Theologie und Sprache bei Anselm Grün

Zur Tagung vom 26./27. April 2013 an der Universität Freiburg

Anselm Grün ist heute eine internationale Marke. Sie steht für eine achtsame Gebetssprache, die Gott die seelischen Wunden hinhält und um Heilung bittet. Mit über 300 Büchern und einer Auflage über 18 Millionen in 32 Sprachen ist Grün (geb. 1945) weltweit einer der wirkungsmächtigsten Zeugen der Frohen Botschaft, zudem einer der meistgelesenen Autoren deutscher Sprache.

Doch seltsam: Es gibt keine Auseinandersetzung der Theologie mit Grün. Von der Handvoll Titeln zu Anselm Grün1, stammt gerade einer aus der Universität.2 Bücher zum Umgang mit sich selbst in Millionenauflage – und keiner Ethik beider Konfessionen ist Grün eine Erwähnung wert.3 Das Auftreten des wirkungsmächtigen Zeugen der Frohen Botschaft ist heute ein unreflektiertes Ereignis! Offenbar spiegelt das eine eigentümliche Ratlosigkeit. Hinter vorgehaltener Hand spricht mancher Theologe mit Respekt vom Werk Grüns, aber in der akademischen Öffentlichkeit kommt kein Wort über die Lippen.

Eine Frage des Theologiebegriffs

Anselm Grün: so blumig und weichgespült – wie soll sich da eine wissenschaftliche Auseinandersetzung lohnen? Solchen Zweifeln am Sinn der unten angekündigten Tagung begegnen wir auch. Ja: Wenn es der Theologie nur auf differenzierte Unterscheidungen, auf intellektuelle Anstrengung, auf begriffliche Schärfe ankommt, dann wird sie mit Anselm Grün nicht viel anfangen können. Aber genügt es wirklich, wenn die Theologie sich der Erkenntnis einer abstrakten Wahrheit widmet? Wenn Hunderttausende Drewermann lesen und Millionen Grün, finden sie offenbar etwas. Sollte dieses Etwas Theologen nicht leidenschaftlich interessieren? Noch wichtiger als wissenschaftliche Objektivität ist ja, die Frohe Botschaft in die Sprache der Zeit zu übersetzen, sie mit Hoffnungen und Verzweiflungen der Zeitgenossen in ein Gespräch zu bringen, das berührt.

Obiger Zweifel setzt ohne weitere Reflexion den Vernunftbegriff der Aufklärung voraus. Er ist mit intellektuellen Konstruktionen zufrieden oder beschränkt sich auf die Kritik. Aber seit Freud gibt es einen therapeutischen Vernunftgebrauch. Er akzeptiert eine bleibend subjektive Wahrheit des Menschen. Sie ist der Einfühlung zugänglich; allerdings lässt sie sich nicht umfassend in objektivierende Methoden fassen. Kant hätte die Empathie als Vernunftgebrauch nicht anerkannt. Unsere Zeit ist einen Schritt weiter: Ohne Einfühlung bekommt das Denken nicht den ganzen Menschen zu Gesicht, sondern nur objektivierbare Bruchstücke. Mit diesen aber können die Christen sich nicht zufrieden geben. Grün (und Drewermann) stehen auf dem Boden dieses Vernunftbegriffs. Dass die Theologie sich mit ihm, besonders mit seiner hochreflektierten psychoanalytischen Gestalt, kaum auseinandersetzt, ist nicht Grün anzulasten.

Ein Anfang

Eine Tagung der Theologischen Fakultät Freiburg in Zusammenarbeit mit dem «aki Bern» bringt am26. und 27. April 2013 die beiden Sprachwelten ins Gespräch. Sie möchte das humanisierende Potenzial der theologischen und psychotherapeutischen Wissenschaft an einem Zeitphänomen seine Wirksamkeit entfalten lassen. Auch kritisch! Dass Grün Erfolg hat, enthebt ihn nicht jedem Zweifel.

Zunächst hat Anselm Grün selbst das Wort und erläutert anhand wichtiger biografischer Schritte das Werden seiner theologischen Sprache, ihrer Prioritäten und Entscheidungen. Der Theologe und Fernsehmoderator Erwin Koller wird mit seinen charakteristisch genauen Fragen durch die Tagung führen. Sie will für Menschen verständlich sein, die kritisch zu lesen gewohnt sind, nicht nur für Theologinnen und Theologen.

Systematische Fragen

Zuerst widmet sich die Tagung den genannten erkenntnistheoretischen Fragen, die hinter dem Unterbleiben des Gespräches mit Grün stehen. Ein zweiter Block nimmt sich des wichtigsten Themas der Schriften Grüns an, des Umgangs mit sich selbst. Es leuchtet unmittelbar ein, dass die Annahme seiner selbst, mit Grenzen, Scheitern und Verletzungen, mit ihren nie endenden Schwierigkeiten, ein Thema der Ethik ist. Ebenso muss es der Ethik nicht nur um Taten gehen, sondern auch um den Umgang mit Lebenskräften, die der Einzelne ursprünglich im Raum seiner Subjektivität erfährt. Sexuelle Missbräuche etwa haben nie nur mit spontanem Versagen, sondern auch mit einer scheiternden Kultivierung der eigenen Sexualität zu tun. Indes rezipiert die Theologische Ethik, hierin dem akademischen Mainstream folgend, Sprache, Menschenbild und Inhalte der psychodynamischen, einfühlenden Therapieformen kaum. Viel lieber als von Freud lässt sie ihre Sprache von Kant beeinflussen. Die Empathie hat es in der Theologischen Ethik noch nicht zu einem tragenden Grundvollzug gebracht. Hier möchte das Gespräch Grenzen ausloten und überschreiten.

Anselm Grün bezieht sich häufig auf C. G. Jung, Drewermann und andere Psychotherapeuten. Zwei international führende Psychoanalytiker Freud’scher und Jung’scher Herkunft versuchen, das Werk Grüns zu verstehen und zu bewerten. Wenn die Theologie sich der Psychotherapie öffnet, dann am besten im Gespräch mit Fachleuten, nicht nur mit ihrem Übersetzer in die christliche Welt.

Biblische Zugänge und praktische Theologie

Der Berner Hochschulseelsorger Basil Schweri wird berichten, wie er durch die Lektüre Grüns zum Theologiestudium fand. Auch für das Nachwuchsproblem der Theologie ist eine Sprache, die dem Menschen von heute nah ist, ein wichtiger Aspekt.

P. Anselm hat zahlreiche Bibelauslegungen verfasst, die sich weiter Verbreitung erfreuen, und seine Methode begründet. Grün interessiert die biblische Sprache als Ausdruck von Beziehungen und inneren Zuständen. Dem Bild traut er mehr zu als dem Begriff, der weniger lebendig sei und schneller veralte. Ulrich Luz wird mit P. Anselm ein Gespräch über seine Schriftauslegung führen, das vor allem nach einem gegenseitigen Verständnis der weit auseinanderliegenden exegetischen Stile sucht.

Der Pastoraltheologe O. Fuchs und eine seiner Schülerinnen befassen sich mit dem Begriff der Heilung, der bei Grün zentral ist. Was genau versteht Grün unter Heilung? Inwiefern trifft diese Sprachform die Lage des Menschen von heute? Ist in einer komplexen und vielfach gebrochenen Welt Grüns Heilung überhaupt erreichbar – oder muss sie ein fernes Ideal bleiben?

Die Frage nach Theologie und Sprache Anselm Grüns birgt Sprengkraft. Aber auch Potenzial für eine leidenschaftlich interessante Auseinandersetzung! Gerade wo die Emotionen hochgehen, kann sich das nüchterne Handwerkszeug der Wissenschaft bewähren: indem es Schlagworte und eingängige Bilder abklopft, hinterfragt, Gefühle und Argumente analysiert.

Das genaue Programm ist einsehbar unter: www.unifr.ch/theo/assets/files/Anselm_Grun.pdf

1 Andreas Batlogg: Aus den eigenen Wunden schreiben. in: Stimmen der Zeit 228 (2010), 67– 69; Freddy Derwahl: Anselm Grün. Münsterschwarzach 2009; Elisabeth Lochner: Missionar mit gütiger Ausstrahlung. in: Communicatio socialis 42 (2009), 304 –313; Thomas Philipp: In Beziehung mit dem Text. Psychologische Auslegungen und deren Reichweite. in: Orientierung 66 (2002), 127–131; Ders, Anselm Grün: Botschaft, Sprache – Rezeption?, in: Michael Felder / Jörg Schwaratzki (Hrsg.): Glaubwürdigkeit der Kirche – Würde der Glaubenden (FS Leo Karrer). Freiburg 2012, 170 –180; Mauritius Wilde (Hrsg.): Inspiration für Kirche und Welt. Symposium für Anselm Grün. München 2010.

2 Hubertus Lutterbach: Anselm Grün. Ein Bestsellerautor und sein Anliegen. in: Erbe und Auftrag 88 (2012), 33–44.

3 Winzige Ausnahme: eine Fussnote in Josef Römelts «Handbuch der Moraltheologie», Band 2 . Regensburg 1997, 112.

Thomas Philipp

Thomas Philipp

Dr. Thomas Philipp studierte Theologie, Geschichte und Psychoanalyse. Nach Seelsorgetätigkeiten in Deutschland arbeitet er seit dem Jahr 2000 bei der Katholischen Hochschulseelsorge in Bern, deren Leitung er nun innehat.