Spiritualität im Religionsunterricht

Die Frage, ob die Persönlichkeit der Lehrperson Auswirkungen auf den Unterricht hat, wurde schon oft gestellt. Wie steht es aber mit der Spiritualität im Religionsunterricht?

Persönliche Spiritualität und professionelles Handels bilden ein wechselseitiges Verhältnis. (Bild: Jeremy Yap)

 

«Katechetisch Tätige verfügen über eine christlich geprägte spirituelle Kompetenz. Sie erlaubt es, in unterschiedlichsten Situationen angemessen und authentisch auf Menschen einzugehen, Differenzen zu ertragen und gelegentlich auch Widersprüchliches zusammenzuführen.» So der Leitsatz 11, wie er im «Leitbild Katechese im Kulturwandel» zu lesen ist. Und im «Lehrplan für Religionsunterricht und Katechese» (LeRUKa) bekommt «Spiritualität» einen eigenen von sechs Kompetenzbereichen.

Dahinter verbirgt sich der Anspruch, dass Religionslehrpersonen und katechetisch Tätige einerseits über ein eigenes spirituelles Konzept verfügen, das aber mit der Heterogenität der Situationen in Verbindung steht, und dass andererseits die Fähigkeit der Differenzverträglichkeit oder Ambiguitätstoleranz zur Grundlage wird.

Die persönliche Spiritualität ist so verschieden, wie es die Menschen sind. Aber letztlich geht es wohl darum, dass man als Religionslehrperson, als Katechetin oder Katechet ein Bewusstsein entwickelt, dass die empirische Welt nicht abschliessend ist und Dimensionen, die diese Oberfläche übersteigen, im persönlichen Weltbild integriert sind und mit christlichen Reflexionen und Erfahrungen in Bezug stehen. Die Integration und die Bezugsetzung können über emotionale, intellektuelle oder auch kommunikative Erfahrungen und Deutungen geschehen (Mattes 2018).

Religiöses Tun

Blickt man auf Unterrichtsprozesse oder auf das katechetische Tun, erkennt man das Dreieck des zu eröffnenden Zugangs zu Religion, der Rolle als Lehrperson und der Adressaten, sprich Schülerinnen und Schüler oder Jugendliche. Der Zugang zu Religion und gelebtem religiösem Leben wird im LeRUKa durch einen kompetenzorientierten Ansatz ermöglicht. Kinder und Jugendliche sollen eigene Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickeln, eigene religiöse und auch christlich-ethische Vorstellungen und Bilder zu realisieren sowie die konkrete Glaubensgemeinschaft als fruchtbar und lebensbereichernd zu erfahren und zu gestalten und dabei die Beziehung zu einer christlich konnotierten Spiritualität zu leben. Diese Kompetenzorientierung ist mehr als die Vermittlung von «Wissen», sie will eine tätige und handlungsorientierte Haltung ermöglichen.

Rolle der Religionslehrperson

Es stellt sich die Frage, in welcher Form die Persönlichkeit – und damit integriert die persönliche Spiritualität – einer Religionslehrperson, einer Katechetin oder eines Katecheten auf solche kompetenzorientierte Prozesse Einfluss nimmt. Im Zusammenhang mit der Bedeutung der Persönlichkeit und dem damit erwarteten Gelingen von Unterricht gibt es eine lange bildungstheoretische Tradition (Leven 2019).

Ob nun die Persönlichkeit tatsächlich nachhaltig Wirkung zeigt, bleibt zwar umstritten, wird aber von vielen Religionspädagoginnen und Religionspädagogen vertreten (z. B. Pirner 2012). Die Plausibilität der Wirksamkeit des Persönlichkeitseinflusses scheint sich auch darin zu zeigen, dass das Bild von Religionsunterricht im Nachgang von vielen Erwachsenen eng mit einer bestimmten Religionslehrperson verbunden wird (u. a. Mendl 2006). Trotzdem hat sich das Konzept des «Glaubenszeugen christlich-dogmatisch begründeter Religiosität» überlebt. Man stellt fest, dass Religionslehrpersonen sich im Selbstbild sehr oft in den Kategorien von Toleranz, Offenheit und kritisch-konstruktiven oder auch kritisch-negativen Stellungnahmen zu traditionellen christlich-religiösen Glaubensaussagen und Glaubenszugängen verstehen (z. B. Jakobs u. a. 2009). Sie stellen sich gegen ein «Überwältigungsprinzip» und akzeptieren Kontroversität, also die Mehrdeutigkeit religiöser Zugänge zur Welt und zu Gott.

Ein Vorschlag für die Verwirklichung von professionellem Handeln kann durch vier Felder bestimmt werden: a) dem Vermitteln von Wissen, das zu einer kompetenzorientierten Anwendung bei den Kindern und Jugendlichen führen soll; b) dem Eröffnen von Erzähltraditionen als wichtige kulturelle-religiöse Narrative; c) dem Zugang zu einem christlichen Ethos im Kontext einer heterogenen, globalen Welt und d) der Möglichkeit des Raum-Schaffens für religiöse Erfahrungen. Die persönliche Spiritualität von Religionslehrpersonen und Katechetinnen resp. Katecheten kann dabei durchaus in den Hintergrund treten, wobei diese im doppelten Reflexionsprozess der eigenen Glaubenspraxis und des konkreten didaktischen Vorgehens indirekt für das Verständnis des eigenen professionellen Handelns mitintegriert bleiben kann (Leven 2019).

Spiritualität von Kindern und Jugendlichen

Dieses Selbstbild und das damit zusammenhängende professionelle Handeln bezieht sich auf die Voraussetzung, dass Kinder und Jugendliche ihre religiösen Vorstellungen und Glaubenswelten doch stark in primären und sekundären Sozialisationsräumen konstruieren, wobei ihre jeweiligen kognitiven Fähigkeiten in das individuelle Gottesverständnis integriert werden und sich die konkreten Erfahrungen mit der Welt und mit Beziehungspersonen in der persönlichen Gottesbeziehung manifestieren (Szagun 2014). Damit wird aktuell die lange Tradition strukturgenetischer Ansätze zur Entwicklung religiöser Bilder, konkret in der Entwicklung des persönlichen Gottesbildes, durch sozialkonstruktivistische und beziehungstheoretische Ansätze abgelöst.

Dabei bekommt die Spiritualität von Kindern und Jugendlichen eine besondere Bedeutung, findet diese in der je eigenen Persönlichkeit einen besonderen Ausdruck. Es scheint so, dass Kinder, ob religiös sozialisiert oder nicht, eine «Suche nach der Seele» in sich tragen und die daraus konstruierten Ideen und Werte nicht selten mit dem kosmischen Universum, mit der erfahrbaren Um-Welt und mit Beziehungserfahrungen verbunden werden. Die eigene Seele zu erforschen, ist selbst ein konstruktivistischer Prozess (Coles 1992). Spiritualität von Kindern wird von Erwachsenen oft als «Fantasie» gedeutet, aber letztlich erscheint eben die Spiritualität von Kindern und Jugendlichen als «Weltweisheit», als «Staunen über die Welt», «in der Beziehung vom ich und du», «im eigenen Nachdenken und Philosophieren» und «im Sehen des Unsichtbaren» (Hart 2007). Spannend dabei scheint die Rückwirkung auf die Religionslehrperson zu sein. Ist diese achtsam gegenüber der Landkarte der Spiritualität von Kindern und Jugendlichen, verändern sich nicht selten eigene Konzepte und spirituelle Handlungshorizonte (Hay/Nye 2006).

Perspektiven

Wie kann aus den oben rudimentär und facettenhaft dargestellten Zusammenhängen nun ein Fazit bezüglich «Spiritualität und Professionalität» gezogen werden? Festzustellen ist, dass geltende Grundlagen wie das Leitbild oder der LeRUKa die aktuellen entwicklungspsychologischen und religionspädagogischen Voraussetzungen der Kinder und Jugendlichen zum Ausgangspunkt nehmen. Die persönliche, entwickelte Spiritualität einer Religionslehrperson oder Katechetin resp. eines Katecheten soll dabei den Kindern und Jugendlichen nicht «übergestülpt» werden, jedoch als möglicher Kompass zur Verfügung stehen, wobei die Offenheit zur eigenen Veränderung mitintegriert bleibt. Wird diese persönliche Spiritualität in das professionelle Handeln eingebunden, kann sie wirksam im konstruktivistischen Geschehen bleiben. Es gibt viele Praktikerinnen und Praktiker, die davor jedoch Respekt haben. Genügt man den Anforderungen von aussen? Oder sieht man sich in der Antinomie1 von persönlicher Haltung und sozialer Wirklichkeit des Unterrichts? Vielleicht darf man etwas mehr Vertrauen in das Geschehen haben und ganz im Sinne einer Pädagogik der Resonanz Entwicklungen zulassen und die pädagogische Verortung, die durch den kompetenzorientierten Ansatz gestellt ist, kreativ werden lassen. Dazu trägt auch der Austausch unter den Praktikerinnen und Praktikern bei. In Teams und Fachgruppen den eigenen spirituellen Resonanzraum zu gestalten, ermöglicht, die spirituellen Voraussetzungen, Manifestationen und Wirkungen zu reflektieren, die sich in der Praxis anbahnen und zeigen.

Guido Estermann

 

1 Widerspruch eines Satzes in sich oder zweier Sätze, von denen jeder Gültigkeit beanspruchen kann.

 


Guido Estermann

Dr. Guido Estermann (Jg. 1967) ist Beauftragter für Pastoral des Generalvikars Zürich/Glarus.

 

BONUS

Folgende Bonusbeiträge stehen zur Verfügung:

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