Es besteht noch Hoffnung

Die menschengemachten Ursachen und lebensfeindlichen Folgen der globalen Erwärmung sind bekannt. Die Situation verlangt klimagerechtes Handeln und eine schnelle und effiziente Umsetzung der Klimaziele.

Im Jahr 2015 veröffentlichte Papst Franziskus seine bedeutsame Umwelt- und Sozialenzyklika Laudato si' (LS). Darin bezeichnet er den Klimawandel als «ein globales Problem mit schwerwiegenden Umwelt-Aspekten und ernsten sozialen, wirtschaftlichen, distributiven und politischen Dimensionen» und als «eine der wichtigsten aktuellen Herausforderungen an die Menschheit» (LS 25). Im gleichen Jahr beschloss die Weltklimakonferenz das Übereinkommen von Paris, den neuen, völkerrechtlich bindenden Klimavertrag, dem neben weiteren 189 Unterzeichnerstaaten auch die Schweiz beigetreten ist. Dieser Pakt sieht in der gegenwärtigen globalen Erwärmung eine «akute Bedrohung».

Sehen

Tatsächlich waren 2015 bis 2020 die sechs wärmsten Jahre und das vergangene Jahrzehnt die wärmste Dekade seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Das Jahr 2020 gehört mit den Jahren 2016 und 2019 zu den drei wärmsten, ja es ist vielleicht sogar das wärmste überhaupt, wie jüngst die Welt-Meteorologie-Organisation meldete. Dass der derzeitige Klimawandel menschengemacht ist, ist unter den Fachleuten aufgrund klarer Indizien Konsens. Die Hauptursachen sind die gigantischen Treibhausgas-Emissionen in Höhe von derzeit rund 50 Mrd. Tonnen Kohlenstoffdioxid- bzw. CO2-Äquivalenten pro Jahr sowie die grossräumige Vernichtung von Wäldern und anderen wichtigen Kohlenstoff-Senken. Die klimaschädlichen Gase stammen vor allem aus der Verbrennung fossiler Energieträger, weiterhin aus der industriellen Produktion, aus Müll, aus der Waldrodung sowie Wald- und Buschbränden, aus der industriellen Landwirtschaft und Tierhaltung sowie aus dem Wachstum der Weltbevölkerung in Verbindung mit dem Anstieg des Pro-Kopf-Verbrauchs an Energie und Ressourcen.

Die Folgen sind bekannt: Schon jetzt verletzt und tötet der Klimawandel durch extreme Wetterereignisse, die an Häufigkeit und/oder Intensität zunehmen: Stürme, Starkniederschläge und Hitze. Die Folgen sind Sturmfluten, Überschwemmungen, Dürren sowie Wald- und Buschbrände, die allesamt schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit, die Wasserversorgung und die Ernährung haben. Klimazonen verschieben sich, mit katastrophalen Konsequenzen für die Biodiversität. Ganze Ökosysteme brechen zusammen. Verschärfend kommt hinzu, dass Folgen des Klimawandels wieder zu Ursachen werden. Die Klimaforschung spricht von «positiven» Rückkopplungen oder Kippschaltern, die der Mensch im Klimasystem aktuell auslöst oder bald umlegen könnte. Hierzu zählt u. a. das Absinken der Albedo, also der Menge der von der Erde reflektierten Sonneneinstrahlung. Ursache ist das Abschmelzen von eis- und schneebedeckten Flächen. Dadurch werden Boden und Luft wärmer, weitere helle Flächen verschwinden, wodurch die Temperatur noch mehr steigt.

Urteilen

«Die gefährliche anthropogene Beeinflussung des Weltklimas», so die deutschen katholischen Bischöfe, «ist kein unabwendbares Schicksal, sondern eine massive Ungerechtigkeit, die bestehendes Unrecht noch verschärft». Dieser Zustand ist das Gegenteil von Klimagerechtigkeit. Was genau ist aber damit gemeint? Klimagerecht ist ein System, Zustand, Gesetz, eine Situation, Beziehung, Massnahme oder Handlung dann, wenn die berechtigten Ansprüche aller vom Klimawandel und seinen Folgen Betroffenen, also ihre Rechte, angemessen berücksichtigt werden. Wir schulden Gerechtigkeit nicht nur unseren Mitmenschen, sondern auch den kommenden Generationen und der Natur. Der Grund unserer Pflichten ist die gleiche, unantastbare Menschenwürde sowie die «Würde der Kreatur» (Art. 120 II). Die gravierendste Ungerechtigkeit ist die zwischen den Hauptverursachenden und den Hauptleidtragenden des Temperaturanstiegs:

  1. zwischen den Industrienationen, Schwellenländern und Eliten in den Entwicklungsländern einerseits sowie den armen Ländern andererseits,
  2. zwischen den Erwachsenen und den nachrückenden Generationen und
  3. zwischen der Menschheit und der Natur.

Eine weitere Ungerechtigkeit besteht darin, den Klimawandel selbst, die ursächliche Bedeutung der Treibhausgase und/oder die Verantwortung der Menschheit als Verursacherin der globalen Erwärmung zu leugnen oder zu verharmlosen. Eine weitere Ungerechtigkeit begehen all jene, die Massnahmen des Klimaschutzes aus Eigeninteresse blockieren oder abschwächen. Schon der Versuch verstösst gegen das Prinzip der Gerechtigkeit. Gesunde Skepsis ist eine wissenschaftliche Tugend. Wer aber wegen mangelnder Bereitschaft, sich bei geprüften Quellen zu informieren, wider besseres Wissen oder um rein egoistischer Ziele willen Zweifel an der Wissenschaftlichkeit der Klimaforschung, an der Glaubwürdigkeit der Fachleute und ihrer vielfach überprüften und abgesicherten Resultate sät, macht sich der Verschleierung bzw. Verharmlosung von klimabedingten Menschenrechtsverstössen und Angriffen gegen die Schöpfung schuldig. Es widerspricht der Klimagerechtigkeit, dass «insbesondere in den reichen Ländern – darunter die Schweiz – […] viele Menschen mit einem deutlich zu grossen ökologischen Fussabdruck» leben. Die Verursacher des Klimawandels sollten deshalb «ihre gemeinsame und individuelle Verantwortung anerkennen» sowie «arme Bevölkerungsgruppen und Länder bei der Anpassung an bereits nicht mehr vermeidbare Veränderungen finanziell» unterstützen, heisst es in der im November 2015 veröffentlichten gemeinsamen Stellungnahme der Kirchen in der Schweiz.

Handeln

Papst Franziskus fordert in diesem Sinne dazu auf, «Änderungen im Leben, in der Produktion und im Konsum vorzunehmen, um die […] Erwärmung oder zumindest die menschlichen Ursachen, die sie hervorrufen und verschärfen, zu bekämpfen» (LS 23). Im Übereinkommen von Paris verpflichtet sich die Völkergemeinschaft auf Netto-Null-Emissionen, d. h. darauf, «ein Gleichgewicht zwischen den anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen aus Quellen und dem Abbau solcher Gase durch Senken [z. B. Wälder] auf der Grundlage der Gerechtigkeit [...] herzustellen» (Art. 4 I). Am 9. Dezember 2020 hat die Eidgenossenschaft ihre verbesserten national festgelegten Beiträge unter dem Pariser Klimavertrag (nationally determined contributions, NDC) für den Zeitraum 2021 bis 2030 vorgelegt: «Angesichts des Ziels der Klimaneutralität bis 2050 besagt das Schweizer NDC, die Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber 1990 um mindestens 50 Prozent zu senken.» Alle bislang von den Vertragsstaaten des Pariser Übereinkommens eingereichten NDCs werden aber nicht ausreichen, um den Anstieg der globalen Temperatur unter den vereinbarten 1,5 Grad Celsius zu halten, zumal schon jetzt ein Anstieg von einem Grad zu beklagen ist. «Mit den aktuellen, auf Paris zurückgehenden Klimaplänen der Länder wird es im Jahr 2100 um 2,6 Grad wärmer sein als vor der industriellen Revolution», so Christian Mihatsch im Onlinemagazin «klimareporter°». Im besten Fall steigt die globale Durchschnittstemperatur «nur» um 2,1 Grad, im schlechtesten um 3,3 Grad, was im ersten Fall gefährlich, im zweiten katastrophal wäre. Zwar streben inzwischen 127 Staaten, die für zwei Drittel der Emissionen verantwortlich sind, das Netto-Null-Ziel an. Darunter ist auch die Schweiz. Von entscheidender Bedeutung ist es jedoch, die NDC-Ziele für 2030 zu verschärfen und ihre politische Umsetzung zu beschleunigen, um sicherzustellen, dass die langfristigen Ziele auch erreicht werden können. «Steilere Emissionsminderungen in den nächsten fünf bis zehn Jahren sind unverzichtbar», folgert der Climate Action Tracker im Dezember 2020.  

In der Pandemie hat sich gezeigt, dass die Politik handlungsfähig ist und das Notwendige rasch auf den Weg bringen kann. Für die Bewältigung der Klimakrise macht dies ebenso Mut wie die nicht nachlassenden Anstrengungen der Fridays- for-Future-Bewegung. Der Kairos für die grosse Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung einer starken Nachhaltigkeit und eines ambitionierten Klimaschutzes ist da. Wird die Krise der globalen Erwärmung endlich als solche erkannt und ernstgenommen, so ist noch Hoffnung. «Wir wissen, dass sich die Dinge ändern können», ruft uns der Papst zu (LS 13). Noch sei der Mensch fähig, den eingeschlagenen Weg zu verlassen und positiv einzuschreiten (vgl. LS 58, vgl. 61, 205); «das Unrecht (ist) nicht unbesiegbar» (LS 74). Aber, machen wir uns nichts vor: «Das gesamte System» muss «überprüft und reformiert» werden (LS 189). Mehr noch, so Franziskus: Wir brauchen dringend eine «mutige kulturelle Revolution» (LS 114).

Andreas Lienkamp


Andreas Lienkamp

Prof. Dr. Andreas Lienkamp (Jg. 1962) studierte katholische Theologie und Sozialwissenschaften in Münster. Er habilitierte zum Thema «Klimawandel und Gerechtigkeit – Eine Ethik der Nachhaltigkeit in christlicher Perspektive». Er ist seit 2011 Professor für Christliche Sozialwissenschaften am Institut für Katholische Theologie der Universität Osnabrück.

 

BONUS

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