Taizé-Symposium vom September 2015

Weit über 250 junge Menschen nahmen am ersten internationalen theologischen Kolloquium vom 30. August bis zum 6. September 2015 in Taizé teil, das unter dem Thema stand: "Beitrag Frère Rogers zum theologischen Denken". Eingeladen wurden Theologiestudierende und junge Theologinnen und Theologen bis 40 Jahre, die in der Forschung tätig sind, sich auf einen Dienst in der Kirche vorbereiten oder bereits darin engagiert sind. Die vielfältigen Referate aus allen Teilen der Welt – Beiträge von evangelischer, anglikanischer, orthodoxer und katholischer Seite aus West- und Osteuropa, Asien, Nordamerika, Lateinamerika, Südafrika und Australien – regten zum Nachdenken und Austausch an. Der Schweizer Theologe Frère Richard erklärte, dass einige Punkte aus dem Leben und Lebenswerk von Roger Schutz Fragen an die Theologie richte und sie weiterbringe. Für junge Menschen gehe es nun darum, Glauben und Aussagen zusammenzubringen und Erfahrungen von Gebet und Kirche-Sein in theologische Begriffe zu fassen für die universitäre Erfahrung, für die Weitergabe. Kontakte zwischen Taizé und theologischen Fakultäten würden intensiviert, mit dem Ökumenischen Institut Bossey hätten sie schon immer bestanden. Die Referierenden sprachen von ihren persönlichen Begegnungen mit Frère Roger oder wie sie durch seine Tagebuchaufzeichnungen, durch Gebete und Aufenthalte oder Taizé-Treffen in Europa und anderswo geprägt wurden.

Geistliche Ökumene

Dorothea Sattler, Professorin für Dogmatik und Leiterin des Ökumenischen Instituts in Münster (D), verstand es, komplizierte theologische Sachverhalte in verständliche Worte zu fassen, ohne die Aussagen zu vereinfachen. Sie wies darauf hin, dass Zweifel am Glauben erlaubt seien, und erinnerte dazu an Details aus Frère Rogers früher Biografie. Für ihn sei vor allem die geistliche Ökumene als Weg zur Einheit der Kirche wichtig geworden. Ihre Deutung davon lautet: Einheit sei an der Mitte des christlichen Bekenntnisses, an der österlichen Hoffnung, ausgerichtet. Es gehe darum, existenzielle Fragen der Menschen wahrzunehmen, Versöhnung zu suchen angesichts der Verstrickungen in Phänomene der Schuld und die Bewahrung des individuellen Lebens auch noch im Tod zu erwarten. Die geistliche Ökumene sei schöpfungstheologisch ausgerichtet, d. h., sie fördere das Leben aller Geschöpfe und lindere jede Not. Weiter bezog sie sich auf den Widerstand von 1950 gegen die Verkündigung des Dogmas der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel und die Berufung des Bischofs von Rom auf seine ihm im Ersten Vatikanum zugestandene unfehlbare Lehrautorität. Ihrer Ansicht nach wird es mit diesem Jurisdiktionsprimat und der Möglichkeit infallibler Lehrentscheide keine sichtbare Einheit der Kirche geben können. Es gebe jedoch konkrete andere Vorschläge: Der Bischof von Rom könnte offiziell auf die Ausübung seiner Privilegien verzichten oder sich einbinden lassen in ein ökumenisches Kollegium. Ob da auch Frauen mit dabei seien? Mit dieser Frage schloss Sattler ihr Referat.

Barmherzigkeit und Solidarität

Taizé feierte dieses Jahr den 15. August mit einer neuen, russischen Barmherzigkeitsikone. Barmherzigkeit ausüben – oder in anderen Worten: Solidarität bezeugen – ist ein Schwerpunkt der jetzigen Ausrichtung. An Barmherzigkeit knüpfte Kardinal Walter Kasper an. Roger Schutz bezeichnete er als einen Theologen, der auf existenzielle Art von Gott sprach und (vor)lebte, was er sagte. So nahm er vorweg, was Papst Franziskus ebenfalls betont: Niemand ist von der Liebe Gottes ausgeschlossen. Sie sei als Barmherzigkeit die Wahrheit über Gott. Doch wie kann eine Kirche eine solche Liebe leben, wenn sie gespalten ist? Einheit zu finden, war für Roger Schutz zentral, und er lebte sie mit seinem persönlichen Weg, seiner ganzen Existenz vor, ohne dabei je seine reformierten Wurzeln oder das reformierte Erbe zu verleugnen: "Ich habe meine eigene Identität als Christ darin gefunden, in mir selbst den Glauben meiner Herkunft mit dem Mysterium des katholischen Glaubens zu versöhnen, ohne mit der Gemeinschaft oder mit irgend jemand zu brechen." Gelebte Ökumene war für ihn wie eine Vorwegnahme der zukünftigen Einheit der Kirchen als Versöhnung der getrennten und isolierten Teile, in einer Zeit, wo monastisches Leben für protestantisches Verständnis noch fremd war. Wie kann dieses Erbe zum Paradigma für das ökumenische Vorwärtsgehen der Kirche und Kirchen werden?, fragte Kardinal Kasper. Frère Roger besass das Charisma, seine Berufung und den ökumenischen Auftrag miteinander zu verbinden. Das lasse sich nicht kopieren. Die Kirchen seien in ihrer Annäherung an einen Punkt gelangt, wo eine persönliche Entscheidung notwendig werde. Frère Roger zeigte, dass dies möglich sei, ohne etwas zu verleugnen. Papst Johannes XXIII. sagte bei der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils ganz einfach: Versöhnen wir uns! Nur eine barmherzige Kirche, die niemanden ausschliesse, sei mit sich und mit ihrem Auftrag identisch: Instrument Gottes zu sein.

Rowen Williams, Alt-Erzbischof von Canterbury, beschränkte sich in seiner Videobotschaft auf zwei Themen von Frère Roger: Mit seiner ganzen Existenz zeigte er, dass "Kirche" oder Solidarität eine Herausforderung sei für das kirchliche "Stammesdenken", für den Konfessionalismus. Die Ähnlichkeiten zwischen dem Werk von Frère Roger und Papst Franziskus’ "Evangelii Gaudium" von 2013 sieht Williams im Akzent auf eine universelle Solidarität, auf Gastfreundschaft und Grosszügigkeit. Das zweite Thema von Frère Roger beinhalte den Verzicht der Kirche auf Machtmittel. Dies stelle ein grosses Korrektiv dar zur derzeitigen Beunruhigung in der westlichen Welt, etwas zu verlieren: Terrain, soziale Konsistenz sowie Macht und Einfluss. Die katholische Berufung beschränke sich nicht darauf, eine grosse Weltkirche zu sein, sondern vielmehr, immer in Bewegung zu sein hin zu jenen, die an den Rändern leben. Katholizität bedeute demnach, die Grenzen hinauszuschieben, ergänzte Williams. Frère Roger sah die Gefahr in einer Ökumene ohne Hoffnung, die dauernd diskutiere und verhandle ohne ganzheitliche Vision davon, was zu erreichen sei. Die Existenz der Gemeinschaft von Taizé sei eine Art Protest gegen eine Ökumene ohne Hoffnung, und ein grosser Teil des theologischen Erbes von Frère Roger bestehe darin, uns hinzuweisen auf diese zwei aufeinander bezogenen Themen von Solidarität und Verzicht auf Machtmittel – und der Freiheit, die daraus resultiere.

Kleine Zellen der Hoffnung

Gottfried Hammann, elsässischer lutherischer Theologe und früherer Unidozent in Neuenburg, kennt Taizé seit Jahrzehnten. Eine "zukunftsfähige Kirche" könne in einer monastischen Linie gesehen werden, erklärte er, in einer Kirche, die nicht nur auf zwei Elementen – Wort und Sakrament – aufbaue, sondern zusätzlich die Disziplin der "Zucht" kenne. Darunter versteht er Strukturen, nicht nur von Gemeinden, sondern auch durch kleine Gemeinschaften innerhalb der Gemeinde. Es gab Ansätze dazu in der Reformationszeit und Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Bei den Baptisten sieht Hammann eine solche Tendenz zu stärkerer Struktur, was er als "Disziplinierung" bezeichnet. Frère Roger beschrieb es 1965 in "Das Unverhoffte leben" so, dass es in den schwierigsten Perioden der Menschheit kleine Gruppen von Frauen und Männer gab, die "es vermochten, den Lauf der Geschichte zu ändern, weil sie hofften gegen alle Hoffnung".

Und die Jugendlichen selbst?

Teilnehmende Jugendliche boten selbst Arbeitsgruppen zu ihnen relevanten Themen an wie: – Eine Theologie der "Geburtlichkeit" (in Bezug auf die feministische Theologin Ina Praetorius); – ein christliches Engagement zu Gerechtigkeit und Frieden im afrikanischen Kontext, da der christliche Glaube vor allem auf Arme ausgerichtet sei; – Südafrika: Hoffnung bringen, ringen mit Hoffnung. Wie ist eine gewaltfreie Bewegung zu führen inmitten von Ungerechtigkeit? – Wollen, sollen, können wir gemeinsam Abendmahl feiern?, und schliesslich: – Interkommunion, theoretisch? Einheit im Glauben vor einem gemeinsamen Kelch? Diese Breite der Fragen und Ansätze lässt auf eine intensive Vertiefung hoffen. Der Welsche Frère Pierre Yves Emery verglich als reformierter Theologe im Gespräch den Zeitpunkt für die ökumenische "Ernte" mit einem Erdbeerfeld: Anders als bei der Getreideernte, für welche der Zeitpunkt leicht zu bestimmen sei, liesse es der ungleiche Reifeprozess der Erdbeeren nicht zu, alle auf einmal zu ernten. Vielmehr gehe es darum, wahrzunehmen, wo und wann sie zum Pflücken reif seien. Werde dieser Zeitpunkt verpasst, lassen die heiklen Erdbeeren keine Ernte mehr zu. Anhand dieses Bildes sprach er aktuelle Beispiele an, wo seiner Einschätzung nach der richtige Zeitpunkt der Ernte verstrich.

 

 

Esther R. Suter

Esther R. Suter

Die evangelisch-reformierte Theologin und Pfarrerin Esther R. Suter ist Fachjournalistin SFJ/ASJ und engagiert sich bei UN Geneva als NGO-Representative for International Alliance of Women, bei UN New York als NGO-Representative for International Association for Religious Freedom und ist Vize-Präsidentin der International Association of Liberal Religious Women.