Religion, Reformation und Säkularisierung

Historisches Lexikon der Schweiz, Band 10

Die beiden neuen Bände des Historischen Lexikons der Schweiz sind eine Fundgrube für Religiöses

Auch hier ist Kirche drin: Die Teile 10 und 11 des auf 13 Bände veranschlagten Historischen Lexikons der Schweiz (HLS) bieten eine Fülle von kirchengeschichtlichen Informationen. Kantonsartikel, Sachartikel und zahlreiche biographische Einträge machen wertvolle neue Einblicke möglich.

In Band 10 finden sich die beiden Kantonsartikel St. Gallen und Schaffhausen, Der Kanton St. Gallen umfasst 30 Druckseiten, die Fürstabtei 13 und das noch relativ junge Bistum immerhin vier Seiten. Darin finden sich viele wichtige Hinweise zur Kirchengeschichte rund um das für die Schweiz nicht nur religiös, sondern auch kulturell wichtige Benediktinerkloster, aus dem das Bistum St. Gallen herausgewachsen ist. Zwei Charakteristiken sind besonders für das 19. Jahrhundert hervorzuheben: Der gemischtkonfessionelle Kanton erlebte einen relativ heftigen Kulturkampf, der jedoch zunehmend durch die soziale Frage verdrängt wurde, was den St. Galler Katholizismus christlichsozial geprägt hat.

Der Stadtstaat Schaffhausen entschied sich 1529 für die Reformation. 1841 wurde für die meist aus Süddeutschland zugewanderten Unterschichts-Katholiken die erste römisch-katholische Pfarrei eröffnet, mit der Verfassung von 1876 verlor die reformierte Staatskirche ihre dominierende Stellung.

In Band 11 wird mit dem Kantonsartikel Solothurn derjenige katholische Stand beschrieben, in dem der Kulturkampf als innerkatholische Auseinandersetzung am heftigsten war. Hilfreich für das Verständnis der Schweizer Geschichte im 19. Jahrhundert sind die Einträge zu «Restauration », «Regeneration» und «Radikalismus » in Band 10 sowie «Sarnerbund» und «Sonderbund » in Band 11.

Spannende Sachartikel

Bei den Sachartikeln verdient der auf sechs Seiten konzis zusammengefasste Reformationsartikel besondere Beachtung. Graphiken verdeutlichen das Beziehungsnetz von Bullinger und Calvin – ergänzt mit Ausführungen zu protestantischen Glaubensflüchtlingen, protestantischer Orthodoxie und protestantischem Fundamentalismus. In diesem Umfeld ist auch auf «Sittengerichte » und «Sittenmandate» hinzuweisen, wobei letztere auch in altgläubigen Orten erlassen wurden.

Der Artikel «Religionen» bringt spannende Hinweise zur Schweiz, die immer multikonfessioneller wird. Dazu passen Artikel wie «Religiöse Toleranz», «Säkularisation » und «Säkularisierung», mit Hinweis auf die ersten politischen Versuche zur Trennung von Kirche und Staat. Ein Ort, welcher jeglicher Säkularisation bis heute widerstehen konnte, ist zugleich das älteste Kloster beziehungsweise Chorherrenstift nördlich der Alpen: Saint- Maurice im Unterwallis, das 2015 auf 1500 Jahre Geschichte zurückblicken kann.

In Band 11 erscheint dann ein eher unerwartetes Stichwort: «Sklaverei». Bei der Behandlung von Menschen als Sachen waren eben auch Schweizer involviert, negativ als Soldaten oder Handelsleute, positiv als Sklavenseelsorger.

Die Artikel «Schweizer Bischofskonferenz » und «Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund » liegen in Band 10 nahe beieinander, gefolgt vom «Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund », dem «Schweizerischen Katholischen Frauenbund» (dem nun grössten römisch-katholischen Verband) und dem früher einflussreichen «Schweizerischen Katholischen Volksverein».

Der Artikel «Seelsorge» zeigt auf, wie stark sich diese im Laufe der Zeit verändert hat. Im Artikel «Sozialarbeit» wird allerdings zu wenig deutlich, dass diese eigentlich kirchliche Ursprünge hat und erst im 20. Jahrhundert von der öffentlichen Hand übernommen wurde. Ähnlich werden auch im Artikel «Rom», mit Ausnahme der darin erwähnten Schweizergarde, die vielfältigen Beziehungen der katholischen Schweiz zu Rom übergangen, während im Artikel «Sozialismus» glücklicherweise die Bedeutung der religiös- sozialen Bewegung hervorgehoben wird.

Biographische Trouvaillen

Mit Leonhard von Ragaz, einem Begründer dieser religiös-sozialen Bewegung, ist die Überleitung zu den biographischen Artikeln gegeben, wo es das mit 13 Bänden umfangreiche HLS ermöglicht, viele Biographien abzudrucken. Das macht über die wertvollen Sachartikel hinaus den eigentlichen Wert des Lexikons aus.

Einige Namen seien herausgepickt, die in den Volumina 10 und 11 auffallen: Der für Katholisch- Freiburg und die dortige Universität wichtige Georges Python, der für die Abspaltung und Bildung der christkatholischen Kirche wichtige Joseph Hubert Reinkens, der für die Sozialethik wichtige Arthur Rich, der bisher einzige deutschsprachige Berner Nuntius Karl-Josef Rauber sowie die Zürcher Familie Roïst, von denen Schweizergardehauptmann Caspar im Kampf für den Schutz des Papstes im Sacco di Roma den Tod fand, während sein Bruder Diethelm ein Hauptförderer der Zürcher Reformation wurde.

In Band 11 sind von den bisher sechs Schweizer Kardinälen gleich drei aufgeführt: Matthäus Schiner, Heinrich Schwery sowie Cölestin Sfondrati, der zwar mailändische Wurzeln hat, aber als Fürstabt von St. Gallen doch auch als Schweizer einzustufen ist.

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Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz (Hg.): Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Band 10, Pro – Schaf. Schwabe-Verlag, Basel 2011. 881 Seiten, Fr. 298.–.

Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz (Hg.): Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Band 11, Schai – Stg. Schwabe-Verlag, Basel 2012. 903 Seiten, Fr. 298.–.

 

 

Urban Fink-Wagner

Urban Fink-Wagner

Der Historiker und promovierte Theologe Urban Fink-Wagner, 2004 bis 2016 Redaktionsleiter der SKZ, ist Geschäftsführer der Inländischen Mission.