«Sakramente sind keine Wohlfühlrituale»

Die Firmkatechese ist stark im Wandel begriffen. Neue Wege und Modelle werden gesucht. Das RPI veröffentlichte im März ein neues Firmbuch, das virulente Fragen aufgreift und einen mystagogischen Ansatz vorstellt.

Dr. Nicola Ottiger (Jg. 1970) ist Dozentin am Religionspädagogischen Institut Luzern (RPI) für Dogmatik, Fundamentaltheologie und Liturgiewissenschaft sowie Mitherausgeberin des neuen Firmbuchs. (Bild: Othmar Wüest)

 

SKZ: Was hat Sie, Monika Jakobs und Markus Arnold veranlasst, ein neues Firmbuch1 herauszugeben?
Nicola Ottiger: Der Firmung kommt im sakramentalen Leben wie auch in der pastoraltheologischen Arbeit immer grössere Bedeutung zu. In den letzten Jahren wurde diesbezüglich viel gemacht, Firmkonzepte wurden entworfen und Firmkurse für unterschiedliche Firmalter entwickelt. In der Schweiz gibt es auf engstem Raum eine vielfältige Praxis. Was bisher gefehlt hat, ist ein Grund- lagenwerk, das diese Praxis fachlich reflektiert. Bishe- rige Publikationen zur Firmung stammen zumeist aus Deutschland und bewegen sich entweder im wissenschaftlichen Bereich oder es handelt sich um praktisch ausgerichtete Firmkurse. Das neue Firmbuch hat den Anspruch einer fundierten fachlichen Reflexion, will aber mit seinem Praxisbezug gleichzeitig leicht verständlich und anregend sein. Insbesondere werden auch die Erfahrungen mit einem höheren Firmalter, welches in der Deutschschweiz seit 30 Jahren eine hohe Resonanz findet, reflektiert.

Sie machen sich stark dafür, die Firmkatechese vermehrt von der liturgischen Feier der Firmung her zu gestalten. Wo liegen die Gründe für Ihren Ansatz?
Das ist tatsächlich ein Zugang, den man in Firmkonzepten bisher so nicht findet. Hier zeigt die Praxis ein katechetisches Defizit: Mit viel Engagement wird eine spannende, vielleicht sogar partizipative Firmvorbereitung geboten. Eher gegen den Schluss der Firmvorbereitung werden noch kurz die sakramentalen Zeichen erklärt und anschliessend Beiträge für den Gottesdienst vorbereitet. Firmkatechese und Firmfeier scheinen auseinanderzufallen. Das lässt sich wohl nur so erklären, dass «Gottesdienst» kaum noch interessiert. Es scheint, dass wir dies mit unserer eigenen Zurückhaltung noch stützen: «Wir reden nicht zu sehr vom Gottesdienst, wir wollen euch ja nicht vergrämen!» Firmkurse bewegen sich zwischen möglicher Überforderung – einem ausführlichen Glaubenskurs, der noch alle Lücken aus Religionsunterricht und Katechese schliesst – und drohendem Profilverlust durch mehrheitlich lebensweltliche Orientierung. Firmvorbereitung hat aber auf jeden Fall das Ziel, junge Menschen auf eine sakramentale Feier vorzubereiten – und damit auf einen persönlichen Akt bzw. Vollzug. Nach ritualtheoretischen Gesichtspunkten kann und muss man fragen: Was braucht es, damit sich die Firmanden als Subjekte des Geschehens verstehen können? Wie kann die bewusste und reflektierte Feier des Sakraments unterstützt werden? Wenn Katechese und Liturgie weitgehend unverbunden sind, bleibt das, um was es eigentlich geht, fremd.

Was schlagen Sie diesbezüglich vor?
Es mag irritieren, Firmvorbereitung wesentlich von der Firmliturgie her denken zu wollen. In den letzten Jahren wurden unterschiedliche Wege eingeschlagen, den Firmanden einen Zugang zu «Kirche» zu ermöglichen, der einladend ist und die Vielfalt von Kirche und Nachfolge zeigt: Kirche ist nicht nur Gottesdienst! Das ist auch gut so. Firmvorbereitung denkt über die Sakramentenfeier hinaus. Der Kern der Sache aber bleibt, auch bei unterschiedlichen Firmaltern, gleich: Wir feiern ein Sakrament! Das darf keine Angelegenheit am Rande sein und verlangt nach Auseinandersetzung: Worum geht es da? Was meinen wir? Wie wollt Ihr Euch dazu verhalten? Bewusst die Liturgie mitzudenken bedeutet nicht, aus der Firmvorbereitung einen eigentlichen Liturgiekurs zu machen, aber es bedeutet, das Ritual ernstzunehmen und damit diejenigen, die dieses Ritual begehen. Wir zeigen deshalb, wie sich Brücken schlagen lassen von den Themen des Firmkurses zum sakramentalen Geschehen. Es geht darum, die in der Liturgie verdichteten Lebens- und Glaubenserfahrungen aufzuschliessen. Nicht nur die Kernhandlung mit Handauflegung und Chrisamsalbung ist dabei von Interesse, sondern beispielsweise auch die Wortverkündigung, der Friedensgruss, die Kommunion unter beiden Gestalten. Sie werden im Buch aus verschiedenen theologischen Perspektiven, beispielsweise biblisch, ethisch oder religionspädagogisch erschlossen mit Blick auf die Lebenswelt von Firmanden. Dass rituelle Zeichen eine starke Wirkung haben, wenn man sie sorgfältig inszeniert und mit guten Worten begleitet, ist wohl eine Erfahrung, die wir alle teilen. So geschieht Mystagogie, das Entdecken der Spuren Gottes im eigenen Leben, unter den Bedingungen liturgischen Feierns.

Sie nennen im Buch die Firmung ein eigenwilliges Sakrament. Weshalb?
Firmung ist in verschiedener Hinsicht auffällig unter den Sakramenten. Sie hat eine bewegte Geschichte, bis heute. Das kommt daher, dass Firmung als Sakrament in einem anderen Sakrament, in der Taufe, wurzelt. Die Verselbständigung der Firmung aus geschichtlichen Gründen hat dazu geführt, dass für sie eine eigene theologische Deutung benötigt wird. Diese darf aber die Taufe bzw. Taufgnade nicht nivellieren, denn Gabe des Geistes, Nachfolge usw. sind biblisch gesehen Gehalte der Taufe. Im Verlaufe der Zeit wurden verschiedene Deutungen von Firmung stark gemacht. Dies allerdings nie ganz widerspruchsfrei, denn Firmung ist die nachgeholte sakra- mentale Feier der Geistgabe. In dieser relativen Abhängigkeit von der Taufe entwickelte die Firmung seit Jahrhunderten ein gewisses Eigenleben, was sich an den unterschiedlichen Deutungen und einer vielfältigen Praxis zeigt.

Worin sehen denn Sie die Bedeutung des Firmsakraments?
Weil Firmtheologie immer mit Widersprüchen kämpft, ist es umso wichtiger, theologisch sorgfältig über Firmung zu sprechen. Glücklicherweise ist heute das Missverständnis ausgeräumt, mit dem ich selbst noch gefirmt worden bin: «Jetzt bekommt ihr zum ersten Mal den Heiligen Geist!» Es gibt weitere Missverständnisse, beispielsweise wenn Firmung vor allem als Ratifizierung der Kleinkindertaufe stark gemacht wird, als ob die Taufe ohne Firmung ungültig wäre, und die Erstkommunion kein Glaubenszeugnis. Das Wichtigste am Firmsakrament ist aber tatsächlich, dass der Heilige Geist einen grossen Auftritt hat! Dies darf man nicht zu tief veranschlagen: Obwohl mit dem Geist Gott selbst in uns und unter uns wohnt, spielt er in Theologie und Kirche immer noch eine untergeordnete Rolle. Firmung als Feier der Geistgabe bedeutet eine Vertiefung der persönlichen Gottesbeziehung. Eine zweite wichtige Bedeutung liegt in der Firmung als «Gemeinschaftssakrament». Mit dem Bischof als ursprünglichem Firmspender wird auf die Bedeutung von Kirche als Ganzer, als Nachfolge- und Glaubensgemeinschaft hingewiesen. Demgegenüber stellen wir seit Jahren fest, dass Firmung für viele eher ein «Abschiedsfest» von der Kirche darstellt. Solange Firmung den Abschluss der Initiation bildet – was theologisch streng genommen die Erstkommunion wäre – ist sie es, die uns den Spiegel vorhält: Wie sieht die Zukunft unserer Kirche, unserer Gemeinden aus? Wen, wie, wann firmen? Diese Fragen hängen eng mit Grundfragen der Gemeinschafts- und Gemeindebildung zusammen.

Die Firmkatechese ist sehr im Umbruch begriffen. Im «Anzeiger für Seelsorge» (1/2019) erklärt Patrik C. Höring die jahrgangsweise Firmung als längst überholt.
Aktuelle Fachdiskussionen wie diese werden im Buch besprochen. Höring steht mit seiner These nicht alleine da. Die Firmung nicht mehr jahrgangsweise zu organisieren, stösst an verschiedenen Orten auf Interesse. Religionspädagogisch spricht einiges dafür, weil damit noch stärker die Subjektwerdung im Glauben gefördert würde. Es wird der persönliche Entscheid für das Sakrament betont, was gleichzeitig in engstem Zusammenhang mit dem Anliegen der Gemeindebildung steht. Sakramente sind immer ekklesiale Zeichen, keine «Wohlfühlrituale». Firmung dann zu feiern, wenn man den persönlichen Entscheid fällt, dürfte aber nicht zu einer ähnlichen Entwicklung führen wie bei der Kindertaufe, die immer noch sehr individualisiert und «privat» verstanden und gefeiert wird. Die persönliche Entscheidung zur Firmung wird glaubwürdig in einer grösseren Nähe zur Gemeinde.

In ein paar Tagen feiern wir das Pfingstfest. Neben Weihnachten und Ostern spielt dieses eine untergeordnete Rolle im Bewusstsein und Leben vieler Gläubigen. Was wäre für seine Aufwertung zu tun?
Interessanterweise findet sich im Zuge religionspädagogischer Reflexionen zum sinnvollen Firmalter neuerdings die Idee, Firmung als «Bestärkung» zu verstehen, die mehrmals gefeiert werden könnte. Theologisch ist dies kein gangbarer Weg, weil Firmung wie Taufe nicht wiederholbar sind. Aber wir kennen liturgisch die Feier der Tauferinnerung, nicht nur in der Osternacht. Diese kann öfter und bewusster gefeiert werden, übrigens auch ökumenisch. Insgesamt Gottes Geist wieder stärker ins Bewusstsein zu bringen und zu feiern, würde einen neuen Zugang zu Pfingsten ermöglichen. Pfingsten wäre dann nicht ein etwas sonderliches Fest, das Feiern der Gegenwart Gottes in unserem Leben nicht die Ausnahme, sondern wesentlicher Orientierungspunkt unseres Christseins.

Interview: Maria Hässig

 

1 «Firmung. Theoire und Praxis eines eigenwilligen Sakraments». Von Nicola Ottiger / Monika Jakobs / Markus Arnold. Kriens 2019. ISBN 978-3-7252-1032-9, CHF 28.80. www.rex-buch.ch

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