Tiefenbohrungen zum christlich-islamischen Dialog heute

Der bekannte Kenner der christlich-islamischen Beziehungen, Günter Risse, legt sieben Miniaturen zu einschlägigen Themen vor.1 Er will damit Christinnen und Christen den Reichtum des Islam erschliessen, wissenschaftliche Kenntnisse vermitteln und tieferreichende Begegnungen zwischen den Angehörigen beider Religionen ermöglichen. Promoviert hat Risse mit einer Arbeit über Jesus Christus, den Sohn Marias im Koran, und seine Überlegungen beziehen auch die islamische Marienverehrung ein.

Der Garten

Eröffnet wird die 140-seitige Schrift mit einer Reflexion über die Kultur der Gärten, ausgehend von der Koransure 89,30 «Geh in meinem Garten» (14–19). Der Garten – ein Ursymbol der Menschheit – steht im Zusammenhang mit Wasser, Früchten aller Art, wohltuenden Schatten und Frieden. Gärten sind Orte der Erholung und der Lebensfreude; sie versinnbildlichen das Paradies. Erinnert sei an die traumhaft schönen, sinnenreichen Gärten im andalusischen Granada und Sevilla. Gärten haben islamische Mystiker und Dichter inspiriert zur Dichtkunst mit Wortbildern.

Vom Dialog zum Trialog

Im zweiten Beitrag (19–36) über die jüngsten Dialogbemühungen auf Weltebene und besonders in Deutschland plädiert der Autor für ein Fortschreiten des Dialogs zum Trialog unter Einbezug der Juden (26); er befürwortet eine Feiertagsregelung auch für Muslime, die Gewährung eigener Grabfelder sowie eine gerechte Steuerverteilung. Die gegenwärtigen Arbeitsstellen, ihre Dokumente und Wegweisungen kommen umfassend zur Darstellung.

Die Wunden des Westens

Der dritte Beitrag (37–52) setzt sich mit dem brisanten Thema «Islam – Religion der Gewalt?» auseinander. Hier werden Stimmen zum 11. September 2001 von Muhammad at Said at-Tantawi von der Al-Azhar-Universität in Kairo ebenso referiert wie Reflexionen zum Propheten und seiner Einstellung zur Gewalt, Aussagen des Korans, aus den Hadithen und der Scharia. Dass die Kolonialherrschaft westlicher Staaten «tiefe Wunden im Empfinden der Muslime hinterlassen hat», steht ausser Zweifel. «Der präsentische fundamentalistische Islamismus dürfte unterschwellig wohl eine Reaktion auf diese Entwicklung sein.» (49)

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Ein weiterer Beitrag befasst sich mit der Bedeutung des Islam für Europa (59–62), ein anderer mit den «Zehn Geboten» im Koran bzw. mit den Geboten der Gottes- und Nächstenliebe (63–79) und einer mit der islamischen Eschatologie (79–84). Risses Schwerpunkt, nämlich Jesus und Maria im Koran, stehen im Zeichen der «Grenze der Begegnung» (90–113) und bringen auch die theologischen Unterschiede («Sohn Gottes», «Kreuzigung», «Gottesmutter») zur Darstellung.

Gedanken zum christlich-islamischen Dialog

Den Abschluss der interessanten Schrift, deren Teile bereits früher in Festschriften und Lexika publiziert wurden, bilden herausragende prophetische Zeugen des christlich-islamischen Dialogs wie Charles de Foucauld (1858–1916), Louis Massignon (1883–1962), Georges Anawati (1905–1994) bis hin zu Papst Franziskus (114–138). Insgesamt sind alles gelungene «Tiefenbohrungen» zum christlich-islamischen Dialog heute!

 

1 Gunter Risse, Der Islam in unserer Welt. Theologische Gedanken an der Grenze der Begegnung von Christentum und Islam (Begegnung – kontextuell-dialogische Studien zur Theologie der Kulturen und Religionen), Paderborn 2015.

Stephan Leimgruber

Stephan Leimgruber

Dr. Stephan Leimgruber ist seit Februar 2014 Spiritual am Seminar St. Beat in Luzern und zuständig für die Theologinnen und Theologen in der Berufseinführung. Bis zu seiner Tätigkeit in Luzern war er Professor für Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät in München.