«Sag mir, was du isst ...»

 

Es duftet nach Curry, neben mir raschelt Tütenpapier und soeben läuft eine junge Frau mit dem Kaffeebecher in der Hand durch den Gang. Ich sitze um die Mittagszeit im Zug nach Zürich. Essen geschieht je länger, je mehr unterwegs: im Zug, auf dem Gehsteig. Die Läden am Strassenrand oder in der Rail City machen dies leicht: to go und take away sind die Formeln. Essen ist in unseren Breitengraden überall und zu jeder Zeit zu haben. Die zeitlich unbegrenzte Verfügbarkeit führt zu einem ständigen Essen, aber auch dazu, es weniger zu schätzen. So stellt sich die Frage: Welchen Stellenwert nimmt das Essen heute überhaupt ein?

Im Fernsehen wird vor laufender Kamera gekocht und werden Kochtipps und -tricks weitergegeben. In Magazinen und im Internet sagen Ratgeber, welches die richtige Ernährung ist. Gojibeeren, Chiasamen, Spirulina, Weizengras u.a.m. werden als Superfood angepriesen. Aufgrund ihrer äusserst wertvollen Nährstoffe sollen sie den Menschen gesund, vital und fit halten. Brainfood wiederum erhöht die geistige Leistungsfähigkeit, so zum Beispiel Kürbiskerne, Hülsenfrüchte oder Nüsse. Essen dient der Gesundheit und der Selbstoptimierung. Schon der griechische Arzt Hippokrates von Kos (460 bis etwa 377 v. Chr.) soll gesagt haben: «Eure Nahrungsmittel sollen eure Heilmittel sein und eure Heilmittel sollen eure Nahrungsmittel sein.»

Essen begegnet einem auf Schritt und Tritt. Nicht nur wird darüber informiert, was gegessen werden soll, sondern auch, was besser weggelassen wird. Auf bestimmte Nahrungsmittel zu verzichten, liegt ganz im Trend. Dabei spielen gesundheitliche Gründe und ethische Erwägungen eine Rolle. Aber nicht nur. Vielfach ist der Verzicht einfach ein persönliches Statement. Denn was auf dem Teller ist, ist Ausdruck der Persönlichkeit. In diesem Sinn kann gelten, was der französische Philosoph und Gas- trokritiker Jean Anthelme Brillat-Savarin schon 1826 formulierte: «Sag mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist.»

Diese hohe Bedeutung, die dem Essen gegenwärtig zukommt, macht es für Kirche und Theologie zu einem spannenden Themenfeld. Essen war schon immer und ist mehr als pure Nahrungsaufnahme. Es ist ein soziales Geschehen, ist kulturell bestimmt und weist symbolische Bedeutung auf. Für Menschen in säkularen Gesellschaften wird Essen auch zur Sinnquelle für das eigene Leben. Essen ist essenziell und existenziell und deshalb in aller Munde.

Maria Hässig