergangenheit im Lichte der Gegenwart ist, statt sich, wie Leopold von Ranke anmahnte, auf das Verstehen, "wie es denn gewesen ist", zu beschränken. Eher gilt für Hus, was Ranke von ihm sagte: dass er "nach seinem Tod erst eigentlich lebendig" wurde, oder wie es Ferdinand Seibt, einer der besten Kenner der Causa Hus unter den zeitgenössischen Historikern, formuliert hat: "Er wurde nach seinem Tode immer wieder lebendig. Und das nämlich im Zeichen der hussitischen Revolution, vier Jahre nach seinem grausamen Tod in Konstanz, in Luthers Erinnerung und in den Annalen der deutschen Reformation. Er wurde aber auch vom Zeitalter der Aufklärung in Anspruch genommen, vom frühen Liberalismus als Märtyrer der Gewissensfreiheit und der Selbstbestimmung des Menschen beansprucht, und schliesslich ging sein Andenken ein in die gewaltige Welle der nationalen tschechischen Selbstbesinnung, freilich nicht, ohne dabei die Verbindlichkeit seiner Erinnerung auf die besondere Inanspruchnahme durch die tschechische Nation zu beschränken."4 Im 19. Jahrhundert fand Hus seinen Platz auf dem Luther-Denkmal in Worms – wenn auch eine Stufe unter dem Weltreformator neben Waldes, Wyclif und Savonarola. Und die Marxisten entdeckten Hus, wenn auch spät, als Sozialrevolutionär. Angesichts dieser Wirkungsgeschichte können wir mit Seibt fragen, "ob nicht der Nachhall eines ungerechten Prozesses ihm zum Justizmartyrium verhalf".5

In den Handbüchern der Kirchengeschichte kann man folgenden Trend in der heutigen Historiografie feststellen: Hus’ Prozess war eher ein "politischtheologischer" denn ein rein "theologischer". Er fand in der Zeit nach der Flucht Johannes’ XXIII. statt. Die Richter, Kardinal Pierre d’Ailly, Kardinal Francesco Zabarella und der Pariser Universitätskanzler Jean Gerson, allesamt Anhänger des Konziliarismus in Konstanz, Personen von hohem moralischem Ansehen und die besten theologischen und kanonistischen Köpfe der Zeit, wollten offenbar durch die Führung eines Inquisitionsprozesses gegen Jan Hus die Zuständigkeit des Konzils in Glaubensfragen ("causa fidei") demonstrieren. Man wird die Dynamik des Prozesses und die leidenschaftliche Erregung jener Tage für den tragischen Ausgang verantwortlich machen. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, Hus goldene Brücken zu bauen und ihm den "Widerruf" zu ermöglichen.

Hus wies jedes derartige Ansinnen hartnäckig zurück: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Noch auch auf dem Scheiterhaufen liess König Sigismund ihm abermals Gnade gegen Widerruf anbieten. Er lehnte ab und starb, indem er seinen Feinden verzieh, Jesus Christus anrief und das Glaubensbekenntnis betete. Er starb nicht zuletzt als Märtyrer einer Kirche, die mit theologisch heterodoxen Ansichten nichts anderes als mit der Todesdrohung umzugehen wusste. Schuld und Tragik, eigenes und fremdes Versagen sind in sein Schicksal hineinverflochten. Für die Konzilsteilnehmer war die Hus-Frage eine Formalität, die am Rande des Geschehens lag. Die Geschichte aber hat Hus furchtbar gerächt. Die grausamen Hussitenkriege (1420–1431) haben Böhmen und Deutschland in Angst und Schrecken versetzt.

Katholische Interpretationen vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil

Vor der Reformation war das geschichtliche Bild des Prozesses von der siegreichen, aber manchmal auch nachdenklichen katholischen Seite geprägt, so etwa von der Sicht des Enea Silvio Piccolomini, zunächst kaiserlicher Sekretär und dann Papst Pius II., in seiner Böhmischen Geschichte (1458). Ein gewisses Verständnis für die gemässigten Hussiten oder "Utraquisten" ist ihm nicht abzusprechen: Er liess Hus in der Hölle schmoren, war aber von seiner "Standhaftigkeit" beeindruckt.6 So ist es kein Wunder, dass sogar Utraquisten das Werk ins Tschechische übersetzten.

Auf die Vereinnahmung durch die Lutheraner als Vorläufer Luthers ("wir sind alle Hussiten", sagte der Reformator, der Hus einmal sogar als "hl. Johannes" bezeichnete) reagierte die katholische Historiografie mit einer Verstärkung des Feindbildes, z. B. im Werk "Historiae Hussitarum" (1552) des deutschen Humanisten Johannes Cochlaeus. Er ist der wichtigste Historiker des Hussitismus im 16. Jahrhundert, aber auch ein erbitterter Feind Luthers mit engen Kontakten nach Rom. Er sah eine enge Verbindung zwischen der Ketzerei Luthers und der des Jan Hus: "Durch seine hartnäckige Ketzerei habe Hus schlimmer gesündigt als ein Ehebrecher, Sodomit, Vater- und Kindermörder oder Menschenfresser."7 In seiner Chronik Böhmens (1541) urteilte der tschechische katholische Priester Wenzel Hájek von Libotschan milder: "Während er die Taboriten scharf verurteilte, gestand er Hus gute Absichten; dieser habe freilich geirrt und dafür gebüsst."8 Die gewaltsame Rekatholisierung Böhmens nach dem Dreissigjährigen Krieg wurde begleitet vom Versuch der Jesuiten, die Erinnerung an Johannes Hus durch die an einen anderen standhaften böhmischen Johannes, den Johannes Nepomuk, zu verdrängen. Dieser wurde 1729 heiliggesprochen und beherrschte im Barock die Ikonographie der "Ecclesia triumphans", während Hus darin u. a. neben Luther und Calvin nur in der Gemeinschaft der besiegten Ketzer erscheint: "Er verschwand allmählich aus dem Gedächtnis des tschechischen Volkes, das auch nach dem Toleranzpatent Kaiser Josephs II. (1781) katholisch blieb."9

In der Aufklärung finden wir einige katholische Autoren Böhmens, die Vorboten eines Wandels des Hus-Bildes sind, so etwa der Jesuit Bohuslav Balbín mit seinem Werk "Bohemia docta" (1676), vor allem aber der Piarist Nikolaus Adaukt Voigt mit seiner Schrift Abbildung böhmischer und mährischer Gelehrter (1773–1782): Den Patrioten Voigt störte es, "dass die deutschen Protestanten ‹unseren Hus› zum Märtyrer ihres Glaubens machten". In der Folge wurde Hus als historisches Thema im engeren Sinne entdeckt, wie einige Werke katholischer Autoren aus der Zeit Josephs II. zeigen.: "Der Prager Kirchenhistoriker und Priester Kaspar Royko (gest. 1819) bedauerte in seiner vierbändigen Geschichte des Konstanzer Konzils, dass Hus nicht jetzt, in der Zeit Josephs II., lebe, der ihn, anders als damals Sigismund, schützen würde! Auch in den verschiedenen Arbeiten des (katholischen) Historiografen Franz Martin Pelzel (gest. 1801) hellt sich das Bild des Ketzers zunehmend auf; in seiner Geschichte König Wenzels in zwei Bänden (1788–1790) verurteilt er die Verbrennung des Magisters als Mordthat."10 Auch in der katholischen Stadt Konstanz wandelte sich das Hus-Bild, nachdem Kaiser Joseph II. 1777 die Stadt besucht und das Dominikanerkloster, in dem Hus eingekerkert war, aufgehoben hatte. Nun wurde für das Haus, das als Theologen- Konvikt eine Bestimmung fand, eine Hus-Büste in Auftrag gegeben, die vom Bildhauer Josef Sporer angefertigt wurde. An der Rehabilitierung Hus’ beteiligte sich auch der Reformkatholik Heinrich von Wessenberg, der Bistumsverweser in Konstanz war. Im Sog des neuen Zeitgeistes warb Bürgermeister Karl Hütlein 1834 in der Presse für die Errichtung eines Denkmals, in dem Hus als Identifikationsfigur einer europäischen Versöhnung zwischen Deutschland (Land der Hinrichtung), Frankreich (Land der Konzilsrichter), England (Land Wyclifs) und Böhmen (Heimat Hus’) dargestellt werden sollte. Daraus wurde zwar nichts, aber in den 1860er-Jahren konnte ein "Hussenstein" an der vermuteten Stelle der Hinrichtung errichtet werden.

Zeitgenössische katholische Interpretationen

Einen qualitativen Schub bekam die deutschsprachige katholische Hus-Historiografie erst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil – nicht zuletzt dank der Arbeiten von Ferdinand Seibt und Walter Brandmüller, mit denen wir uns nun befassen werden. Ferdinand Seibt verdanken wir die Renaissance der Hus-Studien im deutschsprachigen Raum. Prägend dafür ist das internationale Symposium, das er vom 2.–26. September 1993 in Bayreuth organisierte und dessen Akten er 1997 publizierte. Seine eigene Sicht hat er prägnant zusammengefasst im Beitrag aus dem Jahr 1996: "Nicht überführt und nicht geständig. Der Hus-Prozess in Konstanz (1415)".11 Er bescheinigt Hus, dass er bei seinen Äusserungen über die Ekklesiologie Wyclifs 1410, als der Erzbischof von Prag die Bücher des Magisters aus Oxford verbrennen liess und Hus im Namen der schärfsten Wyclif-Anhänger als Kläger gegen den Erzbischof auftrat, die "Kunst der Doppeldeutigkeit" kannte. Bei diesem Prozess wurde aus der Sache der Prager "Wyclifisten" eine der Prager "Hussiten". Seibt bezeichnet es als "Musterprozess", da die Kirche ein wohlfunktionierendes Gerichtswesen hatte, und Hus, nachdem er in der ersten Instanz verloren hatte, an die zweite, d. h. an Rom appellieren konnte. Nachdem sein Prokurator, der Prager Kollege und Freund Jan Jessenitz, in Rom erfolglos gewesen und Hus selber seit Januar 1412 aufgrund seiner Kritik des Ablasshandels in den Kirchenbann geraten war, appellierte dieser nun "an Christus und an ein zukünftiges allgemeines Konzil".

Die Appellation an ein Konzil war im Rahmen der Prozessstrategie in der Zeit mit den drei Päpsten klug, denn aus Angst um die Absetzung würde keiner von diesen ein solches Konzil so schnell einberufen und der Prozess könnte daher versanden. Aber die Appellation an Christus "birgt geradewegs den Kern von Hussens Selbstbewusstsein in sich, auch den Kern seines Widerspruchs gegen die Kirche, dies war eine revolutionäre Geste, mit der er das Papsttum und die gesamte Amtskirche vor einen bisher ignorierten und radikalen Richter stellte".12

Zur selben Zeit schrieb Hus an seinem Hauptwerk "De ecclesia" (1413). Darin radikalisiert er die Thesen Wyclifs: "Danach muss die Kirche nicht notwendig von einem Papst gelenkt sein. Denn ihr Haupt ist in Wirklichkeit Christus."13 Die Kirche sollte versuchen, nach dem Gesetz Christi zu leben, und sich aus dieser Welt weitgehend zurückziehen. Vier Jahre nach dem Tod Hus’ werden die Hussiten daraus die Forderung anschliessen, die Ungerechten und eigentlich Unwürdigen ihrer Ämter zu entheben. Mit der überraschenden Einberufung des Konstanzer Konzils konnte nun Hus’ Appell an ein Konzil realisiert werden. Bekanntlich kam Hus nach Konstanz mit einem Geleitbrief von König Sigismund. Hus begab sich nach Konstanz, weil er sich in Sicherheit wähnte und mit einem öffentlichen Gehör vor der Konzilsversammlung oder einer theologischen Disputation rechnete, ja, er soll geglaubt haben, dass er dem Konzil predigen könnte, doch: "Beim Konzilsgericht war keine Rede von öffentlichem Gehör – es ging um ein Verhör!"14 Dreimal wurde Hus dem Konzil zum Verhör vorgeführt, und seine Richter waren, wie bereits angemerkt, die besten Theologen und Kanonisten der Zeit, Kirchenreformer und Konziliaristen: "Da stritten also eigentlich beide Seiten um eine Reform der gegenwärtigen Kirche, der Angeklagte wie seine Richter."15 Nach diesem einfachen Rezept versuchten die Richter, Hus zu retten: "Übergib Dich dem Konzil, ergib Dich seiner Autorität mit allen Deinen Aussagen, und Du bist frei! Gerade dies verweigerte Hus. Er wollte keiner Autorität gehorchen ausser dem Gesetz Christi, mit anderen Worten also ausser der Bibel."16

Verpasste Lösungsversuche

Zum Widerruf weigerte er sich noch, als er im Kerker Besuch eines seiner Richter (die einen vermuten, dass es sich um Kardinal Pierre d’Ailly handelte, die anderen denken eher an Kardinal Francesco Zabarella) bekam mit dem eigentlich unschlagbaren Angebot, er solle auch das widerrufen, "was er niemals behauptet habe". Mit einer solchen Formel hätten nämlich sowohl das Konzil wie auch Hus das Gesicht wahren können. Denn es wäre falsch, davon auszugehen, dass die Richter auf seine Verurteilung hin gearbeitet hätten. Andererseits: Hätte Hus nach der genannten "weltklugen Formel überhaupt widerrufen, auch das, was er nie behauptet hatte, so hätte er eben doch widerrufen. Und er hätte alle seine Kollegen, seine Anhänger, seine Gönner mit diesem Widerruf belastet",17 sowie ein gewisses Mass an Wyclifismus bei den Böhmen eingeräumt. Und gerade die Belastung seiner exaltierten Anhänger wollte er partout vermeiden. So konnten sich die böhmischen Adeligen nach dem Tod Hus’ in einem berühmten Fehdebrief an das Konstanzer Konzil mit 452 angehängten Siegeln wieder darauf berufen, wie schon nach Hus’ Verhaftung 1412, dieser sei "nicht überführt und nicht geständig" ("inconvictus et non confessus"), also ein ungerecht bestrafter Justizmärtyrer. Hus’ Verhalten bei der Hinrichtung zeigt aber, dass er nicht nur aus politischen Motiven standhaft blieb, "sondern dass er sich selbst stets als bedingungslosen Nachfolger Christi gesehen hat, und dazu gehörte auch der Kalvarienberg, die Passion, das bittere Leiden am Ende, das der gute Hirt für seine Herde auf sich nimmt".18 So konvergieren in Hussens Tod die politischen Interessen seiner böhmischen Anhänger mit dem persönlichen Sendungsbewusstsein, und damit war die Lunte an einem noch grösseren Feuer gelegt als an dem seines Scheiterhaufens. Daher das abschliessende Urteil Seibts: "Hussens Martyrium deckte nicht nur seine Freunde, sondern der Hus-Prozess wurde auch zum Zeugnis seiner Anhänger gegen die alte Kirche, gegen das Unrecht der Prälaten, für das Martyrium um des rechten Glaubens willen."19

Seibt betont auch, dass die Legitimität des konziliaren Tribunals von kirchenrechtlichen Puristen und wohlmeinenden Katholiken, die Hussens Verdammung auf diese Weise zu revidieren hoffen, "heute" angezweifelt wird. Denn nach Kirchenrecht kann ein allgemeines Konzil nur vom Papst einberufen werden, nicht vom römischen Kaiser oder König: "Eine solche päpstliche Legitimation gab es erst seit dem 14. Juli 1415, also gut acht Monate nach Konzilsbeginn; und gut eine Woche, nachdem der Hus-Prozess in Konstanz schon ein düsteres Ende gefunden hatte. Also ist der Hus-Prozess, folgt man dieser formalrechtlichen Sicht, gar nicht vor einem legitimen Gericht der höchsten kirchlichen Instanz, auch gar nicht mit dem generellen Gehorsamsanspruch eines Konzils über die weltgeschichtliche Bühne gegangen, und so besitzt sein Urteilsspruch möglicherweise auch nicht jene Wirkung, die man einem Konzilsgericht gemeinhin anerkennt."20

Die Position von Walter Brandmüller

Walter Brandmüller, der jahrelange Präsident der vatikanischen historischen Kommission und heutige Kardinal, betont zunächst, "dass in der Person des Magisters Hus ein zweifelhaft Exkommunizierter vor einem zweifelhaften Konzil stand, das durch einen zweifelhaft legitimen Papst einberufen war".21 Dann fragt er rhetorisch: "Ist Johannes Hus im einen oder anderen Sinn – und in welchem? – als Häretiker zu bezeichnen oder nicht?"22 Seine Antwort lautet, dass Hus zweifelsohne in materieller Hinsicht ein Häretiker war, denn für einen solchen wurde er von den Richtern gehalten, von klugen Richtern, denen wir nicht bösen Willen oder intellektuelle Defekte nachweisen können. In formeller Hinsicht war Hus nur von aussen betrachtet auch ein Häretiker, denn er wurde ja verurteilt: "War er es auch im Innersten seines Gewissens?" Hier sind Zweifel mehr als begründet, auch wenn dieser Bereich sich dem eigentlichen historischen Urteil entzieht. Vor seinem Tode wurde er noch im Kerker bei der Beichte ohne Auflagen absolviert, und das konnte der Beichtvater nur dann tun, "wenn Hus in seinen Augen eben kein formeller Häretiker war". Deswegen lautet für Brandmüller die eigentliche Frage: "Was hatte ihm Hus über seinen innersten Gewissenszustand geoffenbart?"23 Auch wenn sich diese Frage nicht beantworten lässt, glaubt Brandmüller in Hus’ Verhalten beim Prozess, vor allem in seiner wiederholten Weigerung zum Widerruf und in der Ablehnung aller goldenen Brücken, eine Antwort zu finden. Wenn Hus dem Prälaten, der ihn im Kerker mit einer kaum abzulehnenden, eleganten Widerrufformel besuchte, antwortete, "er wolle lieber sterben als seine Anhänger enttäuschen und ihnen Ärgernis bereiten", so zeige dies den wahren Kern des Problems. Dazu kommt sein mächtiges Sendungsbewusstsein: "So war er gekommen, um Kaiser und Konzil zu belehren. Da hatte dann freilich der Gedanke an Eingeständnis eines Irrtums, an Widerruf, keinen Raum mehr."24

In seiner Geschichte des Konstanzer Konzils spricht Brandmüller von der eindrucksvollen Standhaftigkeit und frommen Gelassenheit Hus’, aber auch von seinem ethischen Rigorismus, von seiner Monomanie, "die ihn in seine eigene Gedankenwelt einschloss und ihn diese verabsolutieren liess", von der euphorischen Verwegenheit, mit der er nach Konstanz kam, von einem hypertrophen Sendungsbewusstsein, von einer gewissen Doppelbödigkeit und Unaufrichtigkeit, die ihm zu Fallstricken wurden. Hus war für Brandmüller "nicht das Opfer seiner Gegner, sondern seiner Freunde". Und von einem Justizmord kann nicht gesprochen werden: "Das Verfahren war gerecht und fair. Hus hat die Anklageartikel beizeiten erhalten und konnte sich schriftlich wie mündlich dazu äussern. Mehrere Besuche der Untersuchungskommission in seinem Gefängnis ermöglichten ihm und den Richtern ein gegenseitiges Kennenlernen. Schliesslich wurden ihm über alle prozessualen Usancen hinaus die drei bekannten Anhörungen vor dem Konzil gewährt (…). Zum guten Schluss versuchte das Konzil, dem Angeklagten den Widerruf so leicht, wie es nur anging, zu machen, indem man ihm eine Formel vorschlug, die seine Selbstachtung soweit eben möglich schonte. Im Wesentlichen war das Verfahren also fair."25

Eine Schelte erlaubt sich Brandmüller allerdings gegenüber der intellektuellen Redlichkeit der Richter: "Je mehr sie selbst den konziliaristischen Ideen des Tages huldigend, die nebulöse Unterscheidung zwischen der heiligen, irrtumslosen und unantastbaren Ecclesia universalis und der konkreten, irrtumsfähigen und reformbedürftigen Ecclesia Romana gebrauchten, um ihr Vorhaben einer Papstabsetzung theologisch zu begründen, desto mehr befanden sie sich doch selbst auf den Pfaden Wyclifs und Husens, die sie verurteilten." Brandmüller bezweifelt, dass die Richter sich darüber Rechenschaft ablegten, "dass sie sich selber in so fataler Nähe der verurteilten Häresie bewegten".26

Edzard Schaper

Die deutschsprachige katholische Auseinandersetzung mit dem Prozess des Jan Hus wäre unvollständig ohne den literarischen Niederschlag beim Schriftsteller Edzard Schaper (1908–1984), der 1951 zur römischkatholischen Kirche konvertierte und 1965 das Hörspiel "Das Feuer Christi. Leben und Sterben des Johannes Hus" in siebzehn dramatischen Szenen (Stuttgart 1965) publizierte. 1965, beim 550. Jahrestag der Verbrennung Hus’, bewegte diese auch die Gemüter. Mit viel Empathie für Hus ruft Schaper beim Leser die spontane Empörung über einen "Justizmord, noch dazu begangen von einem ehrwürdigen Konzil, das nicht zuletzt um der Kirchenreform willen zusammengetreten war".27

So heisst es bei Schaper: "Am 6. Juli 1415 stiess Jan Hus auf dem Konzil von Konstanz, bevor er der weltlichen Gewalt überliefert und zu seinem Scheiterhaufen geführt wurde, bei seiner Degradation als Priester jenen Schrei aus, der gleichsam vom Zeitalter der Scholastik in das des eben beginnenden Humanismus hinüberhallt: erster Schrei eines Mannes, der die Unverdientheit und Unwürdigkeit eines menschlich-persönlichen, in der Erfahrung Gottes begründeten Schicksals weltweit geschichtlich kundtat (…). ‹Königliche Gnaden›, schrie Hus, an seinen einstigen Schutz- und Geleitherrn, König Sigismund von Ungarn, gewandt, als ihm die Schere in der Hand eines unschlüssigen Bischofs, der nicht recht wusste, wie er ihm den letzten Schimpf antun sollte, ihn seiner corona, der priesterlichen Tonsur, zu berauben, die peinigend lange Zeit dazu liess, ‹Königliche Gnaden! Die Bischöfe sind sich nicht einmal einig, wie sie mich beleidigen sollen!›" Hus’ Ende beschreibt Schaper so: "Das Ende seiner Reden bis zum Feuer war ein einziges: ‹Christe, fili Dei vivi, misere mei!›, ‹Christus; Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich meiner!› Es gab für ihn keinen schützenden Menschen mehr. Seine Einsamkeit hatte nur Gott."28 Über diese Empathie hinaus konfrontiert Schaper den Leser mit tiefgehenden theologischen Fragen und Spannungen, die meine Freiburger Kollegin Barbara Hallensleben folgendermassen zusammenfasst: "Die grosse offene Frage, die von nun an das Leben der Kirche begleitet, lautet: Wie leben wir mit der unaufhebbaren Differenz zwischen der Gerechtigkeit Christi und den Grenzen unserer geschichtlichen Existenz? Wyclif und Hus fanden keine Brücke zwischen der unsichtbaren Versammlung der Prädestinierten und der sichtbaren Versammlung der Gläubigen." Sie vertraten im Grunde eine "praxisbezogene ethische Glaubenskonzeption", die, wie der Hus-Experte Robert Kalivoda geschrieben hat, "mit dem eigentlichen Protestantismus wirklich nicht viel gemeinsam hat" – und doch wurde Hus als Vorläufer der Reformation betrachtet. Für Hallensleben gibt es nur einen Weg – "den Hus in der Tat gegangen ist, ohne ihn theologisch einzuholen; der Weg der Liebe, der das eigene Leben einsetzt und so dem Weg Christi in Armut, Demut und geduldigem Leiden folgt (…). Nicht nur der Schrei des Jan Hus wird zu allen Zeiten hörbar bleiben – auch die Frage nach der Kirche und ihrer Reform".29 Bei dieser Betrachtung bleibt freilich auch die Frage unbeantwortet, die von den Historikern Seibt und Brandmüller immer wieder gestellt wurde: Warum lehnte Hus mit einer unverständlichen Verstocktheit die vielen goldenen Brücken zu einem eleganten Widerruf ab? Warum suchte er das Martyrium, wo dies aus Gründen der Prozessdynamik nicht unbedingt nötig gewesen wäre? Entsprach dies dem Willen Christi?

Das "tiefe Bedauern" von Johannes Paul II.

Fragen über Fragen, die freilich nicht das Unbehagen angesichts des grausamen Feuertodes eines Aufrechten aus der Welt schaffen, überhaupt die Frage, ob die Kirche befugt ist, gegen Abweichler so vorzugehen. Dafür sind wir heute besonders sensibel geworden, und nicht zuletzt dies erklärt den Historikerkongress des Jahres 1999 im Vatikan. Das päpstliche Zentralkomitee für die Festlichkeiten des Jubeljahres 2000 gemeinsam mit der Tschechischen Bischofskonferenz, der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik und der Universität Prag hatten zu einer internationalen Hus-Konferenz vom 15. bis zum 18. Dezember 1999 nach Rom geladen. Wie 1993 beim von Ferdinand Seibt organisierten Kongress in Bayreuth waren auch hier die meisten Gelehrten anwesend, die in den letzten Jahrzehnten über Hus publiziert hatten, vornehmlich tschechische und ein paar wenige deutsche, dazu auch die kirchlichen Würdenträger der verschiedenen Konfessionen, diesmal freilich nur aus der Tschechischen Republik und vom Vatikan. Der tschechische Staatspräsident Václav Havel kam einen Nachmittag zu Besuch. Er hatte einen Tannenbaum aus den Beskiden "mitgebracht". In seiner Kongressglosse in der NZZ vom 3. Januar 2000 vermerkt Ferdinand Seibt dazu mit unverkennbarer Ironie: "Der Weg des armen Konstanzer Delinquenten nach Rom war also diesmal mit sicherem Geleit bedacht."30

Spätestens seit 1963 stand die Frage im Raum, ob die katholische Kirche Jan Hus rehabilitieren wird. Der erste Ansatz zur freien wissenschaftlichen Diskussion war der erwähnte Kongress in Bayreuth 1993. Ist nun der römische Kongress in der Sache weitergekommen? Ferdinand Seibt ist zuzustimmen, wenn er schreibt: "Die sichtbare Heilsanstalt des Jahres 2000 kann nun aber nicht gutheissen, was die sichtbare Heilsanstalt um 1400 verworfen hatte. Sie kann Hus nicht freisprechen. Sie kann aber den irrenden Sohn, besonders auch im Hinblick auf die wahrhaft miserablen Zustände zu Hussens Zeiten, die einen getreuen Christen sehr wohl an der Nachfolge Petri verzweifeln lassen konnten, im geläuterten historischen Rückblick in Liebe aufnehmen und ihm ihren Respekt bezeugen wegen seiner Standhaftigkeit und seiner christlichen Moral."31

Dementsprechend nennt der Papst den Kongress in seiner Grussbotschaft "eine weitere, wichtige Etappe auf dem Weg zu einem tieferen Verständnis des Lebens und Wirkens dieses berühmten böhmischen Predigers, der unter den vielen bedeutenden Lehrmeistern, die aus der Universität Prag hervorgegangen sind, einer der bekanntesten ist. Hus ist aus vielerlei Gründen eine denkwürdige Gestalt. Es ist aber vor allem sein sittlicher Mut im Angesicht der Widrigkeiten und des Todes, der ihn zu einer herausragenden Gestalt für das böhmische Volk gemacht hat, ein Volk, das seinerseits im Laufe der Jahrhunderte schwere Prüfungen erduldet hat."32

Dann spricht der Papst jene denkwürdigen Worte aus, die eingangs erwähnt wurden und die ich nun ausführlicher zitieren möchte: "Heute, an der Schwelle zum Grossen Jubeljahr, fühle ich mich verpflichtet, mein tiefes Bedauern auszusprechen für den grausamen Tod von Jan Hus und für die daraus folgende Wunde, Quelle von Konflikten und Spaltungen, die dadurch in den Geist und die Herzen des böhmischen Volkes gerissen wurde. Schon während meines ersten Besuchs in Prag gab ich der Hoffnung Ausdruck, dass entscheidende Schritte auf dem Weg der Versöhnung und der wahren Einheit in Christus unternommen werden könnten. Die Wunden der vergangenen Jahrhunderte müssen durch einen neuen, zukunftsorientierten Blick und durch den Aufbau vollkommen erneuerter Beziehungen geheilt werden."

Der Papst fügte hinzu, dass die historische Wahrheit von wesentlicher Bedeutung sei und der Glaube vom Engagement der Geschichtsforschung nichts zu befürchten habe, "da auch die Forschung letztendlich auf die Wahrheit ausgerichtet ist, die ihren Ursprung in Gott hat". Ähnlich hatte sich der Papst 1998 in einer Grussbotschaft anlässlich eines römischen Kongresses zur Erforschung der Inquisition geäussert – und ebenso bei der Öffnung des Inquisitionsarchivs für die Forschungsarbeit. Zur selben Zeit arbeitete die Internationale Theologische Kommission der Glaubenskongregation an einem Dokument, das 2000 mit dem Titel "Erinnern und Versöhnen". Die Kirche und die Verfehlungen in ihrer Vergangenheit publiziert wurde. Darin sind einige interessante Bemerkungen über die historische Arbeit enthalten, wie z. B. diese: "Die Beziehung zwischen ‹historischem› und ‹theologischem Urteil› zu klären ist ebenso kompliziert wie notwendig und entscheidend. Man muss diese beiden Urteilsmassstäbe in Beziehung zueinander setzen, ohne dieses Verfahren von der einen oder anderen Seite durch Vorurteile von vornherein zum Scheitern zu bringen. Was man auf jeden Fall vermeiden muss, ist die fruchtlose Diskussion entgegengesetzter Einseitigkeiten: auf der einen Seite eine Art von Apologetik, die alles und jedes, was in der Kirchengeschichte vorgefallen ist, um jeden Preis zu rechtfertigen versucht, und auf der anderen Seite eine Beschuldigungsattitüde, die jedes Ereignis, jedes Wort und jede Handlung, ob gerechtfertigt oder nicht, benutzt, um die Kirche auf die Anklagebank zu verweisen."33

Schluss

Was die Causa Hus betrifft, so kann man sagen, dass die historische und die theologische Forschung das Nötige gesagt haben – und ebenso die Kirche mit dem "tiefen Bedauern" von Papst Johannes Paul II. Dabei hat dieser zutiefst bedauert, was eine konziliare Kirchenversammlung ohne Papst und auf Rat der fortschrittlichsten theologischen Köpfe der Zeit beschlossen hatte – was an sich schon bemerkenswert ist. Darüber hinaus wäre es sicherlich ein Zeichen, wenn im Reformationsjahr 2017 alle Kirchen gemeinsam um Vergebung für die Fehlentwicklungen in der Christentumsgeschichte bitten würden, denn alle haben ihren Jan Hus – oder ihren Miguel Servet.

 

"Der Scheiterhaufen des Magisters Hus wurde zur Brandfackel, die Böhmen entzündete, deren religiösrevolutionäre Glut nahezu das ganze Reich versengte" – hat Walter Brandmüller pathetisch geschrieben.34 Der Scheiterhaufen des spanischen Theologen und Mediziners Miguel Servet am 27. Oktober 1553 entfachte die erste nachhaltige Diskussion über die gewaltsame Ketzerbekämpfung und die Gewissensfreiheit – zu der man zu Beginn des 15. Jahrhunderts, vor der epochalen Wende der Renaissance, "noch nicht" bereit war. Während des Genfer Prozesses hatte Servet selbst zu verstehen gegeben, dass seine Rückführung des Christentums auf die biblische Grundlage einen Abschied von der konstantinischen Wende und dem politischen Augustinismus des Mittelalters bedeute. Dass die Kirche befugt sei, Ketzer mit dem Tod zu bestrafen, und dass das weltliche Schwert das Todesurteil auszuführen habe, sei eine neue Erfindung, "die die Apostel und Jünger der alten Kirche nicht kannten".35 Gerade diese Argumentationslinie vertrat der in Basel lebende Savoyarde Sebastian Castellio. Er brachte seine Empörung darüber zum Ausdruck, dass ein Mensch wegen seiner Religion getötet werde, was nach dem Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen dem Willen Gottes widerspreche. In einer 1554 verfassten Streitschrift gegen Calvin, die allerdings erst 1612 in den Niederlanden veröffentlicht werden konnte, schrieb Castellio jenen denkwürdigen Satz, der in die Geschichte der Toleranz eingegangen ist: "Einen Menschen töten heisst nicht, eine Lehre verteidigen, sondern einen Menschen töten."36 Dies ist auch die grundlegende und bleibende Lehre, die wir aus dem Prozess des Prager Magisters Johannes Hus ziehen sollten – jenseits des ekklesiologischen und philosophischen Streits, der ihm zugrunde lag.

___________________________________________________________

Im Rahmen der von der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, den Zürcher Kirchgemeinden Unterstrass, Oberstrass, St. Peter und Grossmünster in Zusammenarbeit mit dem Tschechischen Zentrum Wien und der Botschaft der Tschechischen Republik durchgeführten Veranstaltungsreihe hielt Prof. DDr. Mariano Delgado den hier abgedruckten Vortrag am 19. März 2015 in der Kirche Unterstrass, wo auch die Wanderausstellung zum 600. Gedenktag der Verurteilung und Verbrennung von Jan Hus – "Jan Hus im Jahr 1415 und 600 Jahre danach"– gezeigt wurde.

 

 

 

 

1 Ferdinand Seibt: Jan Hus – zwischen Zeiten, Völkern, Konfessionen, in: Jan Hus – Zwischen Zeiten, Völkern, Konfessionen. Vorträge des internationalen Symposions in Bayreuth vom 22. bis 26. September 1993. Hrsg. von Ferdinand Seibt (= Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 85). München 1997, 26.

2 Hier zitiert nach: Adolf Martin Ritter / Bernhard Lohse / Volker Leppin (Hrsg.): Mittelalter (= Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen 2). Neukirchen-Vluyn 2001, 229 f.

3 Augenzeugen des Konstanzer Konzils. Die Chronik des Ulrich Richental. Die Konstanzer Handschrift ins Neuhochdeutsche übersetzt von Monika Küble und Henry Gerlach. Mit einem Nachwort von Jürgen Klöcker. Darmstadt 2014, 103.104.

4 Seibt, Jan Hus (wie Anm. 1), 12.

5 Ebd., 11.

6 Peter Hirsch: Das Hus-Bild in der geschichtlichen Erinnerung, in: Das Konstanzer Konzil. Essays. Hrsg. von Karl-Heinz Braun, Mathias Herweg, Hans W. Hubert, Joachim Schneider und Thomas Zotz. Darmstadt 2014, 102–105, hier 102 f.

7 Ebd., 103.

8 Ebd.

9 Ebd.

10 Ebd.

11 In: Grosse Prozesse. Recht und Gerechtigkeit in der Geschichte. Hrsg. von Uwe Schultz. München 1996, 89–102.

12 Ebd., 94 f.

13 Ebd., 95.

14 Ebd., 97.

15 Ebd., 98.

16 Ebd., 99.

17 Ebd., 101

18 Ebd., 101.

19 Ebd., 102.

20 Ebd., 96.

21 Walter Brandmüller: Hus vor dem Konzil, in: Seibt, Jan Hus (wie Anm. 1), 235–242, hier 236.

22 Ebd., 238.

23 Ebd., 242.

24 Ebd., 241.

25 Walter Brandmüller: Das Konzil von Konstanz 1414–1418. Bd. I: Bis zur Abreise Sigismunds nach Narbonne. Paderborn u. a. 1991, 358.

26 Ebd., 358 f. 27 Barbara Hallensleben: Wie durch Feuer – Jan Hus und die Aufgabe der Kirchenreform, in: Religion und Gesellschaft in Ost und West 43 (2015) 15–17, hier 15.

28 Hier zitiert nach: Hallensleben, Wie durch Feuer (wie Anm. 27), 15.

29 Ebd., 17.

30 Ferdinand Seibt, Jan Hus in Rom. Ein neues Kapitel der Kirchengeschichte?, in: NZZ vom 3. Januar 2000, 22.

31 Ebd.

32 http://w2.vatican.va/content/john-paul-ii/de/speeches/1999/december/documents/hf_jp-ii_spe_17121999_jan-hus.html (Stand: 11. März 2015).

33 http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/cti_documents/rc_con_cfaith_doc_20000307_memory-reconc-itc_ge.html (Stand: 11. März 2015).

34 Brandmüller, Das Konzil von Konstanz (wie Anm. 25), 354.

35 Marcelino Menéndez Pelayo: Historia de los Heterodoxos españoles, Bd. 1. Madrid 1986, 913.

36 Religiöse Toleranz. Dokumente zur Geschichte einer Forderung. Hrsg. v. Hans R. Guggisberg. Stuttgart 1984, 88.

 

Mariano Delgado

Mariano Delgado

Prof. Dr. Dr. Mariano Delgado ist Professor für Kirchengeschichte an der Universität Fribourg und leitet das Institut für das Studium der Religionen und den interreligiösen Dialog.