Stichwort Bettag

Ein Tag für die Solidarität: Der Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag

Soziale und politische Verantwortung der Kirchen

Vor 50 Jahren bekannte sich die römisch-katholische Kirche in der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" zu ihrer eigenen Verantwortung in den brennenden Fragen der Menschheit. Tatsächlich zeichnen sich die Kirchen in einer Zeit privatisierter Religiosität dadurch aus, dass sie als institutionalisierte Religion in sozialen und politischen Fragen gemeinschaftlich und wirksam handeln können. Wie wichtig dieses Potenzial ist, zeigt die kritische Frage des Soziologen Ulrich Beck: "Wie können die Fallen der Privatisierung der Religion vermieden und öffentliche Formen religiöser Praktiken ermöglicht und entfaltet werden, die eine gesellschaftlich aktive Rolle, und zwar sozial und politisch, im Kampf gegen die ungerechte und sich selbst bedrohende Zivilisation einnehmen?"1

Die gesellschaftlich aktive Rolle der Kirchen findet am Eidgenössischen Dank,- Buss- und Bettag einen geistlichen Ausdruck. Christen und Christinnen engagieren sich nicht nur in Wort und Tat, sie treten auch betend für die Gesellschaft und die Menschheit ein. Zugleich werden sie durch den Bettag an ihre Verantwortung erinnert. Wer in gottesdienstlichen Vollzügen für die Anliegen von Frieden und Gerechtigkeit eintritt, kann sich im politischen Alltag der Solidarität mit von Krieg und Ungerechtigkeit betroffenen Menschen nicht verweigern. In diesen Anliegen stehen die Kirchen nicht allein. Charakteristisch für den Eidgenössischen Bettag ist einerseits die staatlich-kirchliche Verfasstheit dieses Tages, andererseits die interkonfessionelle und inzwischen interreligiöse Durchführung.

Staatliche Trägerschaft und gesamtgesellschaftliche Relevanz

Der Bettag ist "eidgenössisch", also eine Einrichtung, die gesamtgesellschaftliche Bedeutung hat. Die Wurzeln dafür liegen in einem vorsäkularen Selbstverständnis der Obrigkeiten, die bis in die Neuzeit hinein Verantwortung für die Belange der Religion übernahmen und in Krisenzeiten Gebetsriten anordneten. In der Schweiz vereinbarten die regionalen Obrigkeiten im 15. Jahrhundert zu besonderen Anlässen an den Tagsatzungen auch überregionale Gebetsvollzüge. Nach der Reformation traten die Konferenzen der katholischen bzw. der reformierten Orte in diese koordinierende Funktion ein, bis nach dem ersten überkonfessionellen eidgenössischen Bettag am 16. März 1794 wiederum die Tagsatzung 1796 daraus eine dauernde Einrichtung machte und 1832 über einen konstanten Zeitansatz entschied, der bis heute Geltung hat. Abgesehen vom Zeitansatz lag die obrigkeitliche Verantwortung bei den kantonalen Regierungen und äusserte sich traditionell in organisatorischen Anweisungen (z. B. Arbeitsverbot, Schliessung von Wirtshäusern oder Tanzverbot) und in Bettagsmandaten mit Intentionen und Ermahnungen.

Auch nach der (positiv zu wertenden) mühevollen Ausdifferenzierung von Staat und Kirche sind die Religionen für den Staat nicht irrelevant. Dieser kann z. B. die Leistung der Religionen im humanitären und religiösen Bereich fördern. Das staatliche Engagement beim Eidgenössischen Bettag geht darüber noch hinaus: Einige kantonale Regierungen (so in AG, GR, LU, OW, VD) bringen sich durch ein Mandat aktiv in den Eidgenössischen Bettag ein. 2011 und 2013 unterstützten Schweizer Parlamentarier mit einem überkonfessionellen und überparteilichen Aufruf die Bettagsfeier. Der Staat kann und darf keine christlichen Gottesdienste mehr verordnen; er kann sich aber durchaus in der Trägerschaft eines Tages engagieren, an dem Bürger und Bürgerinnen sich auf ihre gesellschaftliche Verantwortung besinnen und dafür die ihnen persönlich richtig scheinenden Formen wählen.

Konfessionelle und religiöse Grenzen überschreiten

Für die politische und gesellschaftliche Akzeptanz ist es bedeutsam, die Bettagstraditionen in aktualisierter Weise zu pflegen. Hier sind die Kirchen in zweifacher Weise gefragt. Nach innen hin sollten sie ihre eigene Praxis lebendig weiterführen. Deswegen ist es bedauerlich, dass katholischerseits die Bischöfe 2011 nicht nur das Konzept ihrer seit 1889 üblichen gemeinsamen Bettags-Hirtenbriefe revidierten, sondern gänzlich auf ein Votum zum Bettag verzichteten. Nach aussen hin sollten die Kirchen mitwirken, damit nach den konfessionellen auch die christlichen Grenzen überschritten werden können. Für die interreligiöse Öffnung trat zuerst die Israelitische Kultusgemeinde Bern ein: Sie entschied 1924 von sich aus, den Bettag zu begehen. Diese Initiative wurde indes damals von den traditionellen Trägern des Bettags nicht integrierend aufgenommen.2 1991 wurde zur 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft eine interreligiöse Bettagsfeier auf dem Landenberg in Sarnen durchgeführt, an der Juden und Muslime teilnahmen. Heute zeichnen sich insbesondere die Kantone Luzern und St. Gallen durch interreligiöse Bettagsinitiativen aus. Noch weiter ist auszugreifen, um "alle Menschen guten Willens" einzuladen, sich anlässlich des Bettags zusammen mit den Angehörigen der Religionen der Grundlagen gesellschaftlicher Verantwortung und Solidarität zu vergewissern.

1 Ulrich Beck: Der eigene Gott. Von der Friedensfähigkeit und dem Gewaltpotenzial der Religionen. Frankfurt/M-Leipzig 2008, 174.

2 Vgl. Zsolt Keller: Der Eidgenössische Bettag als Plattform nationaler Identität der jüdischen und katholischen Schweizer, in: Urs Altermatt (Hrsg.): Katholische Denk- und Lebenswelten. Beiträge zur Kultur- und Sozialgeschichte des Schweizer Katholizismus im 20. Jahrhundert. Fribourg 2003, 135–150.

3 Ein ausführlicherer Artikel der Autorin zum Bettag erscheint in: Magdalene L. Frettlöh / Frank Mathwig / Matthias Zeindler (Hrsg.): "In Deiner Hand meine Zeiten ..." Das Kirchenjahr in reformierter Perspektive mit ökumenischen Akzenten. Zürich 2015.

 

Eva-Maria Faber

Eva-Maria Faber

Prof. Dr. Eva-Maria Faber ist Ordentliche Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Theologischen Hochschule Chur