Sorge tragen zu Seelsorgenden

Jean-Marie Vianney, Pfarrer von Ars, oder Don Camillo Valota, Namensgeber für die Filmfigur in «Don Camillo und Peppone» haben das Bild der Seelsorge ihrer Zeit geprägt. Heute sieht man in Seelsorgenden Menschen, die auch zu sich selber Sorge tragen müssen.

Frauen und Männer im Seelsorgedienst sind als Berufsleute gefordert, die bezogen auf ihr Arbeitsfeld ihre Kompetenzen fachlich, sozial und spirituell ausgestalten. Nach ihrer Ausbildung durchschreiten sie die Türen zur Praxis. Je nach eigenem Interesse lernten sie früher einige Facetten davon kennen. Nach dem ersten Praxis-Schock wird eine verständnisvolle Personalführung diesen auffangen helfen. Trifft das Gegenteil zu, kann die Motivation darunter leiden. Wenig hilfreich bleibt, sich mit Zweckoptimismus über Wasser zu halten. Dies vor Augen, helfen Mitarbeitergespräche, Bilanz zu ziehen. Schliesslich bietet das jährliche Förderungsgespräch Gelegenheit, das persönliche Profil anzuschauen und aus eigener Warte und der Wahrnehmung der Vorgesetzten die Kompetenzen zu diskutieren. Ihre weitere Ausgestaltung wird die Berufsmotivation stärken oder schwächen.

Kompetenzen ausgestalten

Wer über lange Jahre sein Ziel angestrebt hat, seine Fähigkeiten unter Menschen in einem der spannendsten und vielfältigsten Berufsfelder der Gegenwart einzusetzen, ist gut beraten, nicht beratungsresistent zu werden. Hohe Ziele sind vorgegeben: die allgemeine Sensibilität für den Anderen; die fachliche Kompetenz, Hilfesuchenden angemessen zu begegnen. Jedes Ziel braucht die Förderung durch alle Berufsphasen hindurch. Sei es in der Teamrunde, sei es im Fachgespräch über das Seelsorgekonzept, das aufgrund des persönlichen Charismas den Einzelnen leitet, immer geht es darum, den Seelsorgedienst unter Menschen zu stärken. Dass dabei in einer kirchendistanzierten Zeit und Gesellschaft Neuorientierung ansteht, ist ebenso eine Binsenwahrheit wie dass die Perspektiven für die Kirchenstruktur sich grundlegend verändert haben.

Plural und kreativ

Seelsorge geschieht nicht ohne persönliche Befähigung und schöpft gleichzeitig aus der Verbundenheit mit Jesus Christus. Sie vollzieht sich im Kontext der kirchlichen Struktur am Ort und geht angesichts des Evangeliums das Wagnis ein, Menschen aus unterschiedlichster Kultur zu begegnen. Es sind nachgerade biblische Parameter, die zur Struktur des Kirchenlebens gehören, wo Pluralität, Inkulturation und Kreativität ernstgenommen werden.1 Sie sind konkret auszugestalten. Denn nach der Beauftragung zur Seelsorge öffnet sich ein weites Feld von Aufgaben, über welche der Austausch in den Seelsorgeteams gepflegt sein will, um realistische Zugänge zu ermöglichen und Enttäuschungen zuvorzukommen. Privatisierende Konzepte genügen nicht, da Seelsorge beliebiger Ausübung keinen Raum lassen kann. Umso mehr stellt sich die Frage nach den Seelsorgekonzepten.

Seelsorgekonzepte klären

Seelsorgekonzepte sind so zahlreich, dass sie in regelmässigem Gespräch nach Klärung rufen.2 Sie aufeinander abstimmen braucht Zeit. Weil sich der Seelsorge widmen unterschiedliche Zugänge kennt und zeitliche Ressourcen bindet, stellen sich Fragen wie: Setzen wir als seelsorgerischen Schwerpunkt die nächste Predigt und Liturgie? Was ist uns wichtig an diakonischer Seelsorge? Wie gelingt uns, neue Solidarität in polarisierten gesellschaftlichen Verhältnissen zu entwickeln? Wie kann durch unsere Seelsorge dem Bedarf an Mystik und Spiritualität begegnet werden? Wie ist bei allem, was wir als Seelsorge bezeichnen, Routine abzubauen und Kreativität möglich? Wie kreativ ist mein eigenes Seelsorgekonzept? Was bedeutet dies für die Weitergabe des Glaubens?

Mit dem Anwachsen des Personalmangels sind die Fragen dringender geworden. Dass dabei die bisher ungeklärten Fragen um das Amtsverständnis ebenso wie die Pluralität von Seelsorgekonzepten in ein inneres Konkurrenzverhältnis geraten, macht die Sache nicht leichter. Zudem werden Seelsorge und Beratung auf Anhieb nicht direkt in Verbindung gebracht. Beide kommen nicht umhin, das seelische Erleben und die spirituelle Haltung aller Beteiligten ernst zu nehmen.3 Und der eigene Seelsorge-Stil wird dem Grundsatz folgen, den Doris Nauer empfohlen hat: stets das Potenzial an Humanisierung in den Vordergrund zu stellen. So können die «geschöpflich vorgesehene körperliche und psychische Unversehrtheit» wie auch die «Denk- und Handlungsfreiheit von Menschen» und ihre «individuellen bzw. strukturellen Befreiungserfahrungen» (l. c. 387) gewährleistet bleiben. Dies gilt analog für die Seelsorge an Seelsorgenden.

Ein zusätzliches Dilemma ist zu nennen: Die Tatsache, dass nicht wenige aus der Allgemeinseelsorge in die Spezialseelsorge abwandern, ruft geradezu danach, dem kirchlichen Personal mehr Sorge zu tragen. Der Aufbau christlicher Gemeinde, die damit verbundene religiöse Förderung des Glaubens im Kirchenalltag, die begleitende Seelsorge an den Lebenswenden brauchen theologisch qualifizierte Berufsleute. Alles in allem: Seelsorge für Personen im kirchlichen Dienst ist unabdingbar. Sie setzt in jüngerer Zeit bei der Stärkung spiritueller Kompetenz an.

Spiritualität als Anker

Unter dem Motto «Sorge tragen zur eigenen Seele» formulierten vom Bistum Basel Beauftragte aus der Gruppe «Seelsorge für Seelsorgende» ihre Gedanken und Thesen zum Thema Spiritualität.4 Sie machten aufmerksam auf den Spagat zwischen dem öffentlich ausgeübten Amt und persönlich gelebter Spiritualität. Diese bekomme aufgrund zeitlicher Überlastung wenig Zeitfenster. Dass sie auch spirituell Suchende sind, werde in der Öffentlichkeit meist nicht anerkannt. Eine «als sicher erfahrene Berufung» könne so «im Laufe des (Berufs-)Lebens … durch konkret erlebte Lebens- und Arbeitssituationen aus dem Klang kommen». Wie die Ärzte können auch Seelsorgende sich «nicht selber helfen». Viele sehnten sich danach, dass «das Wirken des Geistes auch für sie selber heilsam sein kann» und sie auch geistliche Begleitung, beratende oder therapeutische Hilfe benötigen. Dafür setzen sich die Mitarbeitenden der «Seelsorge für Seelsorgende» ein. Vorbei also die Zeiten, wo Johannes Maria Vianney freimütig aussprach: «Der liebe Gott liebt es, belästigt zu werden.» Das Selbstbild des Pfarrers von Ars ist verblasst. Umso mehr gefragt sind die Vielfalt spirituell kompetenter Seelsorge und periodisches Nachdenken darüber.

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Kennzeichen spiritueller Kompetenz sind ein christlicher Lebensvollzug sowie eine authentische und glaubwürdige Gottesbeziehung. Durch sie wird Seelsorge ermöglicht, in der «Gottes Geistwirken durch Verkündigung, Heilung und Begleitung in den Herzen der Menschen Frucht bringen kann».

Mitarbeitergespräche: Spirituelle Kompetenz, www.bistum-basel.ch/Htdocs/Files/v/6864.pdf

1 Walter Kirchschläger: Rektoratsrede am Dies academicus der UHL 7. November 1997: Pluralität und inkulturierte Kreativität. Biblische Parameter zur Struktur von Kirche. Luzerner Hochschulreden, Nr. 1, Luzern 1998, mit Belegen in: SKZ 165 (1997), 778–786.

2 Vgl. die Habilitation von Doris Nauer: Seelsorgekonzepte im Widerstreit. Stuttgart, 2001, und das Schaubild «Aktuelle Seelsorgekonzepte im Überblick» im Heft Seelsorge und Beratung von Bibel und Liturgie 75 (2002) Nr. 2, 85f.

3 Vgl. u. a. Daniel Hell: Die Wiederkehr der Seele. Wir sind mehr als Gehirn und Geist, Stuttgart 2009, 64: «Seelisches Erleben hat die Eigenart, nur von anderem seelischen Erleben erfasst werden zu können. Es ist immer ‹Erleben aus erster Hand› und kann auch mit raffiniertesten elektronischen Informationsträgern nicht simuliert werden.»

4 Anlässlich des Forums für Berufungspastoral in der Deutschschweiz vom 24. Januar 2011 in Luzern: Das innere Wachsen fördern – die Berufungsfindung begleiten – die Spiritualität der Berufung pflegen. http://www.kirchliche-berufe.ch/ressourcen/download/20110328125334.pdf


Stephan Schmid-Keiser

Dr. theol. Stephan Schmid-Keiser promovierte in Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie. Nach seiner Pensionierung war er bis Ende 2017 teilzeitlich Redaktor der Schweizerischen Kirchenzeitung. (Bild: zvg)