Physik und Theologie - gestern und heute (I)

Dieter Hattrup studierte zunächst Mathematik und Physik. Sein Forschungsschwerpunkt bildet der Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften. Seine Abschiedsvorlesung als Gastprofessor fand am 1. Juni 2016 im Grossen Hörsaal der Physik der Universität Fribourg statt. Antoine Weis, Professor für Physik, hielt einen mit Experimenten veranschaulichten Vortrag zum Thema: «Welle oder Teilchen? Die duale Natur des Lichts». Seine Ausführungen schlossen mit dem Ergebnis: «Gott würfelt doch!» Die seit etwa 100 Jahren in der Physik erarbeiteten Ergebnisse bestätigen: 1) In Bezug auf das Licht: Man kann nicht voraussagen, wie sich in verschiedenen experimentellen Anordnungen die Photonen des Lichts verhalten werden. 2) Verallgemeinert: Gleiche Anfangszustände in der Vergangenheit können zu verschiedenen Endzuständen in der Zukunft führen. 3) Die Physik muss sich aufgrund eigener Ergebnisse von dem mechanischen Weltbild einer kausal determinierten Natur verabschieden. – Unter diesen Bedingungen wird Freiheit in der Natur wieder denkbar. Hier konnte Dieter Hattrup mit seinem Vortrag anknüpfen.
Barbara Hallensleben

1. Persönlich-biografischer Zugang

Der Titel unterstellt, Physik und Theologie stünden in einer Beziehung, in der Vergangenheit wie in der Gegenwart. Aber stimmt das wirklich? Ein katholischer Theologe wie Karl Rahner verneint das: «Theologie und Naturwissenschaft können grundsätzlich nicht in einen Widerspruch untereinander geraten, weil beide sich von vornherein in ihrem Gegenstandsbereich und ihrer Methode unterscheiden.»1 Der reformierte Theologe Karl Barth sprach ganz ähnlich, ebenso der lutherische Theologe Rudolf Bultmann, über ihn war zu lesen: «Christlicher Glaube bezog sich für [Bultmann] nur auf die Existenz (…). Die Natur hingegen warf er der Naturwissenschaft zum Frass hin.»2

Ich nehme an, diese Theologen waren gebrannte Kinder, sie fühlten die Kränkungen in ihrer Seele, die bis heute mit den Namen von Galileo Galilei und Charles Darwin verbunden sind. Eine neuerliche Schmach wollten sie deshalb von vornherein ausschliessen und sprachen sich für die strikte Trennung der Parteien aus. Denn obwohl sie im 20. Jahrhundert lebten, haben sie den Wandel in der Physik dieses Jahrhunderts nicht mitbekommen, der ihnen viel von ihrer Angst hätte nehmen können.

Wie anders sprechen zur gleichen Zeit die Physiker, die mitten in diesem Wandel standen, und ihn sogar bewirkt haben. Um 1970 sagt Heisenberg, der mit seinen Unbestimmtheitsrelationen die Quantentheorie vollendet hat: «Sie wissen ja, dass durch die Atom-physik und durch das, was man in ihr gelernt hat, sehr allgemeine Probleme anders aussehen als früher, etwa das Verhältnis von Naturwissenschaft zur Religion, allgemeiner zur Weltanschauung. Das sieht jetzt anders aus, seit wir wissen, dass selbst in der Atomphysik die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt nicht mehr so einfach aussieht wie in der klassischen Physik.»3

Die gleiche Aussage macht Einstein, jedoch im Modus der Abwehr. Er will nicht sehen, was er gerade zu sehen bekommt, und er sieht es doch: «Ich kann mir keinen persönlichen Gott denken, der die Handlungen der einzelnen Geschöpfe direkt beeinflusste oder über seine Kreaturen direkt zu Gericht sässe. Ich kann es nicht, trotzdem die mechanistische Kausalität von der modernen Wissenschaft bis zu einem gewissen Grade in Zweifel gestellt wird».4

Dieses Zitat übrigens hat mich zum Theologen gemacht. Als ich vor etwa 50 Jahren anfing, über die Wirklichkeit nachzudenken, in die ich durch die Geburt geworfen bin, boten sich mir zwei Möglichkeiten an, die Welt zu deuten: entweder Gott oder die Natur, obwohl kein Mensch ganz genau wusste, was das eine und was das andere ist. In der Wissenschaft gab es ein beständiges Agieren für die Natur und gegen Gott. Ausdruck dieses allgemeinen Lebensgefühls war zum Beispiel das Drei-Stadien-Wort von Auguste Comte, der 1842 gesagt hat, erst komme das Stadium der kindlichen Religion, dann die jugendliche Metaphysik, schliesslich die erwachsene positive Wissenschaft, welche die beiden ersten Stadien verschwinden lasse.5

Als Jugendlicher in Konflikt gestellt

Das habe ich als Schüler gehört, und es hat mich nachdenklich gemacht. Ja, es könnte wahr sein, Comte könnte recht haben, die Erfolge der Wissenschaft sind wirklich enorm. Ich bin zwar ein religiöser Mensch, ein homo naturaliter religiosus, denn da ich mich nicht selbst erschaffen habe, sollte ich diejenige Wirklichkeit anerkennen, die mich in der Hand hat und die nicht ich in der Hand habe. Aber natürlich, das könnte ein falsches Gefühl sein, die Wissenschaft verspricht ja seit ihren Anfängen, der Mensch könne die Natur, also vielleicht alle Wirklichkeit, in die Hand bekommen. Descartes hat das schon 1637 den Menschen zugesichert, die er als zukünftige Herren und Meister der Natur anredet, «comme maîtres et possesseurs de la nature».6

Als Jugendlicher war ich also in einen Konflikt gestellt, deshalb musste ich, wenn überhaupt, vor der Theologie erst einmal Naturwissenschaften studieren, um zu sehen, ob Descartes und Comte recht hatten oder nicht. Und siehe da, bei der Rede Einsteins über den Gegensatz von persönlichem Gott und mechanistischer Kausalität hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, die beiden selbstsicheren Franzosen könnten ihr Haus auf Sand gebaut haben. Ich fühlte die gleiche Frage wie Einstein in mir: Ist die letzte Wirklichkeit eine Person, oder ist sie ein sachhaftes Gesetz? Und auch in der Methode stimmte ich mit Einstein überein: Die Naturwissenschaft hat in dieser Frage ernsthaft mitzureden. Wenn die Wissenschaft sagt, in der Natur sei Freiheit nicht zu denken, dann müsste ich wohl den personalen Gott aufgeben. Eben dieses war im 19. Jahrhundert Darwin geschehen, der 150 Jahre vor mir geboren ist. Er hatte als Theologe angefangen, aber weil er in den «fixed laws» der Mechanik, wie er sie nannte und die er auch auf seine Evolutionslehre anwandte, keinen Ausweg fand, endete er als Agnostiker: «Everything in nature is the result of fixed laws».7

Unterschied zu Einstein

Nur in einem dritten Punkt unterschied ich mich von Einstein. Dieser fürchtete sich vor dem Ende der mechanistischen Kausalität, während ich eher Freude darüber empfand. Denn es ist doch wohl so: Wer einigermassen frei ist in der Berufswahl, der macht seine Berufung zum Beruf. Man setzt sein ganzes Leben in der Welt nur für das ein, was man für das Ganze der Welt hält. Bei Einstein ist das deutlich zu sehen. Um 1950 schreibt er dem Dichter Hermann Broch: «Ich bin fasziniert von Ihrem Vergil und wehre mich beständig gegen ihn. Es zeigt mir das Buch deutlich, vor was ich geflohen bin, als ich mich mit Haut und Haar der Wissenschaft verschrieb: Flucht vom Ich und vom Wir in das Es.»8 Dieses Es ist der Gott Spinozas, zu dem sich Einstein oftmals bekannt hat, aber dieser Gott ist keine Person, sondern eher ein kosmisches Naturgesetz. Dieser Gott konnte deshalb nicht mehr mein Gott sein, die Natur konnte ich wegen der Quantentheorie nicht mehr für das Ganze halten. Die Natur ist nicht alle Wirklichkeit. Also konnte die Naturwissenschaft nicht mehr die Abbildung des Ganzen sein, also konnte ich trotz des Doctor rerum naturalium kein Naturwissenschaftler werden.

2. Das mechanische Zeitalter. Die Geschichte gestern

Wie sollen wir heute das Verhältnis von Gott und Natur denken, und wie konnte es zu diesem immensen Konflikt kommen? Wie können wir der raunenden Ahnung Heisenbergs gerecht werden, der von einem neuen Verhältnis von Naturwissenschaft zur Religion spricht, bewirkt durch die Atomphysik, also durch die Quantentheorie?

Lenken wir den Blick zurück auf die letzten 400 Jahre, so hatten Physik und Theologie viel miteinander zu schaffen, aber zunächst nur negativ. Ich spreche vom mechanischen Zeitalter, beginnend mit dem Todesjahr des Kopernikus 1543, bis zum Jahr 1900, in dem Max Planck das Quantum entdeckte, also den Zufall in die Wissenschaft eingeführt hat.

Nur negativ war zunächst die Beziehung, etwa im Jahr 1610, als Galilei sein nachgebautes Fernrohr auf den Himmel richtet. Er sieht, wie irdisch es am Himmel zugeht. Er schaut auf die Sonne, und die hat plötzlich Flecken. Das war schändlich, denn nach der alten Metaphysik geht es am Himmel immer vollkommen zu, das Sternenzelt sollte aus dem unirdischen Stoff der Quinta essentia gebildet sein, und alle Körper sollten am Himmel auf Kreisbahnen umlaufen. Aber plötzlich hat die Sonne dunkle Flecken, und die Venus hat Phasen, sie leuchtet einmal auf der linken und einmal auf der rechten Seite, je nach dem Stand der Sonne. Und mit seinem Fernrohr erkennt Galilei Berge und Täler auf dem Mond, ganz wie auf der Erde. Und vor allem der Jupiter! Galilei sieht vier Monde, die um den Planeten kreisen, was doch unmöglich ist, wenn Aristoteles und Ptolemäus recht haben, welche die Planeten an Sphären hängen liessen, die sich um die Erde drehen. Galilei schreibt ein Büchlein darüber, «Sidereus nuncius», der Sternenbote genannt, das im März 1610 erscheint. Plakativ gibt Bertolt Brecht in seinem Drama über Galilei dem Physiker einen Stift in die Hand und lässt ihn schreiben: «Heute ist der 10. Januar 1610. Die Menschheit trägt in ihr Journal ein: Himmel abgeschafft.»9

Tatsächlich empfanden die wachen Zeitgenossen die Beobachtungen Galileis als die Vertreibung Gottes aus der Natur. Kardinal Robert Bellarmin schreibt bald darauf, etwa 1614, ein Gegenbuch mit dem Namen «Die Himmelsstiege oder die Erhebung der Seele zu Gott durch die Betrachtung der erschaffenen Dinge». Aber der Kardinal und seine späteren Mitstreiter in der Physiko-Theologie können dem mechanischen Weltbild nichts Ernsthaftes entgegensetzen, da sie über die Grenzen der Mechanik damals nichts wissen konnten. Und es kommt noch schlimmer, weil jetzt Isaac Newton kommt und sein Buch von 1687 über die «Mathematischen Grundlagen der Naturphilosophie», die «Philosophiae naturalis principia mathematica».

Gottesfrage als Freiheitsfrage

Damit scheint der Damm gebrochen zu sein, die Mechanik scheint den vollkommenen Sieg errungen zu haben, weil sie alle Bewegungen in der Natur zu erklären unternimmt. Zwar war das Licht und vieles andere noch nicht erklärt, aber es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, bis alles mit Stoss und Druck nach den mechanischen Grundsätzen der Schwerkraft gedeutet ist. Ein mechanischer Träumer war dann im 19. Jahrhundert Pierre Laplace, der sich in Begeisterung über die Newtonische Physik nicht genug tun konnte: «Alle Ereignisse, selbst jene, welche wegen ihrer Gering

fügigkeit scheinbar nichts mit den grossen Naturgesetzen zu tun haben, folgen aus diesen mit derselben Notwendigkeit wie die Umläufe der Sonne.»10 Und weil er die Vorhersage am Himmel gleich auch auf die Erde verlegt, kann er zu Napoleon sagen, als der ihn nach Gott fragt: «Sire, je n’avais pas besoin de cette hypothèse-là» – diese Hypothese brauchte ich nicht.

Doch es gab auch Skeptiker. Der erste, der skeptisch auf Newtons System blickte, war Newton selbst. Nicht sofort 1687, aber zehn oder zwanzig Jahre später merkte er, was er damit angerichtet hatte: Er hatte das Handeln Gottes in der Welt unmöglich gemacht und damit Gott seiner Freiheit beraubt – und den Menschen gleich mit dazu. Deshalb konnte 1748 ein Arzt namens Julien Offray de La Mettrie ein Buch mit dem Titel «L’homme machine» schreiben. Zugleich hatte Leibniz in Hannover das Problem bemerkt. Beide, Newton und Leibniz, haben auch eine Lösung der Freiheitsfrage versucht, beide auf merkwürdig konstruierte Weise, die hier nicht dargelegt werden kann. Übrigens sind Newton und Leibniz über diese Frage in einen bitterbösen Streit geraten, mit zornigen Briefen, in denen einer dem anderen vorwarf, den Atheismus zu befördern.11 Was uns interessieren muss, ist nicht ihre Antwort, sondern ihre Frage. Denn beide stellten die richtige Frage, sie stellten die Gottesfrage als Freiheitsfrage: Ist in der Natur, wie wir sie kennen, Freiheit möglich?

Ein halbes Jahrhundert später sah sich Immanuel Kant vor die gleiche Frage gestellt, und er hat die für die damalige Zeit vielleicht beste Antwort gefunden. Newton hat nach Kant zwar Recht mit seiner Physik, aber seine Mechanik gilt nur für die äusseren Erscheinungen, für das Ding an sich soll sie nicht gelten. Deshalb kann oder muss Kant in der «Kritik der reinen Vernunft» von 1787 so seltsame Sätze sagen wie: «Ich musste also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen» (B XXX). «Denn, sind Erscheinungen Dinge an sich selbst, so ist Freiheit nicht zu retten» (B 564).

Gemeint ist die Aufhebung des Wissens einer allzu viel wissenden Metaphysik, aber auch einer allzu viel wissenden Physik wie im Fall von Laplace. Kant hatte allerdings nicht das Glück, verstanden zu werden, da die späteren Philosophen seinen physikalischen Hintergrund nicht im Blick hatten, etwa Fichte, der Kant verbessern wollte, was dieser sich entschieden verbat. Hier die Einschätzung meines Lehrers von Weizsäcker: «Kants Argumente konnte man nicht widerlegen, aber mit ihren Folgerungen zu leben, war für den klassischen Entwurf der Philosophie unerträglich. So wurde das grandiose Abenteuer des deutschen Idealismus gewagt».12 

1 Karl Rahner: Schriften zur Theologie, Bd. XV. Einsiedeln 1982, 26.

2 Carl Friedrich von Weizsäcker: Wahrnehmung der Neuzeit. München 1983, 374.

3 https://www.youtube.com/watch?v=MbV4wjkYtYc (gegen Ende des Beitrags).

4 Albert Einstein: Briefe. Zürich 1981, 63.

5 Auguste Comte: Discours sur l’ésprit positif, 1842; deutsche Ausgabe: Rede über den Geist des Positivismus. Hamburg 1994.

6 René Descartes: Discours de la méthode VI,2.

7 Vgl. Charles Darwin: The Autobiography of Charles Darwin. London 1982, 87.

8 Banesh Hoffmann: Albert Einstein. Schöpfer und Rebell. Zürich 1976, 298.

9 Bertolt Brecht: Leben des Galilei, 1945, 3. Bild.

10 «Tous les événements, ceux même qui par leur petitesse, semblent ne pas tenir aux grandes lois de la nature, en sont une suite aussi nécessaire que les révolutions du soleil.» Pierre-Simon Laplace: Philosophischer Versuch über die Wahrscheinlichkeit (1814). Leipzig 1932, 1.

11 Vgl. Samuel Clarke: Der Briefwechsel mit G. W. Leibniz von 1715/16. Hamburg 1990.

12 Carl Friedrich von Weizsäcker: Zeit und Wissen. München 1992, 531.

Dieter Hattrup | © Uni Fribourg

Dieter Hattrup

Dieter Hattrup ist Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte ad personam an der Theologischen Fakultät Paderborn.