Staatliche Förderung versus freie Wirtschaft

Sind Netto-Null-CO2-Emissionen bis 2040 bzw. 2050 zu erreichen? Ist das neue CO2-Gesetz ein realistischer Weg für eine klimaneutrale Schweiz? Christine Badertscher (GP) und Monika Rüegger (SVP) beziehen Stellung.

Christine Badertscher (Jg. 1982, links) studierte nach einem längeren Aufenthalt in Kamerun Umweltingenieur und Agrarwissenschaft. Sie arbeitete beim Schweizer Bauernverband und anschliessend bei Swissaid. Seit 2019 ist sie Nationalrätin der Grünen Partei des Kanton Berns. Monika Rüegger (Jg. 1968) ist eidgenössisch diplomierte Metallbauplanerin und seit 2019 für die Schweizerische Volkspartei des Kanton Obwaldens im Nationalrat.


Pro Netto-Null-CO2-Emissionen - Christine Badertscher:

«Ab 2040 kann mit technischer Unterstützung eine klimapositive Schweiz erreicht werden.»

Der Schweiz kommt als wohlhabendes Industrieland eine grosse, solidarische Verantwortung zu. Denn der Wohlstand basiert zu einem grossen Teil auf einer Industrie, deren Fundament fossile Energieträger sind und die zu viele Ressourcen verbraucht. Ein Blick auf den ökologischen Fussabdruck zeigt, dass pro Kopf jener der Schweiz um ein Vielfaches grösser ist als jener der meisten Länder des globalen Südens. Die Folgen tragen alle, wobei es die vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen massiv stärker trifft. Um die Umwelt zu schützen und die besonders betroffenen Menschen nicht im Stich zu lassen, braucht es momentan vor allem finanzielle Mittel. Entsprechend gilt es die vorhandenen Ressourcen klimaverträglicher einzusetzen, Klimaprojekte zu fördern und den Schweizer Finanzplatz zu einer nachhaltigeren Investitionspolitik zu bewegen.

Wo wir bis 2040 stehen müssen

Die Lage ist ernst, das scheint den meisten meiner Ratskolleginnen und -kollegen klar zu sein. Doch die Unterschiede bei den Umsetzungsansätzen der Klimaziele sind weiterhin gross. Für mich stellt eine klimaneutrale Schweiz nur ein Zwischenziel dar. Dieses kann und muss bis 2030 mit einer Reduktion der Emissionen im In- und Ausland um 50 Prozent erreicht werden. Ab 2040 kann mit der Unterstützung von natürlichen und technischen Lösungen eine klimapositive Schweiz erreicht werden.

Ansatzpunkte gibt es überall

Die Klimazielsetzungen sind hoch – und sie müssen es auch sein. Um diese zu erreichen, muss an unterschiedlichen Schrauben gedreht werden: Wir müssen von Ölheizungen wegkommen und Geld in Fernwärmenetze investieren, den individuellen Verkehr deutlich reduzieren und auf elektrische Energie setzen, Abfallmengen reduzieren und die dadurch gewonnene Wärme besser nutzen, die Landwirtschaft biologischer und nachhaltiger ausrichten sowie auch die importierten Emissionen durch Regelungen, wie Nachhaltigkeitsrichtlinien, stark senken. Die Schweiz muss gemäss dem Pariser Klimaabkommen einen jährlichen Beitrag entsprechend ihrer Klimaverantwortung und wirtschaftlichen Kraft an den jährlich 100 Mrd. US-Dollar grossen Finanztopf leisten. Gemäss Berechnungen von Alliance Sud sollte sich der Schweizer Beitrag auf rund 1 Mrd. pro Jahr belaufen. Das Parlament will nur rund die Hälfte ausgeben und anstatt zusätzlichen Geldes, bestehende Mittel der Entwicklungszusammenarbeit dafür verwenden. Dieses Handeln verkennt die auf unterschiedlichste Arten auftretende Not im globalen Süden und spielt unterschiedliche Ansätze der Entwicklungszusammenarbeit gegeneinander aus.

Einen ersten Etappensieg

Ein erster, wichtiger Schritt steht dieses Jahr an: Das von Bundesrat und Parlament ausgearbeitete CO2-Gesetz kommt vors Volk. Von der Gegnerschaft wird behauptet, dass die Lenkungsabgaben hohe Kosten verursachen und insbesondere den ländlichen Raum treffen werden. Die Idee des überarbeiteten Gesetzes ist vielmehr, dass vor allem wohlhabende Personen mit einem hohen Energieverbrauch mehr bezahlen müssen. Zudem werden mit diesem Gesetz zwei Drittel der CO2-Abgabe sowie mehr als die Hälfte der Flugticketabgabe an die Bevölkerung und die Wirtschaft zurückverteilt.

Die von der Gegnerschaft wiederholte Argumentation – die teilweise gar den Klimawandel generell in Frage stellt – hat uns nur vor einen immer grösser werdenden Berg an Problemen gebracht. Diesen müssen wir nun abtragen. Der Klimawandel kennt keine Grenzen – ein Ja der Schweizer Bevölkerung zum CO2-Gesetz wird ein grünes Zeichen an die Weltgemeinschaft senden.


 

Kontra Netto-Null-CO2-Emissionen - Monika Rüegger:

«Netto Null bis 2050 in der Schweiz hat auf das Weltklima kaum eine Auswirkung.»

Für die Klimaaktivisten herrscht Klimanotstand. Für die Mehrheit der Politikerinnen und Politiker unter der Bundeskuppel erreichen wir die «Klimarettung» nur über eine CO2-Steuer auf Benzin, Diesel und Heizöl. Doch welcher Weg bringt den effektivsten Nutzen? Was ist der Bevölkerung zumutbar? Braucht es eine gesetzlich verordnete Verteuerung der Energie, um den CO2-Ausstoss der Schweiz zu verringern? Ist Planwirtschaft der richtige Weg?

Das neue CO2-Gesetz kostet sehr viel

Das neue CO2-Gesetz verteuert u. a. Heizöl und Gas und mit einer Erhöhung von 12 Rappen auf Benzin und Diesel will es die individuelle Mobilität einschränken. Die in den Städten und Agglomerationen wohnhafte Bevölkerung, die den ÖV direkt vor der Haustüre hat, wird das weniger spüren. Das Gesetz bestraft faktisch die arbeitende Bevölkerung in den Landregionen, die auf ein Auto, Transportfahrzeuge und Landmaschinen angewiesen sind. Mit dem neuen Gesetz steigen die Anforderungen an Gebäudetechnik und Wärmeisolation, was höhere Kosten verursacht. Und natürlich werden die Unternehmen die höheren Transport- und Produktionskosten auf die Konsumentinnen und Konsumenten überwälzen. Alle CO2-Mehrkosten summieren sich für eine vierköpfige Familie pro Jahr auf geschätzte 1500 Franken. Mindestens.

Das CO2-Gesetz ist wirtschaftsschädigend

Die Herstellung täglicher Konsumgüter wird unweigerlich ins Ausland verlegt – dort lässt es sich günstiger produzieren. Aber nicht unbedingt klimafreundlicher. Hierzulande soll die Bevölkerung umerzogen werden, indem man den Konsum staatlich steuert. Abgaben und Bussgelder fliessen in einen Klimafonds und werden von dort umverteilt. Aus diesem Fonds zweigt der Staat jährlich mindestens 1 Mrd. für (allerdings undefinierte!) Klimaprojekte ab. Der Klimafonds schafft neue staatsabhängige Profiteure.

Der Strom wird fehlen

Mit der Reduktion der fossilen Energie und dem Ausstieg aus der CO2-neutralen Kernkraft wird die Stromproduktion in Westeuropa knapp. Um das heutige Niveau halten zu können, müssten bis nach 2040 geschätzte 65 Prozent der heutigen Stromproduktion anders gewonnen werden. Wo und wie, das weiss aktuell niemand. Es gilt das Prinzip Hoffnung. Wir werden in den Wintermonaten voraussichtlich zu wenig Strom haben.

Netto Null bis 2050 ist engsichtig

Der jährliche CO2-Ausstoss der Schweiz kommt 0,1 Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses gleich und entspricht dem Ausstoss eines halben Tages in China! Trotz der Zuwanderung in unser Land von einer Million Einwohnern in zwölf Jahren konnte die Schweiz den Pro-Kopf-Treibhausgasausstoss in den letzten zehn Jahren um 14 Prozent reduzieren. Eine hervorragende Entwicklung! Dieser Wert betrug z. B. 2018 noch 4,3 Tonnen, in Deutschland 9 Tonnen und in Österreich 7 Tonnen pro Kopf. Dies zeigt: Ob die Schweiz ihren Verbrauch um 20, 50 oder 80 Prozent senkt und die Netto Null bis 2050 anstrebt, hat auf das Weltklima kaum eine Auswirkung.

Gibt es Alternativen?

Der zielgerichtetste Weg zu einem wertvollen Beitrag zum weltweiten Klimaschutz liegt in der Kombination von liberaler Wirtschaftspolitik und innovativem Unternehmertum. Dies führt zur Entwicklung neuer, effizienter und umweltschonender Technologien. Der richtige Weg. Klimafreundlicher Fortschritt funktioniert nur in einer freien Marktwirtschaft, wo Wettbewerb, Angebot und Nachfrage spielen. Mit Schweizer Innovation und Technologien können wir den Entwicklungsstaaten effektiv helfen, deren CO2-Bilanzen zu reduzieren.