Ordensgemeinschaften steuern den Wandel

«Unsere Zusammenarbeit wird immer wichtiger», betonte Ephrem Bucher in seiner Begrüssung der Äbte und Provinziale, die im Ferienhaus Heiligkreuz (Entlebuch) zur Jahresversammlung der Vereinigung der Höhern Ordensobern der Schweiz/ VOS-USM Ende Juni zusammengekommen waren. Der kurz davor als Provinzial der Kapuziner zurückgetretene Präsident der Vereinigung fügte selbstkritisch hinzu: «Wir sind schlecht vorbereitet für ein solidarisches Zusammengehen.» Auch wenn in den Orden nicht samt und sonders Abbruchstimmung herrscht: Es ist absehbar, dass bald einmal in der einen oder andern Gemeinschaft die Lichter für immer gelöscht werden. Dies trifft etwa für gewisse kontemplative Gemeinschaften zu, deren meiste Mitglieder älter sind.

«Vollendung von Gemeinschaften»

Es ist für die VOS ein dringendes Anliegen, dass die Auflösung der Klöster geordnet vor sich geht und ihre verbleibenden Mitglieder weiterhin menschenwürdig leben können. Ausserdem stellt sich die Frage, ob das spezifische Charisma der jeweiligen Klöster auch nach Auflösung der Häuser gerettet werden kann. Der VOSVorstand wurde beauftragt, zusammen mit dem Dachverband Obernvereinigungen, der KOVOSS/CORISS, nach Lösungen zu suchen. Das entsprechende Traktandum stand unter dem Titel «Vollendung» … Auch für jene Gemeinschaften, die durchaus Zukunft haben, gilt die Aufgabe «den Wandel steuern». Bruder Ephrem, seit 2007 VOS-Präsident, zitierte in seiner Begrüssung Schwester Pat Farrell von der Vereinigung der Frauenorden in den USA, die in diesem Zusammenhang Stichworte nannte wie Kontemplation, prophetische Stimmen, Solidarität mit Ausgeschlossenen, Gemeinschaft, Gewaltfreiheit und Leben in freudiger Hoffnung.

Abschied von Titeln

Seit 1993 gibt es in der Schweiz den bereits erwähnten Dachverband KOVOSS/CORISS. Seither ist auch die Ingenbohler Schwester Susanna Baumann als seine Sekretärin sowie als VOS-Sekretärin im Amt. Auf Heiligkreuz blickte sie auf die vergangenen 20 Jahre zurück. Sie stellte fest, dass unter den Obern und Oberinnen eine grosse Geschwisterlichkeit anzutreffen ist: «Titel bleiben weg. Alle sind Brüder und Schwestern.» Gemeinschaften haben in dieser Zeit gemeinsame Projekte an die Hand genommen, so etwa Klöster zum Mitleben oder die Betreuung der Wallfahrt in Flüeli- Ranft. Dazu gibt es auch Ansätze gemeinsamer Alterspflege über die Grenzen der Gemeinschaften hinaus. Weiter konnte Schwester Susanna, die im nächsten Frühling das Pensionsalter erreichen wird, eine «intensivere Beziehung» der Orden zur Schweizer Bischofskonferenz feststellen. Auch der gemeinsame Auftritt in der Öffentlichkeit verzeichnete sehr erfreuliche Erfolge. So erscheint die Broschüre «Innehalten» über Rückzugsmöglichkeiten in Klöster in fünfter Auflage. Bereits wurden 52 000 Exemplare gedruckt. Der Internetauftritt www.kath.ch/orden wird täglich zwischen 280 und 400 mal angeklickt. Zur 4. «Tagsatzung der Ordensleute», die von der Pastoralkommission der KOVOSS/CORISS vorbereitet war, hatten sich im September in Freiburg 250 Ordensleute aus 100 Gemeinschaften versammelt. Auch diesmal glänzten die Ordensmänner weitgehend durch Abwesenheit.

IKB-Anrufbeantworter abgeschaltet

Es ist eine gute alte Tradition, dass bei den Generalversammlungen der Ordensobernvereinigungen Gäste aus den andern Vereinigungen (Ordensfrauen beziehungsweise -männer usw.; siehe auch unten im Abschnitt «Schwierige Vorstandssuche») anwesend sind und kurz über ihre Aktivitäten berichten. Diesmal musste die Vertreterin der Arbeitsgemeinschaft der Säkularinstitute der Schweiz/AGSI feststellen, dass sich ihre Reihen gelichtet haben. Gemeinschaften wurden aufgelöst oder sind daran, sich aufzulösen. Eine von ihnen hat nur noch ein einziges Mitglied … Da die Orden wichtige Träger der Fachstelle Information kirchliche Berufe/IKB sind, kommt der Stellenleiter der IKB gewöhnlich an die Obernversammlungen. Der neue Leiter, Thomas Leist, konnte von einer wichtigen Neuerung berichten: «Wir haben unseren Anrufbeantworter abgeschaltet. Die Anrufer werden zu allen Zeiten auf das Natel des Fachstellenleiters weitergeleitet, sodass jeder und jede Interessierte auch spürt, dass er/sie willkommen ist und direkt jemanden erreicht.» (Da die Obern- und Oberinnenvereinigungen über ihre Versammlungen jeweils ausführlich in der SKZ berichten, muss hier nicht näher über die Informationen eingegangen werden, welche die Gäste untereinander ausgetauscht haben.)

Schwierige Vorstandssuche

Auch dieses Jahr standen Wahlen in den Vorstand auf der Tagesordnung. Es kommt im Vorstand zu einer verhältnismässig hohen Fluktuation, da nur aktive höhere Obere Mitglieder sein können, deren Amtszeit in den jeweiligen Gemeinschaften gewöhnlich beschränkt ist. Dieses Mal war es besonders schwierig, Kandidaten für den VOS-Vorstand zu finden. Ein Oberer, der in Frage kam, beklagte sich, er sei schon in zu vielen nationalen und internationalen Gremien, auch in solchen der Schweizer und der DeutschenBischofskonferenz. Ein Westschweizer gestand, er beherrsche die deutsche Sprache nicht. Dass der bisherige Vorstand unter Ephrem Bucher gebeten wurde, ein weiteres Jahr im Amt zu bleiben, hat noch einen andern Hintergrund: die notwendige Verschlankung der Strukturen. Die Vielfalt der Vereinigungen der Höheren Oberinnen und Obern erweist sich angesichts der abnehmenden Mitgliederzahlen immer mehr als schwerfällig. So gibt es Zusammenschlüsse auf der Ebene der Sprachregionen. Kontemplative und nichtkontemplative Schwestern haben eigene Vereinigungen. Und während in Nachbarländern Ordensfrauen und -männer sich zusammengeschlossen haben, sind sie in der Schweiz immer noch getrennt organisiert. Die 20 auf Heiligkreuz versammelten Äbte und Provinziale meinten, ein bewährtes Team sei geeigneter, die notwendigen Änderungen der Strukturen in Gang zu bringen.

Höhepunkte

Der geografische Höhepunkt der diesjährigen VOSGV war der obligate Ausflug. Ziel war das Brienzer Rothorn, das von Sörenberg aus bequem in einer Seilbahn in Angriff genommen wurde. Auf dem Gipfel gab es zur Begrüssung ein kleines Schneegestöber – und dies kurz nach dem Sommeranfang.

Spiritueller Höhepunkt des Treffens war das Referat von Abt Martin Werlen mit dem Titel «Berufen, ein prophetisches Zeichen zu sein». Obwohl es um die berühmte Glut unter der Asche ging, welche den allermeisten durch die Bestseller-Broschüre des Vortragenden schon bekannt war, vermochte der flammende Vortrag zu begeistern. Der Einsiedler Abt begann mit einer «Provokation»: «Gibt es unsere Gemeinschaft in 20 Jahren noch? Niemand von uns kann das mit Gewissheit sagen. Vor 12 Jahren wäre mir eine solche Aussage nicht eingefallen. Doch mehr und mehr wird mir dies bewusst. Man kann über die aktuelle Situation hinwegtäuschen mit der Bemerkung, es hätte auch früher schwierige Zeiten gegeben. Das stimmt, aber reicht das?» Abt Martin meinte weiter mit Blick auf die sehr zahlreichen Gemeinschaften, die im Verlauf der Kirchengeschichte auch in unserem Land verschwunden sind: «Wir halten das Bleiben sehr oft für das Selbstverständliche. Nein, das Verschwinden ist das Selbstverständliche. Das Bleiben ist das Überraschende.»

Früher seien viele Klöster wegen des äussern Drucks verschwunden (Kulturkampf usw.). Heute würden manche von innen her aufgelöst. Martin Werlen zeigte dies am Beispiel zweier deutscher Benediktinerklöster. So musste das Kloster Michaelsberg in Sieburg mitteilen, dass «unser Konvent nicht die innere Kraft hat, die eigenen Ansprüche an seine geistliche Identität zu erfüllen. Es fehlt in jeder Hinsicht an Substanz, aus der ein neuer Anfang benediktinischer Prägung erwachsen könnte.»

Die «böse Welt»

Eine nahe liegende Reaktion auf die nachlassenden Mitgliederzahlen ist das Schimpfen über die säkularisierte Umwelt, die wenig Verständnis für spirituelle Werte habe. Abt Martin dazu: «Unsere erste Aufgabe ist es nicht, über die böse Welt zu schimpfen oder viel Nachwuchs zu haben. Unsere erste Aufgabe ist es, unsere Berufung in grosser Treue zu leben. Und gerade hier mutet uns Gott wohl die grösste Herausforderung zu: unsere Berufung heute neu entdecken; nicht einfach, weil alles so weitergeht, wie es immer war, sondern weil Gott da ist.» Aus seiner «Glut»- Broschüre zitierte der Referent zwei Sätze, die für die Orden immer neu eine Herausforderung sein sollten: «Er stellte sich der Situation.» Und: «Er versuchte, das Beste daraus zu machen.» Dies sei die Berufung der Orden: sich mutig mit der Lage auseinanderzusetzen. Und: nicht schimpfen und klagen, sondern das Beste daraus zu machen.

Papst Franziskus

Der neue Papst ist für Martin Werlen auch in diesem Zusammenhang ein Vorbild: «Papst Franziskus spricht die Probleme innerhalb der Kirche in aller Klarheit an. Er sieht die Schwierigkeiten nicht so sehr bei den anderen draussen, sondern nimmt die Asche drinnen wahr.» Wie sehr dies bereits das kirchliche Klima verändert hat, zeigt sich am Schicksal von Werlens Broschüre «Miteinander die Glut unter der Asche entdecken». Sie ist nun in italienischer Übersetzung sogar in der Vatikanbuchhandlung erhältlich, was vor kurzem noch undenkbar war.

«Macht die Türen auf»

Am Schluss seines Referates ermutigte Abt Martin die Orden, sich für die Welt und ihre Sorgen zu öffnen. Er zitierte Papst Franziskus mit seiner Ermahnung an die lateinamerikanischen Ordensobern: «Macht die Türen auf. Tut dort etwas, wo der Schrei des Lebens zu hören ist. Mir ist eine Kirche lieber, die etwas falsch macht, weil sie überhaupt etwas tut, als eine Kirche, die krank wird, weil sie sich nur um sich selbst dreht.» In der Diskussion wurde die Anregung des Vortrags aufgenommen, mit der Situation «kreativ umzugehen ». Doch oft würden wir die Lage «um-gehen», ihr ausweichen. Weiter wurde eingeladen, sich an die bewährte Regel zu halten: «Nicht Defizite beklagen, sondern die noch vorhandenen Ressourcen verstärken.» Die Metapher der Asche dürfe nicht nur negativ verstanden werden: «Die Asche birgt die Glut über Nacht, damit wir diese am Morgen neu entfachen können.» In seinem Schlusswort lud Abt Martin dazu ein, sich von der Magie der Zahlen zu verabschieden. Alle grossen Aufbrüche in der Kirche seien durch Einzelne entstanden. Auch das Alter sei kein unüberwindliches Hindernis: «In der Geschichte haben viele Menschen im Alter neue Wege eröffnet.»

 

Walter Ludin

Walter Ludin

Br. Walter Ludin ist Kapuziner und schreibt als Journalist BR für verschiedene Medien. Er lebt im Kloster Wesemlin in Luzern.