Religion im Ersten Weltkrieg

Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte (ZSRKG) 108. Jahrgang 2014, 621 S.

Zur 100. Wiederkehr des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges (1914–1918) veröffentlichte die "Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte" Ende 2014 eine Sammlung von Aufsätzen zum Thema "Krieg und Frömmigkeit im Ersten Weltkrieg ". Acht deutschsprachige, ein französischer, sechs italienische und zwei englischsprachige Aufsätze befassen sich mit dem Thema "Soldat und Religion". Neben katholischen und evangelischen Beiträgen kommen auch orthodoxe und jüdische Erfahrungswelten während des Völkermordens zur Darstellung. Wir wählen einige Aufsätze aus.

Glaubten die Kriegsführenden anfänglich, mit raschen offensiven Aktionen den Krieg in relativ kurzer Zeit zu Ende zu führen, so entpuppten sich solche Vorstellungen bald als Illusionen. Interessant ist die Feststellung der protestantischen Landeskirche Bayerns, die Feldseelsorge habe gut den Zugang zu den einfachen Soldaten gefunden, anders als "zur Mehrzahl der Offiziere, deren Zurückhaltung als übles Beispiel wirkte" (Hansjörg Biener: Der Erste Weltkrieg in der offiziellen Wahrnehmung der protestantischen Landeskirche Bayerns).

Die Herz-Jesu-Verehrung, die im 18. und 19. Jahrhundert vorwiegend von Frauen praktiziert wurde, erlangte vor und während des Ersten Weltkrieges eine rationalere Ausprägung, um das Interesse der Männer auf diese Devotionsform zu lenken. Ab etwa 1910 bemühten sich die Jesuiten durch eine Entfeminisierung der Bilder und Statuen und durch eine Entschlackung der Andachtsliteratur und der Predigten um eine Intellektualisierung und Maskulinisierung des Kultes: Aus dem Herz-Jesu-Kult entwickelte sich der Christkönigskult, dem 1925 ein eigenes Kirchenfest gewidmet wurde (Claudia Schlager: Herz- Jesu – ein Heldenkult?).

Papst Benedikt XV. versuchte ab 1915, akzentuierte patriotische Anklänge aus der katholischen Gebetspraxis auszutilgen und diese in eine Richtung zu lenken, die seinem Friedensprojekt entsprachen (Maria Paiano: Benedetto XV e la preghiera cattolica durante la Grande Guerra).

Ganz eigenartige Blüten brachte der Erste Weltkrieg im Verständnis des "Vater-Unser-Gebets" hervor. Es wurde häufig missbraucht, um die Falschheit und List der Feindvölker anzuprangern. Gerade die Beteuerung der eigenen Unschuld wirkte befremdend und aus heutiger Sicht wie eine Parodie. Die Vergebungspflicht des Vaterunsers wurde komplett ignoriert. Neuformungen wirkten wie blasphemische Äusserungen (Kathrin Juschka: Das Vaterunser im Ersten Weltkrieg). Interessanterweise fehlt auch eine Arbeit über den Armeniermord während des Ersten Weltkrieges nicht (Richard Albrecht: The Turkish Genocide against Ottoman Armeniens). Soweit ein paar Hinweise auf diese Kriegsproblematik.

Hier noch zwei Hinweise auf aktuelle schweizerische Projekte: 1. Erfreulicherweise wird im vorliegenden Band auf ein Buchprojekt hingewiesen, das den St.-Anna- Schwestern von Luzern gewidmet ist: Die Schwestern erteilten Anfang 2014 einer Historikergruppe den Auftrag, die Geschichte ihrer Gemeinschaft für ein breites Publikum aufzuarbeiten. Als Projektleiter wirkt Prof. Markus Furrer. Es geht einerseits um die Geschichte der Schwesterngemeinschaft in der Schweiz (Franziska Metzger), anderseits um die St.-Anna-Schwestern in Indien. Heutiges Verhältnis: 80 Schwestern in der Schweiz stehen 700 Schwestern in Indien gegenüber. 2. Aus Anlass des 200. Jahrestages der Wiederherstellung der Gesellschaft Jesu (1814–2014) fanden in der Schweiz zwei Kongresse in Brig und Freiburg statt. Diese beiden Tagungen konnten auch weitere Interessenten anziehen (Bericht Paul Oberholzer SJ, Basel). Ein mehr als 100-seitiger Rezensionsteil weist auf die grosse Produktivität der historischen Forschung hin. 

Alois Steiner

Der promovierte Historiker Alois Steiner lehrte am Zentralschweizerischen Technikum (heute Hochschule Luzern) und an der Universität Freiburg (CH ).