Symbol schöpferischer Freiheitsgeschichte

Die anglikanische Gemeinschaft und die altorientalischen Kirchen plädieren dafür, dass in der Liturgie künftig das Filioque im grossen Glaubensbekenntnis weggelassen wird. Wie ist dies zu werten?

Das Filioque aus dem Glaubensbekenntnis der Liturgie streichen? Die Brisanz dieses Vorschlags der anglikanischen Gemeinschaft und der altorientalischen Kirchen (die sich auf die drei ersten Ökumenischen Konzilien 325, 381 und 431 beziehen) liegt in der Bedeutung des Nizäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses als gemeinsamer Grundlage quasi der gesamten Christenheit. Doch entspricht das wirklich unserer Erfahrung? Dieses Bekenntnis ist im deutschen Sprachraum fast völlig aus den katholischen Gottesdiensten verschwunden, ersetzt durch das kürzere Apostolische Glaubensbekenntnis oder einfach durch ein Lied. Gleichzeitig bekräftigt der Schweizerische Evangelische Kirchenbund in seiner neuen Verfassung neu den Bezug zu den altkirchlichen Glaubensbekenntnissen. Die Ostkirchen beten das Bekenntnis von 381 nicht nur in jeder Liturgie, sondern es gehört zu den Gebeten, die von der gesamten Gemeinde gesungen werden, noch dazu während der Wandlung, also gleichsam als Hochgebet der Laien. Ist das Filioque eine Gewohnheit, von der man sich mit einiger Überwindung auch verabschieden kann, wenn andere daran Anstoss nehmen?

Ein kurzer geschichtlicher Rückblick

Der Ausdruck ging aus dem Kampf gegen die Nachwirkungen des Arianismus hervor, der Gottes Sohn zwar als das erste aller Geschöpfe, aber nicht als «gleichen Wesens mit dem Vater» (homoousios) anerkannte. Die Beteiligung des Sohnes am innergöttlichen Hervorgang des Geistes unterstrich die volle göttliche Natur Jesu Christi. Karl der Grosse, der seinem Reich eine einheitliche Glaubensgrundlage geben wollte, liess durch eine Synode in Aachen 809 daher das Filioque in das Glaubensbekenntnis einfügen. In der Ostkirche wurde und wird bis heute diese Entwicklung aus zwei verschiedenen Gründen nicht gebilligt, ja zum Teil als Ausdruck einer Spaltung im Glauben betrachtet:

  1. Die Entscheidung eines Ökumenischen Konzils kann nur durch ein neues Ökumenisches Konzil im Einvernehmen mit der ganzen Kirche abgewandelt werden.
  2. Das Filioque ist aus inhaltlichen Gründen zu verwerfen, denn a) entspricht es nicht der biblischen Aussage (vgl. Joh 15,26: «der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht») und b) erweckt es den Eindruck von zwei Prinzipien in Gott und widerspricht auf diese Weise der «Monarchie» des Vaters, der als alleiniger Ursprung zu verehren ist.

Der erste Teil des Arguments ist sehr ernst zu nehmen. Papst Leo III. liess als Reaktion auf die Entscheidung Karls des Grossen 810 das Glaubensbekenntnis auf Latein und Griechisch ohne das Filioque auf silberne Tafeln einprägen und in der Peterskirche anbringen. Auch heute verwendet der Papst immer dann, wenn er mit Vertretern der Ostkirche gemeinsam betet, das Glaubensbekenntnis ohne Zusatz. In den Gebet- büchern für die Europäische Ökumenische Versammlung «Frieden in Gerechtigkeit» in Basel 1989 wurde das Credo in der Konzilsfassung aufgenommen – nur im deutschen Text war das Filioque versehentlich stehen geblieben. Eine grosse Schar von freiwilligen (katholischen!) Helfern arbeitete einen ganzen Tag lang, um den deutschen Zusatz 5000 Mal säuberlich zu streichen.

Inhaltlich weitgehende Einigungen

Schwieriger ist die inhaltliche Frage, die seit Jahrhunderten immer neu diskutiert wird. Nicht zuletzt spielen dabei Übersetzungsprobleme zwischen dem griechischen und dem lateinischen Wortlaut eine Rolle. Inzwischen stellte sich eine weitgehende Einigung ein:

  1. Im Rahmen der Heilsgeschichte ist es unstrittig, dass der Sohn an der Sendung des Heiligen Geistes beteiligt ist: «Ich werde ihn [den Geist] zu euch senden» (Joh 16,7), sagt Jesus. In Joh 19,30 heisst es von Jesus: tradidit spiritum – «er gab den Geist auf», d. h., er starb, zugleich aber «übergab er den Geist», der als Geist der Liebe zu seinem Vater aufgrund der Treue Jesu bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz, nun auch durch sein Menschsein vollendet hervorgebracht ist.
  2. Auch im Osten billigt die Theologie dem ewigen Sohn eine gewisse Beteiligung am Hervorgang des Geistes zu, etwa in Aussagen wie «der Geist geht hervor durch den Sohn» oder «er ruht auf dem Sohn».
  3. Die katholische Seite will mit dem Filioque keinesfalls Gott Vater als alleinige Quelle des göttlichen Lebens infrage stellen. So verabschiedete es das Unionskonzil von Florenz – das leider später keine Rezeption fand – mit Billigung der ostkirchlichen Konzilsväter der anwesenden Ostkirchen: «Und weil der Vater selbst alles, was des Vaters ist, seinem einziggeborenen Sohn in der Zeugung gab, ausser dem Vatersein, hat der Sohn selbst eben dieses, dass der Heilige Geist aus dem Sohn hervorgeht, von Ewigkeit her vom Vater, von dem er auch von Ewigkeit her gezeugt ist» (DH 1301).

Blosses Streichen ist keine Lösung

Die offene Frage liegt also allein darin, ob das heilsgeschichtliche Filioque Ausdruck der ewigen innertrinitarischen Beziehung des Sohnes zum Geist ist. Über diese Frage gehen die anglikanischen Gesprächspartner allzu leichtfertig hinweg, indem sie das Filioque ausschliesslich auf die zeitliche Sendung des Geistes durch den Menschgewordenen beziehen.
Was steht für den Glauben auf dem Spiel? Die Formulierung des Konzils von Florenz lässt es erahnen: Die ostkirchliche Theologie betont die Ursprungsbewegung im Vater, und so werden der Sohn, der Geist und auch die Schöpfung vorrangig als Empfänger der göttlichen Gabe dargestellt. Demgegenüber benennt die westliche Tradition eine ohne Verminderung fortgesetzte Bewegung: Gott der Vater gibt nicht nur – Gott gibt die Fähigkeit zu geben! Gott der Vater bringt nicht nur hervor – Gott schenkt Anteil an seiner Kreativität! Man könnte die These wagen: Im Filioque fand die ganze schöpferische Freiheitsgeschichte der westlichen Zivilisation ihr Symbol, aber auch ihr bleibendes Kriterium. Eine «Ökonomie» ohne Rückbindung an die trinitarische Urbewegung der Liebe wird gottlos (Westen) oder unwirksam (Osten). Die Trennung zwischen dem innergöttlichen Leben (Theologia) und der Heilsgeschichte (Oikonomia) führt tendenziell zur Säkularisierung und Moralisierung der christlichen Lebensform. Das blosse Streichen des Filioque ist kein ökumenischer Fortschritt, solange die lebensgestaltende Kraft in der Formulierung nicht freigesetzt ist. Mit dieser Aufgabe lässt das neue Einigungsdokument uns allein.

Barbara Hallensleben

 

Anglikanische Gemeinschaft und altorientalische Kirchen
Die Internationale Anglikanisch – Orientalisch-orthodoxe Gesprächskommission veröffentlichte während ihrer Jahressitzung im Libanon im Oktober 2018 ein bereits 2017 abgeschlossenes Dokument unter dem Titel «Hervorgang und Wirken des Heiligen Geistes» (The Procession and Work of the Holy Spirit). Darin wird die Verbindlichkeit des Glaubensbekenntnisses des Konzils von Konstantinopel 381 betont. Gemäss dem damals verabschiedeten Bekenntnis geht der Heilige Geist «vom Vater» aus, während die später im Westen hinzugefügte Ergänzung «und vom Sohn» (filioque) fehlt. Auf orthodoxer Seite nahmen die Koptische, die Syrische, die Armenische und die Indische (Malankara-Orthodoxe) Kirche teil. Der Text ist online auf Englisch zugänglich unter: www.anglicancommunion.org


Barbara Hallensleben

Prof. Dr. Barbara Hallensleben (Jg. 1957) ist Professorin für Dogmatik und Theologie der Ökumene an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg i.Ü. Sie ist Direktorin des Zentrums St. Nikolaus für das Studium der Ostkirchen und Mitglied der Gemeinsamen Internationalen Kommission für den theologischen Dialog zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirche.