«St. Gallen gäbe es nicht ohne die Bibel»

Für Bischof Markus Büchel von St. Gallen war die Übergabe der Coronabibel an die Stiftsbibliothek ein ganz besonderes Ereignis.

Die St. Galler Coronabibel auf dem Altar in der Kathedrale St. Gallen. (Bild: Roman Rieger, St. Gallen)

 

Mitte März war Abgabetermin dieser Zeilen für die SKZ – ohne vorgegebenes Thema. Es blieb die Qual der Wahl aus den vielen Ereignissen, die mir durch den Kopf gingen. Erfahrungen mit jungen Menschen bei Firmungen am Laetaresonntag, Passionszeit und Ostern vor der Tür, Bischofsweihe in Chur am Josefstag, Veränderungen in der Bischofskonferenz – und über allem immer noch die Coronasituation. Alles Themen, die viel zu denken und zu schreiben geben. Ich entscheide mich für die Übergabefeier der St. Galler Coronabibel an unsere Stiftsbibliothek.

Die Coronabibel ist ein mutiges ökumenisches Werk. Während eines ganzen Jahres haben Männer, Frauen und Kinder Bibeltexte handschriftlich abgeschrieben, kommentiert und illustriert – ganz in der alten Klostertradition, wie sie von den Benediktinermönchen in St. Gallen gepflegt wurde. Wer abschreibt und gestaltet, verinnerlicht und meditiert einen Text Wort für Wort. Vorgegebene Sätze werden zum persönlichen Text. Überlieferte Glaubenserfahrungen biblischer Zeugen erhellen eigene Erfahrungen, deuten sie, werden zur Kraftquelle und zum Gebet. Viele, die sich darangewagt haben, durften dies neu entdecken. Sie durften erfahren, dass in der schwierigen Coronazeit das Motto des ganzen Projektes trägt: «Dein Wort, ein Licht auf unseren Wegen.» Sie durften sich in allem Abstandnehmen und in den eingeschränkten Begegnungsmöglichkeiten zur «St. Galler-Coronabibel»-Community zählen und aus dieser Verbundenheit Kraft schöpfen. Wunderbar, was in einer belasteten Zeit neu aufblühen kann! Ich berichte über dieses eine Beispiel.

Hundert-, ja tausendfach wären alle Berichte aus Pfarreien und Gemeinden über die vielfältigen Erfahrungen und Projekte in den besonderen pastoralen Herausforderungen der letzten Monate. Stellvertretend für alle wurde die Coronabibel als siebenbändiges Werk der Stiftsbibliothek übergeben. Dort gehört sie hin. Dort reiht sie sich als Zeitzeugin ein in die eindrückliche St. Galler-Geschichte. Der Stiftsbibliothekar sagte bei der Entgegennahme einen denkwürdigen Satz: «Ohne Bibel gäbe es St. Gallen gar nicht, [...] ohne Bibel wären weder Kolumban noch Gallus in Irland aufgebrochen auf den Kontinent [...] und als Gallus hier im Wald stolperte, zitierte er gemäss der Überlieferung zuerst die Bibel mit dem Psalmvers ‹Haec requies mea in saeculum saeculi – hier soll meine Ruhestätte sein in Ewigkeit.›»

In den frühmittelalterlichen Klöstern war seit dem 4. Jahrhundert die Beschäftigung mit der Heiligen Schrift zentral. So darf sich unsere Stiftsbibliothek rühmen, wichtige Handschriften für die Bibelüberlieferung aufzubewahren, wie etwa  Vulgata-Fragmente aus dem 5. Jahrhundert und aus der Zeit um 800 die älteste Bibel in einem Band, die der Gelehrte Alkuin für Karl den Grossen zusammenstellte und die im ganzen Reich verbreitet wurde.

Diese Überlieferungsgeschichte mit Zeitzeugen aus allen Jahrhunderten wird jetzt fortgesetzt und neu dokumentiert mit der Coronabibel aus dem Jahr 2020. Die Nachwelt soll erfahren, dass wir im vergangenen Jahr im Kampf gegen das Virus unser wichtigstes Buch Westeuropas nicht vergessen haben und aus seiner Botschaft Hoffnung und Trost schöpften. Dass die Coronabibel ein Zeugnis für unser gemeinsames ökumenisches Zusammenstehen wurde, freut mich ganz besonders.

+ Markus Büchel, Bischof von St. Gallen

 

Weblink zur Coronabibel: www.coronabibel.ch

Markus Büchel

Bischof Markus Büchel

Bischof Markus Büchel (Jg. 1949) empfing am 3. April 1976 die Priesterweihe in Rüthi. Nach zwei Vikarstellen in der Stadt St. Gallen übernahm er 1988 das Amt des Pfarrers in Flawil. 1995 wurde er in St. Gallen zum Bischofsvikar und Kanonikus ernannt, wo er u.a. ab 1999 als Domdekan (Vorsteher des Domkapitels) wirkte. Am 4. Juli 2006 wurde er zum Bischof von St. Gallen gewählt. Zudem ist er Apostolischer Administrator der beiden Appenzell.