«Religion ist eine fröhliche Sache oder sie ist nicht»

Cécile ist der französische Name einer bildschönen Afrikanerin. Seit vielen Jahrzehnten ist sie mit einem weltgereisten schweizerischen Arzt und Schriftsteller verheiratet. Es zieht mich von Zeit zu Zeit zu beiden, fast magisch. Lockt mich mein «mal d’Afrique» dorthin? Das Heimweh nach dieser scheinbar grundlosen Fröhlichkeit, der inneren und äusseren Wärme, der spontanen Herzlichkeit, dem bezaubernden Lächeln, wie es Cécile trotz jahrzehntelangem Aufenthalt im meist kalten Europa auszeichnet? In ihrer Gegenwart fühle ich mich gleich 5000 Kilometer weit nach Nairobi versetzt. Dort habe ich den mich am meisten überzeugenden Gottesdienst erlebt. Damals wie heute war und ist mir die Definition der Religion – «Religion ist eine fröhliche Sache oder sie ist nicht» – von Professor Emil Abegg an der Universität Zürich in den Sinn gekommen. Der protestantische Religionswissenschaftler und Indologe hat etwas in Worte gefasst, was man sonst – wenn schon – am ehesten aus dem Mund eines Katholiken erfährt und wahrnimmt. Ist es das, was Afrika mit Europa verbindet, wenigstens so weit, dass wir Europäer – nach Afrika versetzt – etwas vom Wichtigsten erfahren, was fast überall in anderen Erdteilen verloren gegangen ist?

Ist dies der tiefere Grund, warum Johannes Paul II. sich immer wieder nach Afrika sehnte und Reisen der 102 Auslandsaufenthalte aus seinem – auch meinem – «mal d’Afrique» heraus absolvierte und er – so wie ich – vermisste, wenn wir im kalten nordalpinen Europa nicht dort sein konnten? Es friert mich beim blossen Gedanken, dass ich seit 18 Jahren nicht mehr in Afrika, nicht einmal in Asien oder in Südamerika gewesen bin und mich im Disentiser Skigebiet oberhalb der Nebelgrenze mit der Sonne des Nordens begnügen muss.

Vielleicht hängt meine Sehnsucht nach Afrika auch mit dem zusammen, was der heutige Papst in seinem Mahnschreiben «Evangelii gaudium» gleich zu Beginn antönt, was zweifellos besonders uns Europäer angeht: «Die grosse Gefahr der Welt von heute mit ihrem vielfältigen und erdrückenden Konsumangebot ist eine individualistische Traurigkeit, die aus einem bequemen, begehrlichen Herzen hervorgeht (…). Wenn das innere Leben sich in den eigenen Interessen verschliesst, gibt es keinen Raum mehr für die anderen, finden die Armen keinen Einlass mehr, hört man nicht mehr die Stimme Gottes, geniesst man nicht mehr die innige Freude über seine Liebe, regt sich nicht die Begeisterung, das Gute zu tun (…). Ich lade jeden Christen ein, gleich an welchem Ort und in welcher Lage er sich befindet, noch heute seine persönliche Begegnung mit Jesus Christus zu erneuern oder zumindest den Entschluss zu fassen, sich von ihm finden zu lassen, ihn jeden Tag ohne Unterlass zu suchen. Es gibt keinen Grund, weshalb jemand meinen könnte, diese Einladung gelte nicht ihm, denn ‹niemand ist von der Freude ausgeschlossen, die der Herr uns bringt›.» (EG 2 f.). Können wir hier nicht von den fröhlichen Afrikanern und Südamerikanern viel lernen?

Victor J. Willi

Victor J. Willi

Der langjährige Rom-Korrespondent von Radio DRS und Journalist für viele Zeitungen beschäftigt sich auch nach seiner Pensionierung mit der katholischen Kirche und Zeitfragen