Ökumene - heutige Fragen und Aufgaben

(Bild: Scott Betts, 123rf.com)

 

Die Einheit der Christen, für die im Januar weltweit und in (fast) allen Gottesdiensten gebetet wird, ist kein Wunschprogramm für Menschen, die sich auf einen «christlichen Spaziergang» begeben. Der Auftrag wird von Johannes 17,21 her auf Jesus Christus selbst zurückgeführt, «damit die Welt glaubt».

Unterschiedliche Auffassungen im 16. Jahrhundert zur Rechtfertigungslehre führten zur Kirchenspaltung. 1999, fast 500 Jahre später, wurde eine «Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre» publiziert, ein Meilenstein im ökumenischen Miteinander. In der Schweiz haben sich die Kirchen auf gegenseitige Anerkennung der Taufe verpflichtet (1973: vier Kirchen, 2014: sechs Kirchen mit der Erklärung von Riva San Vitale, 2021: eine weitere Kirche). Die theologische Arbeit wurde und wird gemacht, doch es reicht nicht.

Weltweit werden etwa 300 christliche Glaubensrichtungen gezählt, viele finden sich auch in der Schweiz. Wir sind weit entfernt, einander zu kennen, geschweige denn uns gegenseitig als Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu Christi zu respektieren. Vor 20 Jahren begann die grösste ökumenische Plattform der Welt – der Ökumenische Rat der Kirchen – die Suche nach kreativen Wegen, um den Kreis zu erweitern. So wurde das Global Christian Forum (GCF) gegründet, um einen «Raum für die Erkundung von Ausdrucksformen der christlichen Einheit, die bisher aufgrund begrenzter Kontakte oder vergangener Wunden nicht möglich waren», zu öffnen.

Auch Papst Franziskus propagiert eine Ökumene der Herzen. Wir wollen es gut miteinander haben, das sei die Aufgabe aller ökumenischen Gremien, national, kantonal und lokal. Aber Begegnungen reichen nicht! Was geschieht mit strittigen Fragen wie der Amtsfrage? Wie sieht es aus mit persönlicher Umkehr? Mit der Umkehr der Kirchen? Wie lassen sich gute Beziehungen institutionell in den Alltag übersetzen?

Heute beobachte ich eine gewisse Ratlosigkeit: Die Kirchen wollen zwar «ökumenisch unterwegs sein», nehmen aber ihre ökumenischen Gremien kaum wahr, haben kaum einen Auftrag für sie. Die Sorge um die Einheit hat einen geringen Stellenwert, Zeit und Mittel fehlen oft. Das Ziel im diesseits – den Tisch des Herrn zu teilen – scheint ausser Reichweite. Resignation breitet sich aus. Die unterschiedlichen Rechtslagen der Kirchen erschweren die Zusammenarbeit, z. B. bei gemeinnützigen Angeboten, die sichtbare Zeichen der Einheit setzen könnten «in und für die Welt».

Die Entwicklung Europas bringt manche Kirchen näher zusammen, verleitet andere zum Rückzug auf sich selbst. Der interreligiöse Dialog drängt heute in den Vordergrund. Die Aufgabe «eins zu sein» bleibt dennoch aktuell. Die Ökumene braucht ihren synodalen Weg mit Begegnungen, Begegnungen und Begegnungen. Und ehrlichen Gesprächen sowie klaren Zielen!

Anne Durrer*

 

* Anne Durrer (Jg. 1962) ist seit 2017 Generalsekretärin der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der Schweiz. Nach ihrer Teilnahme am Forum chrétien de Lyon in 2018 ist sie vom Format des Global Christian Forum begeistert und will eines in der Deutschschweiz lancieren.